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Wirtschaft der Ukraine und die Corona Krise

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Berichte Ukraine

Die Corona-Pandemie  hat auch die Ukraine massiv getroffen; Prognosen rechnen für die Ukraine  unter anderem  mit einer Rezession und  einem Anstieg der Arbeitslosigkeit von 500.000 bis zu 1,5 Millionen Personen. Viele dieser Probleme gibt es auch in der EU, doch es bestehen drei gravierende Unterschiede; erstens ist die Finanzkraft der Ukraine sehr gering. Zweitens herrscht in der Ostukraine nach wie vor Krieg, der nicht nur Geld kostet, sondern weiterhin abschreckend auf ausländische Investoren wirkt. Und drittens sind die staatlichen Institutionen und der Rechtsstaat unterentwickelt; trotzdem hat die Ukraine nicht zuletzt wegen ihres starken Agrarsektors durchaus Chancen, die Krise zu meistern; profitieren könne das Land auch davon, dass Produktionsstätten etwa aus China näher an die EU zurückverlagert werden. Unser Ukraine-Korrespondent Christian Wehrschütz berichtet darüber und hat bei österreichischen Betrieben in der Ukraine recherchiert, wie sie die Corona-Krise bisher gemeistert haben.

Die Ukraine zählt etwa 40 Millionen Einwohner; auf den Corona-Virus getestet wurden bisher etwa 240.000 Personen, daran gestorben sind 550 Personen, während 19.000 mit dem Virus infiziert sind. Die Epidemie weist in diesem Land zwei Besonderheiten auf; erstens ist die Zahl der Getesteten im internationalen Vergleich niedrig, anderseits ist die Zahl der infizierten Personen, die im Gesundheitswesen arbeiten hoch. Einen Fall hat bisher die österreichische Firma Eurogold zu verzeichnen, die seit mehr als 20 Jahren in der Stadt Schitomir, drei Autostunden westlich von Kiew, Bügelbretter und Wäscheständer für den EU-Markt produziert. Staatliche Vorgaben für den Kampf gegen die Corona-Krise gab es nicht; doch die Firmenleitung setzte bereits im Februar eigenständig alle Maßnahmen zum Schutz der eintausend Mitarbeiter, für die im Betrieb auch Schutzmasken genäht wurden. Seit April verzeichnet die Firma einen Umsatzeinbruch von etwa 20 Prozent, doch Bügelbretter werden vor allem im Herbst gekauft, daher lassen sich die Folgen der Corona-Krise noch nicht wirklich abschätzen. In der Ukraine gibt es keine Kurzarbeit; trotzdem konnten Kündigungen bisher vermieden werden, betont Tobias Grolitsch, der mit seinem Bruder die Firma führt:

7'51 - Keine Kurzarbeit - staatliche Vorgabe - 8'47 (43)

"Die staatliche Vorgabe ist, dass wir zwei Drittel des Durchschnittslohns des letzten halben Jahres den Mitarbeitern zahlen müssen, auch wenn sie zu Hause sitzen. Das ist also keine Kurzarbeit, vom Staat finanziert, sondern von uns selber. Wir haben die Schichten um eine Stunde reduziert, und haben im Einvernehmen den Mitarbeitern auch dementsprechend den Lohn gekürzt; mit der Option - entweder entlassen wir Leute oder alle tragen bei, jeder verdient etwas weniger, jeder arbeitet eine Stunde weniger, aber dafür können wir soweit einmal noch alle Mitarbeiter halten.“

Der Lohn für einen Arbeiter beträgt bei der Firma etwa 300 Euro im Monat; zwar sind in der Ukraine die Lebenshaltungskosten grundsätzlich niedriger als in Österreich; doch die soziale Lage ist triste, vor allem für Pensionisten, die vielfach noch weniger haben. Leichter haben es jene Ukrainer, die einen Garten besitzen, und bei Lebensmittel teilweise Selbstversorger sein können. Doch die Corona- Krise wird auch zu höherer Arbeitslosigkeit führen; die Regierung versucht, durch stärkere Investitionen in die Infrastruktur gegenzusteuern; verabschiedet hat Kiew auch ein Hilfspaket; Dazu zählen billigere Kredite für Klein- und Mittelbetriebe. Ärzte, die im Kampf gegen das Virus stehen, erhalten zusätzliche Löhne, doch das Ausmaß der gesamten Hilfe lässt sich mit Maßnahmen in der EU nicht vergleichen, erläutert Olga Pindjuk vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche:

