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Die Krise in Marburg und ihre Folgen für die Kirche

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Berichte Slowenien
In Slowenien kämpfen unterschiedliche Regierungen seit fast fünf Jahren mit beschränktem Erfolg gegen die Finanz- und Bankenkrise. Zu den Besonderheiten dieser Krise zählt, dass den größten Konkursfall die Erzdiözese Marburg/Maribor durch drei Unternehmen ausgelöst hat. Deren bereinigte Verbindlichkeiten werden auf etwa 720 Millionen Euro geschätzt; davon betroffen sind auch österreichische Banken, vorwiegend durch ihre slowenischen Töchter. Deren unterschiedlich besicherte Forderungen dürften insgesamt knapp 60 Millionen Euro betragen. Dazu zählen auch Ansprüche gegenüber der Erzdiözese Marburg, die selbst überschuldet ist. Noch schlimmer als die finanziellen Folgen ist aber der enorme Vertrauensverlust, den die Kirche insgesamt durch den Zusammenbruch ihres Finanzimperiums bei den Slowenen erlitten hat. Darüber sowie über das Finanzdesaster der Erzdiözese Marburg berichtet aus Slowenien unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz:

Nach der Unabhängigkeit Sloweniens vor mehr als 20 Jahren begann auch die katholische Kirche mit dem Wiederaufbau. Sie bekam enteignete Grundstücke zurück, engagierte sich über eine vorgelagerte Gesellschaft bei der Zertifikats-Privatisierung und gründete eine Bank, die sie 2002 an Raiffeisen verkaufte. Mit dem Geld begann die Erzdiözese Maribor/Marburg mit dem Aufbau eines Wirtschaftsimperiums, um Geld für ihre seelsorgerische Tätigkeit zu haben, denn in Slowenien gibt es keinen Kirchenbeitrag, sondern die Kirche lebt vorwiegend von Spenden. Managementfehler und die internationale Finanzkrise führten vor etwa zwei Jahren zum Zusammenbruch des Wirtschaftsimperiums der Erzdiözese Marburg. Zusammengefasst war es in drei Gesellschaften, die juristisch eigenständig sind, sodass die Erzdiözese für deren Verbindlichkeiten nicht haftet. In welchem Ausmaß Geld vernichtet wurde, aber auch wie fragwürdig die Rolle der Banken war, zeigt am besten das Beispiel der ersten kirchlichen Gesellschaft mit dem Namen „Gospodarstvo Rast“. Ihre Kredite besicherte sie vor allem durch Aktien, die sie an den zwei anderen Gesellschaften Zvon Ena und Zvon Dva hielt. Den Zustand von Gospodarstvo Rast schildert deren Masseverwalterin Alenka Gril:

„Die Aktien von Zvon Ena und Zvon dva sind nichts wert; sie wurden mit dem Konkurs auch gelöscht. Im Eigentum haben wir ein sehr altes Haus in Slovenska Bistrica, das unter Denkmalschutz steht, sowie einige Wiesen und Weinberge in der Umgebung von Marburg. Der geschätzte Wert liegt bei etwa 250.000 Euro. Wir hatten schon vier Auktionen; doch es fand sich noch kein Interessent, obwohl wir bei jeder Auktion den Ausrufungspreis gesenkt haben. Nun werde ich dem Gericht vorschlagen, dass wir feststellen, für welchen Preis wir einen Interessenten finden können. Wenn wir dann zu einem niedrigen Preis verkaufen können, werden wir den Konkursfall abschließen. Vielleicht können wir dieses Vermögen um 100.000 oder um 70.000 Euro verkaufen, und dieses Geld teilen wir unter den Gläubigern, die 300 Millionen Euro an Forderungen angemeldet haben.“

Betroffen von den Konkursen sind auch etwa 65.000 Slowenen, die der Werbung der Kirche vertrauten und ihre Privatisierungszertifikate einer kirchlichen Gesellschaft anvertrauten oder Aktien von Zvon Ena oder Zvon Dva hielten, und nun in Zeiten einer tiefen sozialen Krise Geld verloren haben. Dementsprechend fallen die Reaktionen bei einer Straßenbefragung in Marburg aus:

Frau:

"Am wenigsten habe ich das von der Kirche erwartet. Ich bin eine Christin und ich hatte großes Vertrauen, und jetzt bin ich sehr, sehr enttäuscht. Die Kirche hätte Kirche bleiben sollen, und die Bankiers eben Bankiers. Die Kirche muss für die Menschen da sein, die nun ohne alles dastehen, was sie in die Hände der Kirche gegeben haben."

