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Der Balkan als politische Hängepartie

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Wiener Zeitung
Berichte Serbien
Abgesehen von der Türkei ist der so genannte Westbalkan – das ehemalige Jugoslawien minus Slowenien plus Albanien – die einzige Gruppe von Ländern, denen die EU beim Gipfel in Thessaloniki im Jahre 2003 quasi eine Beitrittsgarantie gegeben hat. Fünf Jahre später und 18 Jahre nach dem Beginn des Zerfalls des ehemaligen Jugoslawien sieht die Bilanz des Westbalkan auf diesem Weg und damit zur umfassenden politischen Stabilisierung eher ernüchternd aus. Das Ziel der vollständigen Integration in die euroatlantischen Strukturen und damit die Mitgliedschaft in NATO und EU hat bisher nur Slowenien (2004) erreicht.

Die Schattenseiten des Jahres 2008

Doch offensichtlich hat die EU sich mit Slowenien auch ein Kuckucksei ins „Nest“ geholt; denn Brüssel und die damals 15 Mitgliedsstaaten haben es verabsäumt, von Laibach zu verlangen entweder seine bilateralen Probleme mit Agram (Zagreb) vor dem Beitritt zu lösen oder jedenfalls die Zusicherung abzugeben, den Beitritt Kroatien nicht zu blockieren. Gerade das ist nun geschehen, weil der Streit um die Seegrenze in der Bucht von Piran und um die Landgrenze an der Mur von Slowenien nun zum Anlass genommen wurde, die Schließung und die Eröffnung von Verhandlungskapiteln zu blockieren. Kroatien hat somit in der Praxis wohl kaum eine Chance mehr, die Verhandlungen über den EU-Beitritt bis Ende 2009 abzuschließen. Gemessen am bisherigen Tempo wäre ein Abschluss wohl nur mehr möglich, wenn entweder Brüssel und die EU-Mitglieder plötzlich „Diskontpreise“ für den Abschluss einzelner Kapitel anbieten oder Kroatien plötzlich eine bisher unbekannte Effizienz bei den Verhandlungen an den Tag legt.

Slowenien, Griechenland und die Niederlande

Diese beiden Szenarien können aber nur zum Tragen kommen, wenn Slowenien und Kroatien ihren Konflikt zuvor bilateral beilegen oder bereit sind, den Spruch eines Schiedsgerichtes zu akzeptieren. Nun ist jedenfalls auch die EU selbst an einer Lösung interessiert, weil die Änderungen des Lissaboner Vertrages zugunsten Irlands via Ratifizierung des kroatischen Beitrittsvertrages abgesegnet werden sollen; damit will die EU vermeiden, dass der Vertrag von Lissabon nach einem allfälligen positiven zweiten irischen Referendum neuerlich von allen anderen EU-Staaten ratifiziert werden muss. Möglich ist, dass nun der EU-weite Druck auf Slowenien zunimmt, doch mit welchem Erfolg ist offen. Sicher ist jedenfalls, dass die EU und ihre Mitglieder das slowenisch-kroatische Problem ebenso viel zu lange zur bilateralen Fragen erklärt haben und damit ebenso schleifen ließen wie den Namensstreit zwischen Griechenland und Mazedonien. In diesem Fall bemüht sich ein US-Vermittler im Auftrage der UNO seit geraumer Zeit um einen Kompromiss, allerdings ohne sichtbaren Erfolg. Deutlich sichtbar wurde jedoch der Misserfolg; so scheiterte Mazedoniens Aufnahme in die NATO heuer am Veto Griechenlands; das bedeutete einen Rückschlag für die weitere Stabilisierung Mazedoniens, weil die euroatlantische Integration der „Kitt“ zwischen mazedonischer Mehrheit und albanischer Volksgruppe sind, deren Konflikt im Jahre 2001 das Land bereits n den Rade des Zerfalls brachte. Diesen Kitt bildet nun die Macht, denn die stärkste albanische Partei, die aus der Freischärlerbewegung hervorgegangen ist, sitzt und als Juniorpartner in der Regierung.