 

Olga Pindjuk, WIIW 10'21 - COVID19 Paket Regierung - 11'11

"In den Haushalt wurde ein Anti-Krisen-Paket aufgenommen, das eine Summe von etwa 1,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts umfasst. Dazu zählen höhere finanzielle Zuwendungen im Falle von Arbeitslosigkeit, einige Subventionen für Klein- und Mittelbetriebe sowie Steuerbegünstigungen und Stundungen für Firmen während der Krise. Es gab eine einmalige Zahlung an Pensionisten im März. Die Summen sind nicht hoch, doch die Regierung versucht, etwas zu tun."

Wie sich die Corona-Krise auf die Wirtschaft auswirken wird, läßt sich auch wegen der Exportabhängigkeit der Ukraine nur schwer abschätzen. Exportiert werden vor allem landwirtschaftliche Produkte, Chemie und Metall, doch fraglich ist – abgesehen von der Landwirtschaft – wie groß die Nachfrage in den kommenden Monaten sein wird. Dazu sagt der Wirtschaftsexperte und Berater des ukrainischen Präsidenten, Oleg Ustenko:

Oleg Ustenk01 20200507 29'50 - Exportabhängigkeit und Preis 30'35

"Etwa 30 Prozent unserer Wirtschaft hängt direkt davon ab, ob wir unsere Rohstoffe auf dem Weltmarkt verkaufen können. Ein Rückgang der Preise für Metalle um 10 Prozent oder ein fehlender Zugang zu ausländischen Märkten, was noch schlimmer wäre, bedeutet ernsthafte Verluste für unser Budget. Zum Beispiel: eine Preissenkung von zehn Prozent für unsere Metalle heißt einen Verlust von etwa 1,5 Prozent der Staatseinnahmen."

Aus diesem Grunde sind auch für die Ukraine die Prognosen nur mit Vorsicht zu genießen; die möglichen Folgen von COVID19 für die Wirtschaft formuliert der stellvertretende Generaldirektor der Raiffeisen-Bank in der Ukraine, Gerhard Bösch, so:

25'15 - Perspektive bis Jahresende - 26'30 (43)

"Wenn wir über das Wirtschaftswachstum reden, dann sehen wir heuer natürlich eine massive Rezession vor uns; von einem erwarteten Wirtschaftswachstum zwischen dreieinhalb und vier Prozent vor der Krise; stattdessen werden wir sehr wahrscheinlich im Bereich von fünf bis sieben Prozent minus liegen, das sind 10 Prozent weniger. Diese jetzige Prognose beruht darauf, dass die jetzigen Produktionsrückgänge schrittweise im zweiten Halbjahr wieder aufgeholt werden können. Aber wenn es natürlich zu einer zweiten großen Welle kommt, dann reden wir wahrscheinlich von minus zehn Prozent, aber das betrifft dann selbstverständlich nicht nur die Ukraine."