Mann:

"Sie haben begonnen, sich mit Geschäften zu befassen, die kirchlichen Institutionen eigentlich nicht zustehen. Das wäre so, als würden die Bankiers beginnen, in den Banken Messen zu lesen. So begann die Erzdiözese Marburg sich mit der Telekommunikation zu befassen und was ist jetzt? Hätte sie Erfolg gehabt, könnte man sagen ok, aber nichts wurde daraus."

Dass der Bankrott der Erzdiözese der katholischen Kirche in Slowenien insgesamt massiv geschadet hat, weiß natürlich die Führung der Kirche. Dieser Schaden konnte auch durch den vom Vatikan erzwungenen Rücktritt der beiden hauptverantwortlichen Erzbischöfe nicht wirklich begrenzt werden. Zur Krise der Kirche sagt der Vorsitzende der slowenischen Bischofskonferenz, der Bischof von Novo Mesto, Andrej Glavan:

„Die Marburger Krise ist eine große finanzielle Krise, die auch eine moralische Krise hervorgerufen hat. Damit ist das allgemeine Ansehen der Katholischen Kirche gesunken. Doch die Marburger Krise haben die Medien zu einem Angriff auf die gesamte slowenische Kirche genutzt. Denn in den Medien wird ständig berichtet, die slowenische Kirche ist so und so, ist reich, ist korrupt und was nicht noch alles. Doch das stimmt nicht; denn wegen der Unregelmäßigkeiten bei der wirtschaftlichen Verwaltung einer Diözese ist es ungerecht und sträflich alle anderen zu verurteilen. Keine andere Diözese hat eine derartige Krise, daher ist es sträflich zu sagen, die slowenische Kirche ist so.“

Zweifellos haben viele Medien in Slowenien undifferenziert berichtet; doch zweifellos hat dazu die Kirche durch eine unprofessionelle Öffentlichkeitsarbeit ebenso beigetragen, weil verabsäumt wurde, die Gründe für die Krise und ihre Ausmaße klar darzulegen. Die Stimmung im Volk und im Kirchenvolk spüren die Geistlichen in ihren Pfarren natürlich am stärksten. Dazu zählt der Franziskaner Bogdan Knavs, der in Laibach die Pfarre Siska leitet. Knavs zählt zu den Priestern, die auch öffentlich Kritik am Verhalten der Erzdiözese und an der Kirchenführung geübt haben, die sich bis heute nicht zu einem uneingeschränkten „Mea Culpa“ durchringen konnte. Bogdan Knavs fordert eine Rückkehr zu den Wurzeln der Kirche, die in der Zeit des Kommunismus keine wirtschaftliche Macht, sehr wohl aber große moralische Autorität gehabt habe. Bogdan Knavs:

„Papst Franziskus gibt uns wieder ein schönes Beispiel. Wir haben alle gesehen, wie er im Renault Vier fährt, und so zeigt er uns, wie wir handeln müssen. Wir sind alle eingeladen und aufgerufen, zu den Grundlagen des Evangeliums zurückzukehren, das sind Solidarität und Liebe, und das gilt insbesondere gegenüber jenen die arm und am Rande der Gesellschaft sind. Wenn sich die Kirche bemüht, in diese Richtung zu gehen, dann wird ein Teil des Ansehens wieder zurückkehren.“

Zur Pfarre des Franziskaners, der mit seinen 40 Jahren zu den jungen Priestern in Slowenien zählt, gehört auch ein Studentenheim. Dort wohnen 65 sozial bedrohte Studenten; so mancher von ihnen muss nebenbei arbeiten, weil die Eltern allein das Studium nicht finanzieren können. Auch unter diesem Eindruck fordert der Franziskaner, dass die slowenische Kirche nach dem Marburger Finanzskandal Hilfe leisten müsse; Bogdan Knavs:

