Kärntner Volksabstimmung
„Das Gewehr in seiner Pranke steht der Tschusch da an der Schranke, drüben blüht Deutschösterreich, doch das ist dem Tschuschen gleich, niemand darf mehr in die Stadt, weil der Tschusch das Vorrecht hat; Kärntner, wollt ihr nicht Tschuschen heißen, müsst ihr den weißen Zettel zerreißen, Wählet grün, dann flieht der Feind und die Heimat bleibt vereint!“ – diese Gedicht des österreichischen Karikaturisten Fritz Schönpflug (1873-1951) ist ein aufschlussreiches Beispiel für die Propagandaschlacht, die von beiden Seiten vor der Volksabstimmung in Kärnten geführt wurde. Das Gedicht steht unter einem Bild, das einen serbischen Soldaten zeigt, der mit seinem Gewehr an einem Schlagbaum steht; im Hintergrund ist wohl Klagenfurt zu sehen. Gezeigt wird diese Karikatur in der Ausstellung im „Volksmuseum“ (Narodni muzej) in Laibach; sie umspannt den Zeitraum vom Ende der Habsburger Monarchie im November 1918 bis zur Volksabstimmung in Kärnten am 10. Oktober 1920.
Während damals der Flugzettel von jedem Kärntner verstanden wurde, bedarf es 100 Jahre später der Erläuterung. „Tschusch“ war damals offensichtlich noch ein Schimpfwort, das nur für Serben verwendet wurde, die 1919 bei der Besetzung Kärntens im Einsatz waren; es kam zu Plünderungen gegen die lokale Bevölkerung unabhängig von ihrer politischen Einstellung, und das schadete der jugoslawischen Sache. Die Demarkationslinie ging durch den Wörthersee, erst wenige Monate vor dem Plebiszit mussten Besatzungstruppen abziehen. Weiß war der Stimmzettel für den SHS-Staat, den Staat der Serben, Kroaten und Slowenen; grün war der Stimmzettel für Deutsch-Österreich, wie der Staat hieß, ehe dieser Name durch die Siegermächte verboten wurde.
Nachbildungen dieser Stimmzettel sind in der Ausstellung ebenso zu sehen; sie umfasst etwa 250 Objekte, die aus Archiven in Slowenien (Laibach, Marburg), aus dem Museum für Zeitgeschichte, aus privaten Sammlungen sowie aus dem Militärarchiv in Serbien und dem Landesarchiv in Klagenfurt zusammengestellt wurden. Eine zentrale Rolle bei der Propaganda spielten Plakate und Ansichtskarten. Dabei war auf jugoslawischer Seite der Maler Maxim Gaspari tätig, der noch im Ersten Weltkrieg in der Kriegspropaganda für Österreich im Einsatz war. Seine Karten sind künstlerisch gestaltet und vom Stil der Wiener Sezession beeinflusst. Die Anschluss-Propaganda verhieß eine leuchtend (weiße) Zukunft in dem neuen Staat, die das wirtschaftlich ruinierte (grüne) Österreich nicht zu bieten habe. Außerdem richtete sie sich gegen die „Deutschtümler“, gegen „deutschdenkende Slowenen, den sogenannten Windischen“ ((Lojze Ude), die als Verräter am eigenen Volk betrachtet wurden. Auf Seite Kärntens kam diese Mundart neben slowenischen Texten zum Einsatz; am bekanntesten ist das Plakat in dem ein Sohn seine Mutter nach dem Kirchgang anfleht, sie möge nicht für Jugoslawien stimmen („stimajte“) damit der Sohn nicht für den serbischen König Petar „ajnrukat“ müsse. 60 Prozent der Stimmberechtigten waren Frauen, daher waren sie eine wichtige Zielgruppe. Die Serben sind orthodox, die Balkankriege der Jahre 1912/13 waren wohl noch in frischer Erinnerung und Kärntner hatten einen hohen Blutzoll im Ersten Weltkrieg gezahlt.
