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Der Weg vom Wahlsieg bis zur Regierungsbildung ist noch steinig und ungewiss

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Wiener Zeitung
Berichte Serbien


In Serbien hat die proeuropäische Sechs-Parteien-Koalition die Parlamentswahlen nicht nur überraschen, sondern vor allem überraschen klar gewonnen. Erreicht wurde die Trendwende in den letzen Tagen vor der Wahl; den Ausschlag gab dabei der Einstieg des italienischen Autokonzerns FIAT beim maroden Autobauer Zastava im zentralserbischen Kragujevac. Bis zu 200.000 Menschen haben nun wieder Hoffnung auf Arbeit und Brot, wobei FIAT seinen Einstieg mit der Unterzeichnung des Stabilisierungs- und Assoziationsabkommens mit der EU begründete. Aus Brüssel kam somit für die Serbien zum ersten Mal etwas spürbar Gutes; so manche nationalistischen Wähler dürften daher zu Hause geblieben sein, während Unentschlossene sich für den proeuropäischen Block entschieden. Hinzu kam noch die Präsentation des Fahrplans für die Visa-Abschaffung durch die EU, der ebenfalls eine klare Perspektive bot. Diese Faktoren beeinflussten das Wahlergebnis, lautet nun die Interpretation der Meinungsforscher in Belgrad, die in geheimen Umfragen zwei Tage vor der Wahl eine Trendwende bereits erkannten, von diesem großen Vorsprung jedoch selbst überrascht wurden.

Diese proeuropäische Koalition unter Führung von Präsident Boris Tadic erreichte jedenfalls gestern 40 Prozent der Stimmen. Im 250 Sitze zählenden Parlament in Belgrad hat diese Parteienkoalition nun 102 Mandate. Mit einem Feuerwerk feierten Anhänger und Funktionäre in der Wahlnacht den klaren Vorsprung auf die nationalistische Radikale Partei die 77 Mandate oder 30 Prozent erreichte. Präsident Boris Tadic stellte daher noch in der Nacht den Führungsanspruch für sein proeuropäisches Bündnis. Doch selbst mit den 14 Abgeordneten der kleinen Liberalen Partei und den sieben Abgeordneten der nationalen Minderheiten fehlen Tadic noch drei Sitze auf die absolute Mehrheit von 126 Mandaten. Nicht mehr als möglicher Partner zur Verfügung steht das nationalkonservative Zweiparteienbündnis des noch amtierenden Ministerpräsidenten Vojislav Kostuinica. Dieser schloss noch in der Wahlnacht eine Neuauflage der Koalition mit Präsident Boris Tadic aus. Nicht überbrückbar sind die Gräben in puncto EU-Annäherung und Kosovo-Politik, die zum Scheitern der Koalition geführt haben. Kostunica ist strikt gegen den mit der EU unterzeichneten Vertrag über Stabilisierung und Assoziation, weil die Mehrheit der EU die Unabhängigkeit des Kosovo anerkannt hat.

