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Die „Gelöschten“ in Slowenien

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Am ersten Mai treten der EU zehn neue Mitglieder bei. Zu ihnen gehört das zwei Millionen Einwohner zählende Slowenien. Es gilt als Musterland unter den neuen Mitgliedern. Doch dieses Bild bekommt zunehmend Risse. Grund dafür ist der Umgang mit den sogenannten „Ausgelöschten“. Diese 18.000 Personen gehören zur Gruppe von insgesamt 200.000 Personen aus anderen ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken, die zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit im Jahre 1991 in Slowenien lebten. Ihnen wurde 1991 die slowenische Staatsbürgerschaft versprochen, um die binnen sechs Monaten angesucht werden musste. 18.000 versäumten aus diversen Gründen die Frist. Ihnen wurde im Februar 1992 ohne Rechtsgrundlage und ohne Information die Aufenthaltsgenehmigung entzogen. Verloren gingen damit auch Sozial- und Pensionsversicherung sowie Arbeitserlaubnis. Nach jahrelangem Kampf haben 14.000 dieser 18.000 „Ausgelöschten“ ihren Status regeln können. Doch weiter kämpfen sie alle um eine rückwirkende Gewährung der Aufenthaltsgenehmigung sowie um eine Entschädigung. Dieses Bemühen erlitt am Sonntag einen Rückschlag. Denn in einem Referendum stimmten die große Mehrheit der teilnehmenden Slowenen gegen ein Gesetz, dass 4.000 dieser Ausgelöschten rückwirkend die Aufenthaltsgenehmigung gewähren sollte. Unser Korrespondent Christian Wehrschütz^ hat einige der sogenannten Ausgelöschten besucht und einen Beitrag über ihr Leben und ihren Kampf gestaltet:

Insert1: 0’23 Mirjana Ucakar, „Ausgelöschte“ aus Ptuj

Insert2: 1’01 Mirjana Ucakar, „Ausgelöschte“ aus Ptuj

Insert3: 2’35 Aleksander Todorovic, Voritzender der „Ausgelöschten“

Insert4: 3’47 Jelka Zorn, Soziologin und Autorin

Insert5: 4’37 Mateuz Krivic, Jurist

Insert6: 5’25 Mateuz Krivic, Jurist

Insert7: Branko Grims, Oppositionspartei SDS

Gesamtlänge: 7’22

Bericht: Christian Wehrschütz

Kamera: Ivan Klaric

Ton: Hans Kelih

In Ptuj, dem alten steirischen Petau, lebt die ehemalige Bankangestellte Mirjana Ucakar. 1991 suchte sie nicht um die slowenische Staatsbürgerschaft an und verlor im Februar 1992 die ständige Aufenthaltsgenehmigung. Die Frau versäumte die Frist wissentlich, weil sie sich stets als Slowenin fühlte, denn:

0’23

„Geboren bin ich in Ptuj, die Mutter ist Slowenin, der Vater Serbe. Mein Vater lebte in Vinkovci in Kroatien bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges und 1946 übersiedelte er nach Ptuj. Ich selbst bin 1953 geboren und nun 50 Jahre alt. In Ptuj habe ich Grundschule und Gymnasium besucht und anschließend in Laibach studiert.“

Als die Frau ihren 1992 geborenen Sohn beim Standesamt melden wollte, erfuhr sie, dass sie aus dem Aufenthaltsregister gelöscht worden war. Dieses Schicksal, ein Ausgelöschter zu werden, blieb ihren Kindern jedoch erspart:

1’01

„Mein Kind war sofort Slowene, doch auch meine Tochter, die noch im alten Jugoslawien geboren wurde, ist auch ohne Probleme Slowenin, auch mein Mann ist Slowene, nur ich bin Kroate, das heißt aus einem serbischen Vater und einer slowenischen Mutter wurde eine Kroatin geboren – ihrer Logik nach. Denn mein Vater war in Vinkovci registriert und so haben sie das auch mit mir gemacht.“

Beim Gemeindeamt in Ptuj suchte die Frau noch 1992 um die Staatsbürgerschaft an. Doch die Jahre vergingen und jahrelang lebte die Frau ohne Papiere, ohne Sozial- und Pensionsversicherung. Mirjana Ucakar überlebt durch Schwarzarbeit, und weil sie bei ihrem Mann mit krankenversichert war. Die Aufenthaltsgenehmigung bekam die Frau im Jahre 2000, die Staatsbürgerschaft Ende 2003.

Die 18.000 Ausgelöschten sind eine sehr vielfältige Gruppe mit Wurzeln, die in das gesamte ehemalige Jugoslawien zurückreichen. Ein Kosovo-Albaner, der seit 1983 in Slowenien lebt, zählt ebenso dazu wie ein Kroate, der 1963 mit 15 Jahren nach Marburg kam oder ein ehemaliger Schlosser, der 1944 in Slowenien geboren wurde.

