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Historische Kontroverse in Slowenien

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Berichte Slowenien
Anfang März öffneten Historiker und Gerichtsmediziner in der Stadt Lasko ein Massengrab aus der Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Vermutet werden bis zu 4000 Tote, die Partisanen hier liquidiert und vergraben haben. Zwei Monate später beschloss die Gemeinde Laibach, nach 17 Jahren wieder eine Straße nach dem kommunistischen Diktator Josip Bros Tito zu benennen. Beide Ereignisse - Massengrab und Tito - lösten heftige Debatten in Slowenien aus. Denn die Teilung zwischen den politischen Urenkeln der Partisanen und den Erben, des nationalkonservativen, katholischen Slowenien ist bis heute nicht überwunden. Ihr ist Christian Wehrschuetz in Slowenien auf den Grund gegangen, der darüber den folgenden Beitrag gestaltet hat:

Auf dem Weg von einer kleinen Provinzstadt zur Hauptstadt eines unabhängigen Staates hat Laibach binnen 70 Jahren zwei Weltkriege und den Zerfall zweier Vielvölkerstaaten durchlebt. Nach dem Ende der Monarchie wurden Straßen entweder slowenisiert oder umbenannt. So wurde aus der Beethoven Straße die Beethovena Ulica während Kaiser Franz Josef dem serbischen König Alexander weichen musste. Alexander wiederum fiel 1945 der kommunistischen Machtergreifung zum Opfer, während Tito und Co nach der Unabhängigkeit Sloweniens vor 18 Jahren in Laibach aus dem Stadtbild verschwanden. Diese Umbenennungen missbilligt Peter Bozic, der Vorsitzende der Kommission für Straßennamen in Laibach:

„Wir haben die Franz-Josef-Straße umbenannt, das ist meiner Meinung sehr schlecht, weil wir hunderte Jahre in Österreich gelebt haben. Die Geschichte darf man nicht auf solche Weise behandelt. So ein Verhalten gegenüber der Identität einer Stadt oder gegenüber der Geschichte eines Volkes, das ist Liquidieren der eigenen Geschichte und der eigenen Identität; und die Geschichte wird dann immer dünner und kleiner.“

Peter Bozic befürwortet daher, dass Josip Bros Tito in Laibach nun wieder präsent sein soll, obwohl seine Straße gerade erst gebaut wird. Dieser Meinung teilt nach einer auch die Mehrheit der Laibacher. In 11 anderen Städten Sloweniens gibt es noch eine Tito-Straße. Sie blieb bestehen, weil die Mehrheit der Bewohner und die Linksparteien dafür sind, während die nationalkonservativen-katholischen Parteien eine Umbenennung fordern. In diesem Sinne sammelte in Laibach die Jugendorganisation der Kleinpartei Neues Slowenien 5.000 Unterschriften gegen die geplante Tito-Straße. Der Vorsitzende der Parteijugend, Jernej Vrtovec, begründet sein Nein zur Tito-Straße so:

“Josip Bros Tito ist schuld an den Morden nach dem Krieg; er hat sie direkt angeordnet; er ist verantwortlich für die Verletzung der Menschenrechte, für das Leiden des Volkes und für ein nicht demokratisches Jugoslawien. Hätte Tito 1991 noch gelebt, hätte er die Unabhängigkeit Sloweniens nicht zugelassen. Aus all diesen Gründen muss man verhindern, das eine Straße seinen Namen trägt.“

Die Debatte über Tito und die Verbrechen seiner Partisanen hat im März durch die Öffnung eines Massengrabes in der Gemeinde Lasko neue Nahrung bekommen. In einem Bergwerk, der „Huda Jama“, der Bösen Grube, vermuten Historiker bis zu 4.000 Personen, die von Partisanen im Frühsommer 1945 liquidiert wurden. 460 mumifizierte Leichen haben Gerichtsmediziner bereits untersucht. Erste Ergebnisse fasst der Leiter der Kommission für Massengräber, der Historiker Joze Dezman, zusammen:

„Vor dem Ort, wo wir die Masse an Skeletten gefunden haben, gab es einen engeren Raum; dort mussten sich die Menschen nackt ausziehen; dann mussten sie sich hinlegen und wurden mit Kopfschuss getötet. Das ist weitgehend bestätigt. Was die Nationalität, das Alter und das Geschlecht betrifft, so warten wir auf die Gerichtsmedizin. Einiges spricht dafür, dass hier wahllos gemordet wurde, wie auch im Gotscheer Hornwald. Dort wurden auch Invalide und Verwundete ermordet. Das zeigt nur, wie schrecklich diese Taten waren.“