Grund zum Feiern hatten daher gestern vor allem die Milosevic-Sozialisten. Sie gingen mit der Pensionistenpartei und einer zentralserbischen Regionalpartei eine Wahlkoalition ein; diese Rechnung ging völlig auf, und die Sozialisten erzielten mit 20 Sitzen ihr bestes Ergebnis seit dem Sturz von Slobodan Milosevic. Dessen Erblast versuchte die Parteiführung in den vergangenen Jahren Schritt für Schritt abzubauen -– vor allem seit Milosevics Tod im März 2006. Im Wahlkampf präsentierten sich die Sozialisten als (sozialdemokratisch) orientierte Arbeiterpartei. Die Parteiführung wäre einem Bündnis mit den proeuropäischen Kräften durchaus nicht abgeneigt, denn die persönlichen Beziehungen zu der nationalistischen Radikalen Partei sind gespannt: Außerdem fürchten die Sozialisten von den Radikalen in einer gemeinsamen Regierung inhaliert zu werden, denn die Affinitäten zwischen beiden Wählergruppen sind groß. Das wiederum erschwert aber eine Koalition mit dem proeuropäischen Block, denn der Lakmustest für dieses Bündnis wird die Ratifizierung des Stabilisierungs- und Assoziationsabkommens mit der EU im Parlament in Belgrad sein. Klar ist außerdem, dass die Sozialisten keine Regierung unterstützen können, in der die Liberalen vertreten sind, zu groß sind die ideologischen Unterschiede zu diesen kompromisslosen EU-Befürwortern, die als einzige Parlamentspartei bereit sind, auch die Unabhängigkeit des Kosovo zu akzeptieren. Doch das proeuropäische Bündnis hätte auch ohne die Liberalen mit den Sozialisten und den Abgeordneten der Minderheiten eine absolute Mehrheit im Parlament. Ob es zu dieser Koalition kommen kann, lässt sich so knapp nach der Wahl noch nicht sagen.

Die Sozialisten wollen jedenfalls zunächst mit Kostunica verhandeln. Mit ihm haben sie bereits einige Jahre zusammen gearbeitet, weil sie Kostunicas erste Minderheitsregierung unterstützt haben. Sozialisten und die Nationalkonservativen unter Kostunica hätten gemeinsam mit der nationalistischen Radikalen Partei mit 127 Mandaten eine absolute Mehrheit im Parlament. Diese Zahl kann jedoch nur erreicht werden, wenn die Regionalpartei aus Zentralserbien mit ihren voraussichtlich vier Sitzen im Rahmen der sozialistischen Fraktion bleibt. Diese Regionalpartei ist jedoch aus wirtschaftlichen Gründen eher für den EU-Kurs und daher ein möglicher Ansprechpartner für den. Daher setzen Kostunica und die Nationalisten auf eine Partei der Bosnjaken, die ebenfalls vier Sitze bei der Wahl gewann, um eine stabile Mehrheit sicherstellen zu können.

Erste Gespräche zwischen Kostunica und der Radikalen Partei haben am Tag nach der Wahl bereits stattgefunden. Während die Radikalen anschließend von einer breiten Übereinstimmung der Standpunkte sprachen, verlautete aus Kostunicas Partei lediglich, die Gespräche würden auch unter Einbeziehung der Bosnijaken fortgesetzt. Möglich ist jedenfalls, dass die Radikalen Kostunica anbieten weiter Ministerpräsident zu bleiben.

Klar ist zum aktuellen Zeitpunkt lediglich, dass noch alles offen ist. Das gilt sowohl für eine prowestliche Koalition als auch für ein Regierungsbündnis, dass der weiteren EU-Annäherung eine klare Absage erteilt. Nicht vergessen werden darf dabei der Druck, den die EU aber auch Russland auf die politischen Akteure in Serbien ausüben werden. Hinzu kommt noch, dass in Serbien am Sonntag auch Lokalwahlen und in der Vojvodina der erste Durchgang der Wahlen zum Provinzparlament stattgefunden hat. Vor allem die Machtfrage in Belgrad wird auch die Koalitionsverhandlungen auf nationaler Ebene beeinflussen; hinzu kommt noch der Schacher um die Machtverteilung in den kommunalen Betrieben und in den 19 großen staatlichen Unternehmen, vom Ölkonzern NIS bis hin zu Fluglinie JAT. All das wird dauern, obwohl sich Politiker aller Parteien unisono für eine rasche Regierungsbildung ausgesprochen haben. Trotzdem wird wohl mindestens ein Monat ins Land ziehen, und erst dann werden die Serben und die EU wissen, ob der Wahlsieger vom Sonntag auch die Regierungsverhandlungen gewinnen hat, und Serbien somit auf EU-Kurs bleibt; denn das politische Feilschen hat in Belgrad gerade erst begonnen.

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