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Karadzic und die Folgen

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Kleine Zeitung
Berichte Serbien
„Es wird niemals soviel gelogen, wie vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd“ - lautet eine der Lebensweisheiten des früheren deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck. Hätte es zu seiner Zeit die Suche nach mutmaßlichen Kriegsverbrechern am Balkan bereits gegeben, hätte Bismarck sein Bonmot wohl noch erweitern müssen. So hat Belgrad stets behauptet, Radovan Karadzic, der ehemalige Führer der bosnischen Serben, sei gar nicht in Serbien. Unwissenheit geheuchelt wurde auch viele Jahre im Fall des bosnischen Serben-Generals Ratko Mladic, ehe mit schöner Regelmäßigkeit immer wieder bekannt gegeben wurde, man wisse nun, wo sich Mladic vor einem Jahr aufgehalten habe. Seit einiger Zeit sind diese „Ausreden“ verstummt, und Karadzic wurde nun in Belgrad verhaftet. Trotzdem sind viele Fragen noch offen! Wie konnte sich Karadzic etwa die gefälschten Papiere und Ausweise beschaffen, deren Druckvorlagen allesamt echt sind?

Mindestens ein halbes Jahr wirkte Karadzic in Serbien als Arzt, schrieb für ein Gesundheitsjournal und hielt medizinische Vorträge, ehe die Handschellen klickten. Gelogen dürfte aber auch weiterhin werden. So behauptete das Innenministerium, es sei an der Verhaftung nicht beteiligt gewesen. Diese Behauptung soll wohl dem neuen Innenminister und stellvertretenden Regierungschef Ivica Dacic das Leben leichter machen. Denn Dacic ist Vorsitzender der Sozialistischen Partei, dessen Vorgänger Slobodan Milosevic vor zwei Jahren in einer Zelle des Haager Tribunals starb. Daher ist diese Notlüge verzeihlich; denn die Verhaftung von Radovan Karadzic symbolisiert unter diesen Umständen noch stärker die Zeitwende, die mit der neuen, proeuropäischen Regierung seit zwei Wochen in Serbien angebrochen ist, der die Sozialisten als Juniorpartner angehören.

Serbien will nun offensichtlich wirklich die Ära Milosevic und die Kriegszeit hinter sich lassen. Das ist ein schmerzlicher Prozess, denn der Verlust des Kosovo wird noch lange eine offene Wunde bleiben. Trotzdem kehren nun die serbischen Botschafter in jene EU-Staaten zurück, die die Unabhängigkeit der Provinz anerkannt haben. All diese Schritte verdienen Respekt und Unterstützung – allerdings mit Augenmaß. Denn noch ist Ratko Mladic in Freiheit, und von einer Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit kann nicht die Rede sein. Dazu trägt das Haager Tribunal leider nichts bei, weil viele Urteile nicht nur in Serbien als Fehlurteile empfunden werden. Trotzdem muss zur Stabilisierung der Region die Aussöhnung im ehemaligen Jugoslawien vorangetrieben werden. Dazu hat auch die EU ihren Beitrag zu leisten – jedoch nicht durch eine Politik, die von so manchem Nachbar als ungerechtfertigte Bevorzugung Serbiens empfunden wird – so groß die Erleichterung in Brüssel über Karadzics Verhaftung nun auch sein mag.

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