× Logo Mobil

Serbien vor der Richtungswahl zwischen EU und Isolation

Zeitung
Wiener Zeitung
Berichte Serbien


Wetten ist in Serbien sehr populär, und auch auf die Parlamentswahl kann gewettet werden. Wer in einem dem vielen Wettbüros darauf setzt, dass die nationalistische Radikale Partei mehr als 92 Mandate im 250 Sitze zählenden Parlament erreicht, erhält eine Quote von 1,8. Für 1000 Dinar werden 1800 Dinar, umgerechnet 22 Euro, ausbezahlt. Dieselbe Quote besteht für das pro-europäische Sechs-Parteienbündnis unter Führung von Präsident Boris Tadic, doch muss man darauf wetten, dass die Koalition mehr als 88 Sitze gewinnt. Dieser Rückstand und damit die Einschätzung der Buchmacher deckt sich auch mit den zuletzt veröffentlichen Umfrage; sie sehen die Radikalen knapp voran, wobei Radikale und das pro-europäische Bündnis mit jeweils bis zu 35 Prozent der Stimmen rechnen können. Wahlberechtigt sind 6,7 Millionen Bürger Serbiens.

Die grundlegende ideologische Wasserscheide im Wahlkampf war das Verhältnis zur EU. Die Radikalen sind gegen eine weitere Annäherung, weil die Mehrheit der EU-Staaten die Unabhängigkeit des Kosovo anerkannt hat. Dieser Meinung sind auch Ministerpräsident Vojislav Kostunica und sein nationalkonservatives Zweiparteienbündnis sowie die Milosevic-Sozialisten. Für die weitere Annäherung an Brüssel ist dagegen das Bündnis von Boris Tadic, das jedoch die Unabhängigkeit des Kosovo ebenfalls ablehnt. Klar für die EU aber rhetorisch weit weniger entschieden für die Verteidigung des Kosovo sind die nationalen Minderheiten. Sie treten mit 10 Listen an. Für diese Parteien gilt die Fünf-Prozent-Sperrklausel nicht, sondern der natürliche Zensus. Für ein Mandat müssen sie so viele Stimmen erreichen, wie ein Sitz kostet. Die Zahl der abgegebenen Stimmen wird dabei durch die 250 Sitze dividiert, die das Parlament zählt. Etwa 10 Mandate dürften auf die Minderheiten entfallen. Kompromisslos für die EU ist die kleine Liberale Partei, die als einzige Kraft bereit ist, den Verlust des Kosovo zu akzeptieren.

Doch der Kosovo und die EU waren nicht das einzige Wahlkampfthema. Vor allem die Radikale Partei wandte sich wiederum massiv an die Armen und Arbeitslosen, forderte eine Wende und den kompromisslosen Kampf gegen Korruption und Kriminalität. Bei diesen Themen hat das pro-europäische Bündnis von Boris Tadic schlechte Karte und befand sich daher lange in der Defensive. Nach massiven Interventionen dieses Lagers bei der EU versuchte schließlich auch Brüssel in den letzen Tagen des Wahlkampfs, die Pro-EU-Kräfte in Serbien zu stärken. Brüssel präsentierte daher am Mittwoch in Belgrad einen Fahrplan zur Abschaffung der Visa; und 16 EU-Staaten werden Visa nun kostenlos ausstellen, doch die bürokratischen Hürden bleiben.

Um Tadic zu unterstützen fixierte am Dienstag auch FIAT seinen Einstieg in Serbien. Der marode Autokonzern Zastava wird übernommen, 3000 Arbeiter und viele Zulieferbetriebe können nun hoffen. FIAT begründete den Einstieg mit dem jüngst unterzeichneten Vertrag zwischen Belgrad und Brüssel über die EU-Annäherung. Unterzeichnet wurde das Abkommen im Beisein von Boris Tadic vom stellvertretenden Regierungschef Bozidar Djelic. Für die EU-Gegner ist diese Unterschrift Hochverrat. Ministerpräsident Vojislav Kostunica sieht darin die indirekte Anerkennung des Kosovo. Nach der Wahl werde das Parlament den Vertrag für nichtig erklären, versicherte Kostunica. Ob es dazu kommt ist offen. Sicher ist jedenfalls, dass Radikale und das Tadic-Bündnis zwei Partner brauchen werden, um eine Parlamentsmehrheit zustande zu bringen. Doch nicht nur die ideologischen, auch die persönlichen Gegensätze zwischen allen Parteien sind groß. Eine rasche Konstituierung des Parlaments oder gar eine rasche Regierungsbildung und ein stabiles Serbien sind daher auch nach der Wahl nicht zu erwarten.