Auch die EU-Annäherung verläuft im Kriechgang; den Kandidatenstatus hat Mazedonien nun sein mehr als drei Jahren, ohne das Beitrittsverhandlungen begonnen hätten. Verantwortlich dafür sind natürlich viele Probleme, die Mazedonien bisher nicht gelöst hat(Korruption, Kriminalität, rudimentär entwickelter Rechtsstaat etc.); doch das Schlimme daran ist, dass die konservative mazedonische Regierung damit recht gut leben kann, weil die pro-europäische Opposition weitgehend unfähig und Griechenland ein dankbarer Sündenbock ist.

Doch Slowenien und Griechenland sind nicht die einzigen beiden EU-Mitglieder, die einen Sonderweg am Balkan beschreiten. Dritter im Bunde sind die Niederland; sie blockieren seit Monaten die Anwendung des Stabilisierungs- und Assoziationsabkommens der mit Serbien, weil der mutmaßliche Kriegsverbrecher Ratko Mladic noch nicht gefasst ist. Praktisch nicht honoriert wurde somit, dass Radovan Karadzic an das Tribunal ausgeliefert wurde und generell Belgrad mit Den Haag intensiv zusammenarbeitet. Doch am geringen Tempo der EU-Annäherung ist auch die serbische Regierung mit Schuld. Die Mehrparteienkoalition erweckt den Eindruck eines zerstrittenen Haufens, der mit vielen Gesetzen säumig ist. Hinzu kommt, dass es der Regierungsmehrheit im Parlament nicht gelingt, die Obstruktion der nationalistischen Opposition zu beschränken, die durch Geschäftsordnungstricks die Arbeit des Parlaments massiv behindert. Von etwa 50 Schlüsselgesetzen wurden 10 verabschiedet, Visafreiheit und EU-Kandidatenstatus sind für 2009 kaum mehr erreichbar.

Kosovo

Während die EU vor allem wegen der Niederlande die Annäherung Serbiens de facto blockiert, haben sich Brüssel und die Mitgliedsstaaten im Kosovo als äußerst nachgiebig gegenüber Serbien erwiesen. So wurde Stationierung der Polizei- und Justizmission EULEX mit fragwürdigen Zugeständnissen an Serbien erkauft, die die albanische Mehrheit immer stärker frustrieren. Trotzdem dauerte es zehn Monate ehe EULEX nach der Erklärung der Unabhängigkeit stationiert werden konnte. Weit bedenklicher als die Kompromisse im Zusammenhang mit EULEX ist jedoch die Tatsache, dass der Kosovo de facto nach wie vor wie ein Emmentaler wirkt. In den serbischen Enklaven und im kompakt besiedelten serbischen Norden gilt weitgehend serbisches Recht, und Belgrad bemüht sich auch weiter nach Kräften, die Landeseinheit zu untergraben. Dabei kommt Serbien zugute, dass fünf EU-Staaten den Kosovo nach wie vor nicht anerkennen. Das zeigt gemeinsam mit den oben genannten Beispielen auf, dass e in der EU nach wie vor keine konsistente Balkan-Politik gibt. Bezahlt wird dieses Manko auch damit, dass die „Liebe“ der Albaner zu internationalen Missionen drastisch sinkt. Die Nagelprobe für EULEX wird jedenfalls kommen, sollte die Mission tatsächlich erfolgreich sein. Dann wird sie auch so manchen führenden Politiker im Kosovo nahe treten müssen, die tief in die Organisierte Kriminalität verstrickt sein sollen.