5’30

Klar ist, dass die Ukraine ausländische Finanzhilfe benötigt, um wirtschaftlich stabil zu blieben. Erster Ansprechpartner ist der Internationale Währungsfonds, der größte Geldgeber des Landes; zahlt der IWF, zahlen auch andere Finanzinstitutionen. Für frisches Geld vom IWF musste die Ukraine zwei Bedingungen erfüllen: ein Bankengesetz und die Landreform. Das Bankengesetz verabschiedete das Parlament nach langem politischem Tauziehen Mitte Mai; es soll verhindern, dass Oligarchen die Banken zurückbekommen, die die Regierung vor einigen Jahren mit massiver Staatshilfe retten musste. Die zweite Bedingung betraf die ebenfalls höchst umstrittene Landreform, die das Parlament nur in verwässerter Form beschlossen hat. Der Verkauf von Land im Staatsbesitz bleibt weiter verboten, Land im Privatbesitz kann aber verkauft werden, während Ausländer bis 2024 weiterhin kein Land kaufen dürfen, wobei über diese Frage dann in einer Volksabstimmung entschieden werden soll. Trotzdem erhob der IWF bisher keine ernsthaften Einsprüche, und die Ukraine kann mit fünf bis sieben Milliarden US-Dollar rechnen. Finanzhilfe geleistet hat bereits die EU. Ausländer müssen aber weiter mit Pachtverträgen arbeiten; 5000 derartige Verträge hat der Fruchtsafthersteller Pfanner abgeschlossen, der in der Westukraine Apfelanbau und Ackerbau betreibt. Mit der Landreform kann Hermann Pfanner jedenfalls leben:

Hermann Pfanner: (kein Boom) (36)

"Ich sehe für uns in den nächsten Jahren kein Problem. Wir werden weiterhin mit Pachtverträgen arbeiten. Wenn man hier sauber arbeitet, die Pacht pünktlich bezahlt, mit den Leuten gut umgeht, hat man hier kein Problem. Wir haben auch in den letzten Monaten und Wochen Pachtverträge abgeschlossen; und die Leute sehen diese Reform nicht so, dass ein großer Boom kommen wird. Es gibt Umfragen, dass maximal zwei bis drei Prozent der Bevölkerung ihren Anteil verkaufen wollen."

Noch offen ist aber, wie ausländische Banken mit der verwässerten Landreform umgehen werden; dazu sagt Gerhard Bösch von der Raiffeisenbank in der Ukraine:

Gerhard Bösch Landreform (38)

"Für uns als Bank bedeutet das hier und heute, dass wir noch nicht sagen können, weil wir noch zu wenig wissen, und auch noch auf einige Verordnungen der Nationalbank warten, ob wir Land überhaupt als Sicherheit akzeptieren könnten; und wenn wir keine Klarheit haben darüber, dann würden wir natürlich Agrarland nicht als Sicherheit akzeptieren können. Wenn ja, sicherlich nur in einem wesentlich eingeschränkterem Ausmaß als bei einer Situation, wenn das Gesetz umfangreicher der liberaler ausgefallen wäre."

Mit gemischten Gefühlen sieht Bösch generell die wirtschaftliche Perspektive der Ukraine vor allem was ausländische Direktinvestitionen betrifft:

22'51 - Investitionsklima - 24'37 (Schnitt) -24'35 (40)

"Es ist seit 2015, seit die Reformregierungen begonnen haben, nicht gelungen, in wirklich beträchtlicher Form echtes ausländisches Kapital für langfristige Investitionen, sprich für industrielle Produktionen und ähnliche Dinge anzuziehen; was international nun stark diskutiert wird im Zuge der COVID19-Krise ist, dass europäische Produzenten ihre ausgelagerten Vorprodukte, die klassischer Weise in China produziert werden, etwas näher nach Europa platzieren könnten. Wenn diese Strategie zum Tragen kommen sollte, wäre die Ukraine natürlich prädestiniert."

9’30

Um diese geographische Lage nutzen zu können, muss die ukrainische Führung das Investitionsklima drastisch verbessern, das Rechtsunsicherheit, Korruption und politische Instabilität belasten. Ein Beispiel dafür ist der Energiesektor. Der Ausbau der Grünen Energie, vor allem von Sonne und Wind, wurde vor einigen Jahren ausgerufen, und auch ausländische Investoren kamen ins Land. Viele Projekte wurden begonnen, und die Ukraine liberalisierte ihren Strommarkt; die Folgen beschreibt Alina Sviderska von der norwegischen Firma Scatec Solar so:

