Absolute Mehrheit mit Schönheitsfehler
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Berichte Serbien
Fraglich ist, ob und wenn ja mit wem Vucic nun im Parlament koalieren wird. Die Sozialisten und Außenminister Ivica Dacic sind ein ungeliebter Partner, auch weil Dacic sehr gute Kontakte nach Russland haben soll. Andererseits verlor Dacics sozialistischer Wahlblock gestern 14 Sitze und ist damit jedenfalls etwas geschwächt. Sein Hauptziel hat Vucic aber erreicht; er kann wieder vier Jahre regieren, und damit Serbien bei den Beitrittsgesprächen ganz nahe an die EU heranführen, wenn er die Kraft zu schmerzlichen Strukturreformen – von der Justiz bis zum öffentlichen Sektor – aufbringt. Außerdem konnte er sich gegenüber dem Ausland als Politiker der Mitte präsentieren,denn abgesehen von Dacic repräsentieren die übrigen 10 Parteien einen enormen weltanschaulichen Spannungsbogen.
Das beginnt mit zwei ultranationalistischen Parteien, die gegen die EU und für eine enge Anbindung Serbiens an Russland sind. International am bekanntesten ist die Radikale Partei unter Vojislav Seselj; sie schaffte den Wiedereinzug und ist mit 8 Prozent und 21 Sitzen drittstärkste Kraft. Seselj hatte mit dem Haager Tribunal einen sehr guten, (unfreiwilligen) Wahlkampfhelfer; sein Freispruch Ende März nach 11 Jahren Haft verschaffte im zusätzliche Popularität und Medienpräsenz in Serbien. Nur hauchdünn meisterte dagegen die Koalition von DSS/Dveri die Fünf-Prozent-Hürde. Die Wähler dieser ultranationalistischen Gruppe sind jünger und gebildeter als Seseljs Anhänger und stark mit der serbisch-orthodoxen Kirche verbunden. DSS/Dveri gewann gestern 13 Mandate. Am anderen, linken Ende des politischen Spektrums in Serbien stehen die Epigonen der einst starken Demokratischen Partei (DS), die unter Zoran Djindjic im Herbst 2000 federführend beim Sturz von Slobodan Milosevic war. Zusammen haben sie im Parlament 29 Mandate (11 Prozent). Korruption war ein wesentlicher Grund für den Niedergang dieser politischen Bewegung. Viele enttäuschte Wähler der DS stimmten für die liberale Protestbewegung „Es reicht“, die 16 Sitze gewann. Hinzu kommen noch Parteien nationaler Minderheiten mit 10 Sitzen.
Nur eingeschränkt zufrieden waren mit den Wahlen die Beobachter von Europarat und OSZE. Zwar gab es keine nennenswerten Fälle von Wahlbetrug, doch im Wahlkampf herrschte keine annähernde mediale Chancengleichheit zwischen Regierung und Opposition. Hinzu kamen die weitverbreitete Autozensur und der Umstand, dass die Regierungsparteien ihren Amtsbonus nach Kräften nutzen.