„Man muss für diese Menschen etwas tun, die alles verloren haben; man muss einen Solidaritätsfonds gründen und man muss vor allem denen helfen, die sozial gefährdet sind. Diesen Menschen, die nur 100, 200 oder 300 Euro zum Leben haben, denen muss man helfen und daher habe ich auch einn Solidaritätsfonds vorgeschlagen.“

Zu den Verlusten der Anleger und zur Möglichkeit eines Solidaritätsfonds sagt der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Andrej Glavan:

„Auch ich habe verloren, weil ich mein Zertifikat eingelegt habe. Bei jeder Einlage riskiert man, dass man auch verlieren kann. Jeder hat das Recht, diese Einlage aus einer Holding zeitgerecht abzuziehen. Zu betonen ist, das ist keine Angelegenheit der Diözese im engeren Sinne, sondern das ist eine Einlage in Aktiengesellschaften, die Laien geführt haben, die aber mit der Marburger Erzdiözese verbunden waren. Ich wäre sehr froh, wenn es der Erzdiözese gelingen könnte, kleinen Aktionären zu helfen, die ihre bescheidenen Ersparnisse verloren haben; doch derzeit sehe ich keine Möglichkeit, weil die Erzdiözese am Bettelstab geht und alle Immobilien verlieren wird, die sie auch über die Jahrhunderte erworben hat.“

Diese Lage der Erzdiözese Marburg bestätigt auch der Wirtschaftsdirektor der Diözese Graz-Seckau, Herbert Beiglböck. Das Engagement der Grazer begann im Juni 2012 mit einem Ersuchen um Hilfe durch die Erzdiözese. Zunächst ging es darum, die Verbindlichkeiten zu ermitteln, für die Marburg auch selbst haftet. Diese Summe ist zwar viel kleiner als die Verbindlichkeiten der in Konkurs gegangenen Gesellschaften, doch an der Überschuldung von Marburg besteht kein Zweifel. Dazu sagt Herbert Beiglböck:

"Wir wissen relativ genau, dass die Erzdiözese gesicherte Verbindlichkeiten von 37 Millionen Euro hat, und dass es noch in der ähnlichen Größenordnung ungeklärte Fragen gibt, das sind Haftungserklärungen, die unterschiedlich beurteilt werden; aber das heißt, im gesamten 70 Millionen könnten schlagend werden an Verbindlichkeiten. Das Vermögen der Erzdiözese besteht im Wesentlichen aus Liegenschaften, Gebäude und Flächen; das ist momentan sehr schwer zu bewerten, weil ja die Immobiliensituation in Slowenien sehr schwierig ist. Aber es wird sich in der Größenordnung von etwa bei 30 Millionen bewegen."

Von den 37 Millionen entfallen 24 Millionen auf Banken, wobei die meisten Kredite slowenische Töchter österreichischer Banken gewährt haben. Mit den Gläubigern wird derzeit über einen Vergleich verhandelt, wobei auch die Diözese Graz-Seckau zur Finanzhilfe bereit sei, erläutert Wirtschaftsdirektor Herbet Beiglböck:

"Im Rahmen dieses Vergleiches ist es denkbar, dass bei der Verwertung der verschiedenen Gebäude und Liegenschaften wir gemeinsam mit anderen Diözesen ein oder zwei Kernimmobilien übernehmen. Das eine betrifft das Bischofshaus, das andere könnte eben diese Aloisius-Kirche sein, oder ein anderes Gebäude in unmittelbarer Nähe zum Bischofshaus."

Ziel ist es, die seelsorgerische Tätigkeit der Erzdiözese Marburg zu sichern, um so die Grundlagen für den schrittweisen Wiederaufbau von Vertrauen zu schaffen. Insgesamt steht somit der katholischen Kirche in Slowenien ein schwieriger Weg zurück in die Herzen der Gläubigen bevor.

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