15'00 - Probleme - 16'28

"Seit erstem Juli des Vorjahres gibt es einen liberalisierten Strommarkt; doch das System war dazu nicht bereit; es fehlten die Institutionen, die Regulierungen, sogar technisch war das System nicht bereit dazu. Das ist so, als würde man einen Tesla-Motor in ein altes sowjetisches Auto einbauen. Die Absicht ist gut, doch das Auto ist nicht bereit. Seit Sommer gibt es viele neue Institutionen, die nicht koordiniert sind, viele Schulden untereinander anhäufen, doch niemand ist verantwortlich. Das ist eine Anarchie, aber niemand übernimmt die Verantwortung, das System zu reformieren.“

Scatec Solar hat bereits 400 Millionen Euro investiert; eine Anlage ist fertig, weitere sind in Bau oder Planung. Die negativen Folgen des institutionellen Chaos beschreibt Alina Sviderska so:

16'34 - Folgen für Investoren - 17'34

"Für den Investor hat das mindestens zwei Folgen: erstens werden die Firmen nicht bezahlt, die bereits arbeiten; und jene Firmen, die bauen, sind nicht sicher, ob sie ihre Anlagen fertigstellen können. Außerdem will man den Tarif senken, weil die Regierung kein Geld hat. Vergangenen Juni gab es bereits eine Reduktion, jetzt sind weitere geplant. Nach mehreren Verhandlungen hat die Industrie einer gewissen Tarifsenkung zugestimmt; da gab es eine Vermittlung unter Beteiligung des Energieministers, wo eine Lösung gesucht wurde."

Diese Lösung ist aber noch nicht umgesetzt. Belastend wirkt, dass die Ukraine unter Präsident Volodimir Selenskij binnen weniger als einem Jahr bereits den zweiten Regierungschef aufweist. Hinzu kommen noch weitere personelle Änderungen, die sich ebenfalls negativ auswirken, betont Alina Sviderska:

27'24 - politische Instabilität - 28'37

"Die politische Instabilität ist das schlimmste, weil die Lage sehr unvorhersehbar ist. Wenn eine Person wechselt, ändert sich die gesamte Politik. In der Ukraine gibt es keine starken Institutionen mit einer konsistenten Politik. Im ersten Halbjahr 2019 gab es eine starke Politik in Richtung Grüner Energie; dann gab es einen Wechsel und man sagte, vielleicht brauchen wir sie nicht. Manches Mal ist es schwierig zu verstehen, wer entscheidet, ist das wirklich der Minister, ist das das Büro des Präsidenten. Noch im Sommer war die Ukraine einer der wichtigsten Zielländer unseres Unternehmens; doch jetzt sagen wir, abwarten, bis wir mehr Stabilität und Klarheit haben."

Klar ist, dass die Ukraine nach der Corona-Epidemie zu einer gemäßigten Form des wirtschaftlichen Protektionismus greifen und einheimische Firmen bei staatlichen Einkäufen begünstigen wird. Dazu sagt der Wirtschaftsexperte und Berater des Präsidenten, Oleg Ustenko:

Oleg Ustenko 2 20200507 26'23 - Entwicklung des Binnenmarktes - 27'16

"Es gibt keinen anderen Weg als zu versuchen den ukrainischen Binnenmarkt zu entwickeln. Dabei gibt es zwei Einschränkungen; erstens, ist das Recht auf Eigentum nicht ausreichend geschützt; daraus folgt zweitens, dass man konfrontiert ist mit dem nicht ausreichend gut funktionierenden Justizwesen, das es äußerst schwierig macht, das Recht auf Eigentum zu schützen. Ohne die Lösung dieser beiden Fragen wird es kaum gelingen, den Binnenmarkt zu entwickeln. Daher ist das die erste Frage, die so rasch wie möglich gelöst werden muss."

ABMod:

Doch diese Rechtsicherheit braucht die Ukraine auch für ausländische Investoren; denn ohne sie wird das Land den enormen wirtschaftlichen Rückstand gegenüber den Nachbarstaaten Mittel- und Osteuropas wohl niemals aufholen können; hinzu kommt, dass ausländische Investoren nicht nur Geld, sondern auch Know how und Arbeitsplätze bringen, die die Ukraine ebenfalls dringend braucht.

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