Doch nicht nur Gerichtsmediziner und Historiker sind am Werk; die Kriminalpolizei vernimmt Zeugen, die sich nach Angaben Dezmans in unerwartet großer Zahl gemeldet haben. Ob es auch zu Strafverfahren kommen wird, ist derzeit völlig offen, doch die Aussagen sind auch für Historiker sehr wertvoll. Knapp 600 Massengräber aus der Zeit unmittelbar nach Kriegsende haben Dezman und seine Kommission in Slowenien erfasst. Etwa 100.000 Personen wurden binnen sechs Monaten liquidiert, schätzt Dezman. Das sind mehr Tote als in vier Jahren Krieg in Slowenien. Natürlich wurden auch Personen ermordet, die selbst Verbrechen begangen oder mit den Besatzungsmächten kollaboriert haben; doch Gerichtsverfahren gab es kaum, und schon gar keine, die rechtsstaatlichen Kriterien entsprachen. Die Bewertung dieser Ereignisse spaltet nicht nur die Historiker, sondern auch die politischen Parteien. Sie verkörpern die Nachfahren der Partisanen-Generation und des nationalkonservativen, bürgerlich-katholischen Slowenien. Zur Linken zählt auch Staatspräsident Danilo Türk; Josip Bros Tito beschreibt Danilo Türk als komplexe, historische Persönlichkeit:

"Ohne Tito wäre der Widerstand gegen Nazismus und Faschismus auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien kaum erfolgreich gewesen. Tito hat sich auch Stalin widersetzt und damit 1948 eine neue Situation geschaffen, die den kommunistischen Block sehr stark aufgelockert hat. Damit konnte der Kalte Krieg anders ablaufen, als es der Fall gewesen wäre, wenn der kommunistische Block kompakt geblieben wäre. Tito hat auch eine neue Politik in Bezug auf die Entwicklungsländer gestaltet. All das sollte man berücksichtigen; Ich meine aber nicht, dass gute Seiten schlechte Seiten rechtfertigen in der Rolle Titos, doch man darf auch die positiven Seiten nicht übersehen."

Wegen einer ersten, missverständlichen Aussage zum Massengrab bei Lasko wurde Türk von konservativen Politikern massiv kritisiert. Nunmehr sagt Türk zur Huda Jama:

"Heute stellen sich uns zwei Aufgaben: erstens müssen wir uns pietätvoll mit diesem Thema befassen; das darf nicht im Widerspruch stehen zu forensischen Untersuchungen und zur historischen Erörterung. Das gilt auch für die strafrechtliche Verfolgung jener Personen, von denen festgestellt werden kann, dass sie für bestimmte Verbrechen verantwortlich waren. Zweitens ist es sehr wichtig, dass die politischen Parteien die Geschichte nicht für ihre tagespoltischen Abrechnungen verwenden.

Türk lässt offen, was aus dem Massengrab werden und mit den Opfern geschehen soll. Im Gegensatz dazu, hat die Kommission für die Massengräber unter Joze Dezman klare Beschlüsse gefasst. Joze Dezeman:

„Ersten sollen alle Opfer aus der Grube geboren und begraben werden, voraussichtlichen im Gedächtnispark in Tezno bei Cilli. Zweitens soll der Staat das Bergwerk aufkaufen und drittens der Öffentlichkeit zugänglich machen, denn dieser Ort soll ein Museum des Titoismus werden.“

Ob diese Pläne umgesetzt werden ist ebenso ungewiss wie die Zukunft der Kommission. Eingesetzt wurde sie unter der konservativen Regierung, doch seit Jahresende regiert ein Mitte-Links-Kabinett in Slowenien. Dazu sagt Dezman:

„Als wir vom Regierungschef und vom Staatspräsidenten empfangen wurden, garantierten sie, dass die Kommission ihre Arbeit fortsetzen wird. Doch wegen der danach entstandenen politischen Spannungen steht die Regierung jetzt vor der Entscheidung, in welcher Form und mit welchen Kompetenzen die Kommission weiter arbeiten wird. Möglich ist, dass sie ihre Kompetenzen verliert. Kommt es dazu, wäre dies Ausdruck des Versuchs der Politik, das Ansehen des Titoismus zu retten, so weit das noch möglich ist.“

Sicher ist, dass Laibach demnächst eine Tito-Straße bekommen wird. Unsicher ist aber somit, ob in Slowenien Öffentlichkeit und politische Eliten die Kraft aufbringen werden, sich auch den dunkeln Seiten Titos zu stellen, die mit der Öffnung der Huda Jama und den schockierenden Bildern des Massengrabes wieder ein Mal ans Licht gekommen sind.

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