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Tomislav Nikolic – Spitzname „Totengräber“

Zeitung
Wiener Zeitung
Berichte Serbien


In Serbien hat die Stichwahl um das Präsidentenamt gestern für viele Serben mit einer großen Überraschung geendet. Denn der favorisierte sozialdemokratische Amtsinhaber Boris Tadic wurde abgewählt; neuer Präsident wird der 60 Tomislav Nikolic, der sich in den vergangenen drei Jahren vom Ultranationalisten zum Mitte-Rechts-Politiker gewandelt hat. Nikolics Sieg hängt vor allem mit der niedrigen Wahlbeteiligung zusammen. Von den 6.7 Millionen Stimmberechtigten wählten nur 3,1 Millionen, das sind etwas mehr als 46 Prozent, ein Rückgang von mehr als zehn Prozent gegenüber der ersten Runde vor zwei Wochen. Damit trat ein, was Meinungsforscher vorhergesagt hatten, nämlich dass eine Wahlbeteiligung um die drei Millionen Wähler eher für Nikolic spricht, der vor allem Serben ansprach, die mit der tristen sozialen Lage und einer Arbeitslosigkeit von etwa 25 Prozent unzufrieden sind. Doch Unzufriedene sind bekanntlich motovierter einen Denkzettel zu verpassen als zufriedene Wähler. Für Nikolic stimmten mehr als 1,5 Millionen Wähler; Tadic liegt etwa 72.000 Stimmen zurück, wobei im Ergebnis noch einige Tausend Stimmen aus dem Kosovo fehlen, die noch nicht ausgezählt sind das Ergebnis aber nicht mehr verändern können.

Doch Boris Tadic verlor vor allem wegen der Unzufriedenheit vieler seiner potentiellen oder bisherigen Wähler. Dafür sprechen, dass mehr als 100.000 Stimmen ungültig waren und dass Tadic die Wahl auch in Belgrad verlor. Das war entscheidend, weil Nikolic in Zentralserbien klar gewann und Tadic den Rückstand durch seinen Sieg in der Provinz Vojvodina nicht aufholen konnte. Unzufrieden sind viele Anhänger von Tadic und seiner Demokratischen Partei (DS) mit der grassierenden Korruption; abstoßend wirkte die Schmutzkübelkampagne, die praktisch alle großen Medien gegen Nikolic und seine Fortschrittspartei (SNS) führten. So gab es so manche „bürgerliche“ Wähler, die wohl für Nikolic stimmten, weil sie der DS und Tadic nicht mehr die ganze Macht im Land überlassen wollten, die die Partei vier Jahre lang nicht mit besonders berauschenden Ergebnissen inne hatte. Denn die DS regierte in Belgrad, in der Vojvodina und voraussichtlich, dominierte die Regierung und stellte auch den Präsidenten, dessen Wiederwahl gesichert schien, was ebenfalls Wähler abgehalten haben könnte. Sicher in der Hand hat die DS nun nur noch Belgrad und die Vojvodina, während das Präsidentenamt an Nikolic verloren ging.

Der künftige Präsident ist verheiratet, Vater zweier erwachsener Söhne und fünffacher Großvater. Nikolic wurde im Februar 1952 in der zentralserbischen Stadt Kragujevac geboren. Nach Abschluss der mittleren technischen Schule arbeitete er in einer Baufirma und war später für die Gemeindebetriebe und damit auch für die städtische Bestattung zuständig. Das brachte ihm den Spitznamen Grobar, zu Deutsch „Totengräber“ ein. Nikolic zählt zu den Gründungsmitgliedern der ultranationalistischen Partei SRS und blickt auf eine 20-jährige Karriere als Politiker zurück. Ab 2003 führte er die Partei, nachdem sich ihr Vorsitzender Vojislav Seselj freiwillig dem Haager Tribunal stellte, wo sein Prozess bis heute nicht abgeschlossen ist. 2008 zerbrach die Achse Nikolic – Seselj an der Frage der Haltung zur EU und Nikolic gründete die serbische Fortschrittspartei, die sich als Mitte-Rechts-Bewegung versteht und Mitglied in der Gruppe der Europäischen Volksparteien werden will. Wie für den Fall seines Siegs im Wahlkampf angekündigt, wird Nikolic nun seine Funktion als Parteichef zurücklegen, um „Präsident aller Serben sein zu können“.

Noch in der Wahlnacht bekannte sich Tomislav Nikolic klar zur EU-Integration Serbiens, forderte ebenso wie alle anderen Politiker den Schutz der Kosovo-Serben und bekannte sich zu guten Beziehungen mit allen Nachbarn, trotz so mancher offener Probleme, die etwa noch mit Kroatien aus der Kriegszeit bestehen. Als erste Reiseziele nannte Nikolic ohne Reihung Moskau, Brüssel oder Washington. Besonders betonte er den Wunsch nach einem Treffen mit Angela Merkl, weil Deutschland der wichtigste Verbündete Serbiens auf dem Balkan sei. Doch ebenso wie in Österreich hat in Serbien der Staatspräsident vorwiegend protokollarische Funktion, und die Außenpolitik dominiert die Regierung, die nach derzeitigem Stand wohl die Partei von Boris Tadic und die Sozialisten bilden werden. Damit dürfte auch die Rolle des Präsidenten wieder auf das in der Verfassung vorgesehene Maß beschränkt werden, denn Boris Tadic war nur mächtig, weil er gleichzeitig Parteichef der DS war. Doch mit seiner Niederlage könnte die Bildung eines neuen Kabinetts nach den Parlamentswahlen vor zwei Wochen nun viel schwieriger werden. Tadic will nicht Ministerpräsident werden, und sein Koalitionspartner, die Sozialisten unter Innenminister Ivica Dacic, können nun noch viel mehr Macht fordern, weil die DS politische geschwächt ist. Serbien steht somit in den kommenden Wochen eine Neuverteilung der politischen Kräfteverhältnisse bevor, doch ob eine rasche Regierungsbildung gelingt, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen.

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