Zu den Schattenseiten des Balkan zählt im Jahre 2008 auch die Lage in Bosnien und Herzegowina. Das gemeinsame Staatsgebilde der Bosnjaken, Kroaten und Serben gleicht nach wie vor einem bürokratischen Monstrum, das in dieser Form weder überlebensfähig noch fähig ist, sich der EU anzunähern. Offensichtlich zählt das auch gar nicht zu den wirklichen Prioritäten; denn die politische Rhetorik vor allem zwischen führenden bosnjakischen und serbischen Politikern hat wieder eine Maßlosigkeit erreicht, die an der Bereitschaft zweifeln lässt, in diesem Staat zusammenleben zu wollen.

Und das Positive?

Trotz aller Schattenseiten sind im Jahre 2008 natürlich auch positive Entwicklungen am Balkan zu verzeichnen. Dazu zählt vor allem die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo Mitte Februar. Die albanische Frage könnte damit am Balkan endgültig gelöst sein, wenn es gelingt, die drei albanischen Staaten der Region, Albanien, Kosovo und Mazedonien in EU und NATO zu führe. Schließlich konnte die EU-Mission EULEX auch im ganzen Kosovo stationiert und die Ablösung der UNO-Verwaltung eingeleitet werden. Auch das zählt zu den positiven Entwicklungen.

Vollzogen wurde die Unabhängigkeit, ohne dass es zum Massenexodus der Serben oder zur politischen Destabilisierung Serbiens gekommen wäre; im Gegenteil. Bei der Präsidentenwahl siegte der pro-westliche Boris Tadic unter dessen Führung bei der Parlamentswahl auch ein Bündnis proeuropäischer Parteien siegte. Dieses Bündnis führt nun eine Koalition, in der zum ersten Mal seit dem Sturz von Slobodan Milosevic auch die Sozialisten vertreten sind; sie haben den langen Marsch der Parteireform begonnen. Das ist positiv für die Entwicklung des Parteienwesens; doch für die Vergangenheitsbewältigung bedeutet das wohl das vorläufige Ende, weil viele alte Milosevic-Kader wieder zu Amt und Würden gelangt sind. Positiv für das Parteiensystem wirkte sich auch die Spaltung der Ultranationalisten aus. Unter Tomislav Nikolic könnte nun auch in Serbien eine pragmatische nationalkonservative Partei nach dem Muster der HDZ in Kroatien entstehen, die langfristig als Koalitionspartner der prowestlichen Kräfte in Frage kommt.

Zu den positiven Ereignissen des Jahres 2008 zählen auch Fortschritte in der euroatlantischen Integration; Albanien und Kroatien wurden eingeladen, der NATO beizutreten, wobei der Beitritt im April erfolgen soll. Serbien, Bosnien und Montenegro unterzeichneten das Abkommen über Stabilisierung und Assoziation, wobei Montenegro nunmehr auch bereits den Status eines EU-Beitrittskandidaten beantragt hat.

Ein durchzogenes Bild bietet dagegen die Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal; großen Fortschritten in Serbien (Radovan Karadzic) steht der Umstand gegenüber, dass es vor allem im Kosovo offensichtlich zu massiven Drohungen gegenüber potentiellen Zeugen kam, die wiederum zu fragwürdigen Freisprüchen führten.

Der Pferdefuß des (West-)Balkan bleibt jedoch die wirtschaftliche Entwicklung; sie verlief 2008 in den potentiellen Krisenherden alles andere als berauschend. Serbien hat überhaupt das ganze Jahr verloren, obwohl die proeuropäischen Kräfte gerade damit gewannen, dass sie den Einstieg von FIAT beim maroden Autobauer Zastava präsentieren konnten. Vor allem indirekt wird jedoch die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise auch den Balkan treffen, und zwar durch das Ausbleiben von großen ausländischen Investitionen und möglicherweise auch durch das Ausbleiben von Touristen (Kroatien, Montenegro). Hinzu kommt, dass auch für die neue Führung der USA der Balkan nicht zu den Prioritäten zählten wird und die EU weiter vor allem mit sich selbst beschäftigt und geschwächt ist. Doch der Westbalkan besteht noch aus zu vielen unfertigen Baustellen, um die Region bereits sich selbst überlassen zu können.

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