Boris Tadic: Djindjics halbherziger Erbe

Der 1958 in Sarajevo geborene, großgewachsene Boris Tadic studierte Psychologie in Belgrad und war bereits damals politisch aktiv. Der Demokratischen Partei (DS) trat er 1990 bei. Dem Führungskreis von Ministerpräsidenten Zoran Djindjic gehörte er nie an. Erst nach dessen Ermordung 2003 schlug Tadics große Stunde; er wurde Verteidigungsminister und Spitzenkandidat der DS bei den vorgezogenen Parlamentswahlen. Tadic gelang es, die krisengeschüttelte DS vor dem politischen Absturz zu bewahren, obwohl die Partei in die Opposition gehen musste und Vojislav Kostunica Ministerpräsident wurde. 2004 übernahm Tadic auch das Amt des Parteivorsitzenden. Im Juni 2004 wurde Tadic schließlich zum Präsidenten Serbiens gewählt; im Februar 2008 schaffte er die Wiederwahl. Politisch hat Tadic seine Partei weit nationalistischer positioniert als das unter Zoran Djindjic der Fall war. Mit Kostunica schloss Tadic viele politische Kompromisse, für radikalere Reformer in seiner Partei zu viele. Das führte zur Gründung der Liberalen Partei, die aus vielen ehemaligen Mitgliedern der DS besteht.

Tomislav Nikolic: Der ewige Stellvertreter

„Vorwärts Serbien“ lautet das Motto der Radikalen Partei unter Führung des 56-jährigen in Kragujevac geborenen Tomislav Nikolic. Politisch zählt er zum Urgestein der Radikalen, die er 1991 mitbegründete. Seit damals ist Nikolic stellvertretender Vorsitzenden; de facto führt er seit mehr als fünf Jahren die Partei, weil der eigentliche Vorsitzende, Vojislav Seselj sich vor dem Haager Tribunal verantworten muss. Nikolic selbst mäßigte die extremistischen Töne und machte die Radikalen zu Partei des sozialen Protests. Falsches Pathos und große Emotionen sind seine Sache nicht, doch bei seinen Reden wirkt er viel authentischer und überzeugender als die meisten anderen Politiker Serbiens. Nikolic ist durchaus pragmatisch, pakt- und kompromissfähig. Trotzdem konnten die Partei ihre extremistische Vergangenheit und auch die Rolle des Juniorpartners von Slobodan Milosevic bisher nicht abstreifen. In dieser Zeit war Nikolic in führenden staatlichen Funktionen tätig. Diese „Erblast“ kostete ihn im Februar 2008 den Sieg bei der Präsidentenwahl, obwohl Nikolic mit mehr als 2 Millionen Stimmen das bisher beste Wahlergebnis für die Radikalen erzielte.

Vojislav Kostunica: Serbiens Gorbatschow

Der im Ausland praktisch unbekannte, 1944 in Belgrad geborene Jurist Vojislav Kostunica trat zum ersten Mal im Sommer 2000 in das Rampenlicht der Weltöffentlichkeit als er zum Kandidaten der Opposition gegen Slobodan Milosevic gekürt wurde. Milosevic stürze, und Kostunica wurde am 7. Oktober 2000 als Präsident Restjugoslawiens vereidigt. Er werde nicht Serbiens Gorbatschow sein, erklärte Kostunica ein Mal. Doch die Unabhängigkeit Montenegros musste der nationalkonservative Serbe im Sommer 2006 bereits hinnehmen. Umso härter kämpft Kostunica gegen die Unabhängigkeit des Kosovo. Er gilt als Politiker, der felsenfest zu seinen Prinzipien steht. Seinen Dr.juris erwarb Kostunica 1974 an der Universität Belgrad, die er noch im selben Jahr er aus politischen Gründen verlassen musste. 15 Jahre später lehnte er eine Rückkehr als Professor ab. Seit 1974 tätig am Institut für Gesellschaftswissenschaften, zählte Kostunica zu den Mitbegründern der Demokratischen Partei. Doch es kam zum Streit und so gründete Kostunica die DSS, die Demokratische Partei Serbiens, eine Kleinpartei in der Ära Milosevic; ihm stand er als großserbischer Nationalist weit näher als andere Oppositionelle, obwohl Kostunica mit Milosevic nur ein Mal, am 6. Oktober 2000 zusammentraf. Ministerpräsident wurde Kostunica zum ersten Mal 2004, ein Amt, das er behaupten konnte, obwohl seine Partei nur drittstärkste Kraft in Serbien ist.

Facebook Facebook