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Der Balkan - ein Spiegelbild europäischer Zustände

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Die Furche
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„Je südlicher desto trauriger“ heißt eine im ehemaligen Jugoslawien weit verbreitete Redensart. Sie beschreibt recht treffend die Bilder, die die Völker vom Nachbarn haben, die eben immer trister werden. Je südlicher desto größer werden Faulheit, Korruption, Unordnung bis hin zur Bewertung des Kosovo als Staat, in dem überhaupt die Mafia regiert. Weit verbreitet ist in Serbien auch die Denkweise, dass die Slowenen eigentlich schon viel von Deutschen und Österreichern haben und eigentlich nie so recht „dazugehörten“. Gar nicht „dazugehören“ wollen wiederum die Kroaten. Sie sehen sich vielfach als Bollwerk des Abendlandes, der Balkan-Begriff ist durch und durch negativ besetzt, obwohl von der Korruption bis hin zur Bürokratie Kroatien wahrlich dem Balkan zugerechnet werden muss, wenn man diese Stereotypen schon anwenden will. In diesem Sinne sehen auch die Kroaten auf ihre Nachbarn herab, obwohl die Vorurteile wohl am stärksten zwischen Serben und Albanern ausgeprägt sind, die jedoch bei keinem slawischen Volk des ehemaligen Jugoslawien wirklich „beliebt“ sind.

Einher geht mit dieser kulturellen Abwertung des jeweiligen Nachbarn auch die Pflege von Vorurteilen, die noch aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs stammen, und mit den Worten Cetnik und Ustasa ist man recht schnell bei der Hand, wenn es darum geht, den anderen zu beschimpfen. Verbunden sind viele dieser Vorurteile in allen Ländern des ehemaligen Jugoslawien mit einer weitgehend unkritischen Einstellung gegenüber der eigenen Geschichte. So sehen sich die Slowenen als kleines, bedrohtes Volk, als Opfer der Geschichte, die Kroaten als Verteidiger in einem Aggressionskrieg, dem es ausgesprochen schwer fällt zu akzeptieren, dass auch in Verteidigungskriegen die Verteidiger Verbrechen begehen können. Viele Serben sehen sich überhaupt als Opfer einer westlichen Weltverschwörung, die den Zerfall des ehemaligen Jugoslawien überhaupt erst möglich gemacht hat. Während es in Serbien aber immer hin einige „weiße Raben“ gibt, fehlt im Kosovo unter den Albanern bisher ein selbstkritisches Potential fast völlig.

Doch im Kosovo haben die Albaner bisher nur wenig, was über die Heroisierung der eigenen Geschichte hinausgeht, und die Serben wiederum verspüren nach Jahren der Stigmatisierung und Isolation ein tiefes Bedürfnis nach Anerkennung – auch ihrer eigenen Opfer, die etwa in Bosnien und Herzegowina bis heute weitgehend auch vom Westen ignoriert werden. Nach seriösen Berechnungen kamen im Bosnien-Krieg 100.000 Personen ums Leben. Zwei Drittel davon waren Bosnjaken, doch immerhin ein Viertel der Opfer waren auch Serben. Abgesehen von der durchaus oft mit großen Mängeln behaftet juristischen Aufarbeitung durch das Haager Tribunal stehen eine umfassende Aufarbeitung und eine Aussöhnung in der Region noch aus; das gilt auch für den Zweiten Weltkrieg und die Balkankriege zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In diesem Sinne sind der Namensstreit zwischen Griechenland und Mazedonien sowie der weiter schwelende Grenzstreit zwischen Slowenien und Kroatien Symbole für unbereinigte Beziehungen. In gewisser Hinsicht gilt das auch für die nördlichen Ausläufer des Balkan, für den Ortstafelkonflikt in Kärnten, der durchaus zeigt, dass Vorurteile gegenüber den wilden Völkern des Balkan nicht angebracht sind.