Die Ausstellung in Laibach trägt den Titel „Slowenen, es geht ums Sterben!“, ein Aufruf, mit dem die Slowenen für die Abstimmung mobilisiert werden sollten. Das Thema der Ausstellung formuliert einer ihrer geistigen Väter, Dragan Matic, vom Staatsarchiv in Laibach so: "Unser Konzept beruht darauf, dass wir alle Rahmenbedingungen zeigen, die zur Kärntner Volksabstimmung geführt haben; gezeigt werden soll aber auch das Leben in der Zone-A, und was führte im Wesentlichen zu dem Phänomen, dass in der Zone-A, wo 70 Prozent der Bewohner Slowenen waren, schließlich eine Mehrheit für den Verbleib bei der Republik Österreich und nicht für den Anschluss an das eigene Volk stimmte, das in Jugoslawien war.“
Doch Volkszugehörigkeit und Muttersprache waren offensichtlich weniger entscheidend als Landesbewusstsein und wirtschaftliche Motive, wobei es 1920 nicht um den Anschluss an Slowenien, sondern an einen Vielvölkerstaat mit klarer serbischer Dominanz ging. Denn in Kärnten hatte die Bevölkerung eben jene Wahl, die ihr in der Untersteiermark und vor allem in der Stadt Marburg verwehrt wurde. Dort hatte General Rudolf Majster bereits am ersten November 1918 die Macht an sich gerissen; außerdem blieb die Landesregierung in Graz im Gegensatz zu Klagenfurt untätig. Majster war später auch in Kärnten sehr aktiv; dazu sagt Dragan Matic: "Es war möglich, dass Kärnten und Klagenfurt dasselbe Szenario erlebt hätten wie die Untersteiermark und Marburg. General Majster selbst hat eine militärische Besetzung von Klagenfurt befürwortet, die wohl ohne größere Probleme möglich gewesen wäre im November und Dezember 1918. Doch dieser Moment, zu dem die Kärntner Frage hätte militärisch gelöst werden können, wurde versäumt."
Danach spielte der Abwehrkampf eine wichtige Rolle, weil er auch dazu führte, dass eine Kommission der USA eine Woche lang in Kärnten die Lage sondierte. Sie sprach sich für die (wirtschaftliche) Einheit des Klagenfurter Beckens aus; dieser Linie folgten die USA bei den Friedensverhandlungen in Paris, und so war Kärnten ein Sonderfall, wo das „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ verwirklicht wurde. Die Enttäuschung in Slowenien war jedenfalls groß. Der historischen Entwicklung vom Zerfall der Monarchie bis zum Plebiszit ist auch ein ausgezeichnetes Buch gewidmet, das der ehemalige slowenische Botschafter in Wien, Andrej Rahten, geschrieben hat. Es trägt den Titel: „Nach dem Zerfall des gemeinsamen Staates, Slowenisch-österreichische Divergenzen vom Marburger Putsch bis zur Kärntner Volksabstimmung“. Leider ist dieses Buch bisher nur in slowenischer Sprache erschienen. Wenn in Slowenien heute vom Zerfall des gemeinsamen Staates gesprochen wird, so denkt man vor allem an das ehemalige Jugoslawien. Die Ausstellung zeigt auch eine Demonstration in Laibach für den SHS-Staat mit einem Transparent: „Slovenec, Srb, Hrvat za uvek brat i brat“ (Slowene, Serbe, Kroate für immer Bruder und Bruder.) – eine Motto, das nach 70 Jahren zerbrach und 30 Jahre nach dem blutigen Zerfall Jugoslawiens zeigt, wie sehr das 20. Jahrhundert Hoffnungen enttäuschte, derer sich Völker hingaben, die dem vermeintlichen „Völkerkerker“ der Habsburger Monarchie „entkommen“ waren.