Sie alle hielten sich durch Schwarzarbeit, als Nebenerwerbsbauern, mit Hilfe der Familie und von Freunden über Wasser. Zu ihnen zählt der Archäologe Aleksander Todorovic. Der gebürtige Serbe kam vor 20 Jahren zu Ausgrabungen nach Ptuj, lernte seine Frau kennen, blieb und wurde 1992 ebenfalls ausgelöscht:

„Allen Personen, die vergessen haben, nicht wollten oder nicht informiert waren, hätte der Staat den Status eines Ausländers gewähren müssen Wenn wir schon derart unsinnige Gesetze haben, hätten sie uns in dem Moment, in dem sie die slowenischen Dokumente ungültig machten, Dokumente für Ausländer geben müssen, damit wir unser Leben kontinuierlich in unseren Häusern und Familien fortsetzen können.“

Todorovic bekam seine Aufenthaltsgenehmigung 1996 zurück. Vor zwei Jahren gründete er den Verein der Ausgelöschten, der 700 Mitglieder zählt. Der Verein fordert, dass alle Ausgelöschten rückwirkend ab 1992 die Aufenthaltsgenehmigung zurückbekommen, und dass der Staat eine Entschädigung bezahlt. Doch bis dahin ist der Weg noch weit, wobei jahrlang weder Bürokratie noch Politik besonders bemüht waren, eine Lösung zu finden. Begünstigt wurde diesen Verhalten durch das geistige Klima, das in den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit in Slowenien herrschte, obwohl einige wenige Medien sich des Themas bereits 1994 annahmen. Dazu sagt die Soziologin Jelka Zorn, die Mitautorin eines Buches über die Ausgelöschten ist:

„Das gesamte Klima war nach der Unabhängigkeit Sloweniens sehr negativ gegenüber all den Personen, die nicht slowenischer Abstammung waren. In den Straßen wurden sogar Unterschriften für ein Referendum gesammelt, um erteilte Staatsbürgerschaften wieder zurückzunehmen. Das warf diese Personen sehr zurück, die nicht slowenischer Abstammung waren, ließ sie verstummen, so dass sie nicht um ihre Rechte kämpfen konnten. Ich denke, dass gerade diese Tatsache, dass die Ausgelöschten zehn Jahre ihre Stimme nicht öffentlich erheben konnten, im wesentlichen für sie die schlimmste Verletzung ihrer Menschenrechte war.“

Erst im Jahre 1999 änderte sich die Lage langsam durch ein Erkenntnis des slowenischen Verfassungsgerichtshofes. Daraufhin beschloss das Parlament ein Gesetz, dessen Wirkung der Jurist Mateuz Krivic so beschreibt:

„Dieses Gesetz ermöglichte es den Leuten, noch ein Mal eine Aufenthaltsbewilligung zu beantragen. Etwa 7.000 der Ausgelöschten machte das.“

Doch sie bekamen die Aufenthaltsbewilligung nur ab1999 und nicht rückwirkend. Das sei verfassungswidrig gewesen, betont Krivic, der selbst ehemaliger Richter des Verfassungsgerichtshofes und Rechtsbeistand der Ausgelöschten ist. Er formulierte auch die zweite Klage, die dazu führte, dass der Verfassungsgerichtshof eine rückwirkende Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung anordnete. Das Parlament beschloss dann Ende November 2003 ein sogenanntes technisches Gesetz.

„Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes verlange, diese rückwirkenden Bescheide etwa 12.000 Personen zu geben. Aber dieses technische Gesetz hat diese Zahl auf nur etwa 4.000 gemindert.“

Doch ein Referendum brachte nun am Sonntag dieses Gesetz zu Fall. 94 Prozent der teilnehmenden Slowenen stimmten dagegen. Sie folgten damit der konservativen und nationalistischen Opposition unter SDS-Vorsitzendem Janez Jansa. Er benutzt die in Slowenien unpopulären Ausgelöschten, um gegen die Mitte-Links-Regierung punkten zu können, die nun neue Wege finden muss, um das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes umzusetzen.

Die Opposition ist gegen die kollektive Erteilung rückwirkender Aufenthaltsgenehmigungen. Sie warnt davor, dass in diesem Fall auch Angehörige der ehemaligen jugoslawischen Streitkräfte einen Entschädigungsanspruch erhalten könnten.

„Das kann zur absurden Situation führen, dass de facto einer, der im Krieg für Slowenien verwundet wurde, seinem früheren Angreifer eine Entschädigung zahlen muss. Auch jene, die 1992 ihren Status regelten, müssen dann jenen eine Entschädigung zahlen, die das nicht tun wollten.“

Grims kritisiert auch, dass das Innenministerium unter Berufung auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes bereits 2000 rückwirkende Bescheide ausstellt hat. Die Regierung versucht zu vermeiden, dass die Ausgelöschten zum Thema der im Herbst stattfindenden Parlamentswahl werden. Außerdem belastet das Thema zunehmend das Image Sloweniens, und das kommt angesichts des bevorstehenden EU-Beitritts ebenfalls ungelegen. Doch für die Ausgelöschten ist eine rasche Lösung nicht in Sicht, zumal auch eine Entschädigung noch offen ist. Die Ausgelöschten werden wohl noch einige Jahre um ihre Rechte kämpfen müssen.

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