Balkan-Klischees haben durchaus eine lange, sogar bis auf Karl May zurück reichende Tradition, doch Symptome der „Balkanisierung“ finden sich auch in vielen Ländern der Europäischen Union. Wie würden etwa „Skylink“ und BUWOG bewertet, hätten sie sich in Albanien ereignet, um nur zwei heimische Beispiele zu nennen; und während die EU am Balkan von europäischen Umweltstandrads spricht, musste das EU-Gründungsmitglied Italien vor nicht allzu langer Zeit in Neapel Soldaten einsetzen, um die schlimmsten Folgen der Müll-Mafia in den Griff zu bekommen. Mit diesen Beispielen soll nicht einer Nivellierung nach unten das Wort geredet werden, doch mehr Selbstkritik und eine stärkere intellektuelle Gegenbewegung gegen die „Balkanisierung Europas“ erscheinen mir dringend notwendig und wünschenswert – auch um wenigstens einigermaßen glaubwürdig zu bleiben. Nicht vergessen werden darf, dass in Europa die Einigungsbewegung erst nach zwei Weltkriegen zustande kam und Aussöhnung und Aufarbeitung der Kriegsfolgen Jahrzehnte in Anspruch genommen haben.

Im ehemaligen Jugoslawien sowie in Ost- und Südosteuropa werden diese Prozesse jedoch gerade von vielen westlichen Politikern im Zeitraffertempo eingefordert, wobei die betroffenen Länder gleichzeitig noch enorme wirtschaftliche und soziale Herausforderungen zu bewältigen haben. Hinzu kommt, dass die Länder des ehemaligen Jugoslawien am blutigen Zerfall zwar die Hauptverantwortung aber keineswegs die Alleinverantwortung tragen. Insbesondere Europa hat zu Beginn und während des Konflikts kläglich versagt und auch die geschaffene Friedensordnung ist kein Ruhmesblatt, wie zwei Beispiele klar belegen sollen. So ist etwa das komplizierte und weitgehend lebensunfähige Staatswesen von Bosnien und Herzegowina durch den Friedensvertrag von Dayton unter Federführung von USA und EU geschaffen worden. Dieser Staat mit seinen vier Millionen Einwohnern und drei Völkern ist bis heute weder ein einheitlicher Rechts- noch Wirtschaftsraum, in dem es nicht ein Mal einen Landwirtschaftsministergibt, der mit der EU verhandeln könnte. Sicherlich war vor 14 Jahren Bosniens Weg Richtung EU eine Utopie; doch dass ein derartiges Staatswesen nicht funktionieren kann, hätte bereits damals klar sein müssen, wobei weder für Bosnien noch für den Kosovo Brüssel je eine Entwicklungsstrategie erarbeitet hat. Kosovo ist überhaupt das schlimmste Beispiel für das Versagen europäischer Politik. Neun Jahre nach dem Ende des NATO-Krieges erhielt die ehemals serbische Provinz im Februar 2008 ihre Unabhängigkeit, die jedoch von fünf EU-Mitgliedern nach wie vor nicht anerkannt wird. Damit fehlt wiederum jede klare Perspektive für eine EU-Annäherung, und unter den Albanern wächst das Gefühl, wiederum mit dem leeren Löffel „gefüttert“ worden zu sein. Dass 27 Staaten nicht in der Lage sind, ein Territorium zu befrieden, das so groß ist wie Tirol, ist wahrlich kein Ruhmesblatt europäische Außen- und Sicherheitspolitik!

Doch der Kosovo ist nur das klarste Beispiel, dass die Instabilität im ehemaligen Jugoslawien durch die kurzsichtige und egoistische Politik europäischer Staaten am Köcheln gehalten wird. Griechenland und Slowenien sind ebenso EU-Mitglieder wie die Niederlande, die als einziger EU-Staat die weitere Annäherung Serbiens blockieren. Zweifellos kann Serbien nicht der EU beitreten, solange der mutmaßliche Kriegsverbrecher Ratko Mladic noch in Freiheit ist. Doch die rote Linie hätte später gezogen werden müssen, zumal Serbien im Jahre 2008 den Verlust des Kosovo zu verdauen hatte und mit Radovan Karadzic einen der wichtigsten Kriegsverbrecher ausgeliefert hat. Durchaus wünschenswert wäre es jedenfalls gewesen, hätte das niederländische UNO-Bataillon in Srebrenica mit derselben Entschlossenheit die Schutz suchenden Bosnjaken verteidigt, mit der nun die Regierung in Den Haag Serbien blockiert. Doch der Balkan war eben bisher nur Objekt der Geschichte und der Sonderinteressen von großen und kleinen Mächten. Gerade deshalb ist seine Integration in die EU so wichtig, um aus dieser historisch undankbaren Position herauszukommen, und die Stabilisierung dieser Region und damit die europäische Einigung zu vollenden, die ohne das ehemalige Jugoslawien nicht denkbar ist.

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