× Logo Mobil

Richtungswahl in Serbien

Zeitung
Kleine Zeitung
Berichte Serbien
In Serbien findet am Sonntag die Stichwahl um das Amt des serbischen Präsidenten statt. Zu wählen haben die 6,7 Millionen Stimmberechtigten zwischen Amtsinhaber Boris Tadic und Tomislav Nikolic, dem Kandidaten der ultranationalistischen Serbischen Radikalen Partei (SRS). Die Wahl gilt als außenpolitische Richtungsentscheidung. Nikolic will die EU-Integration aufgeben, sollte Brüssel wie erwartet demnächst die Unabhängigkeit der albanisch dominierten Provinz Kosovo anerkennen. Dagegen will Tadic auch für diesen Fall am EU-Kurs festhalten, obwohl er die Unabhängigkeit der Provinz strikt ablehnt. Welche der beiden Optionen gewinnen wird ist offen, Umfragen sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Nikolic und Tadic voraus, wobei Tadic derzeit leicht vorne liegen soll.

Beim ersten Wahlgang vor zwei Wochen erreichte Nikolic 40 Prozent oder 1,6 Millionen Stimmen. Er lag um mehr als 150.000 Stimmen vor Tadic (35 Prozent). Auf die übrigen sieben Bewerber entfielen insgesamt 900.000 Stimmen. Diese Kandidaten gliedern sich in drei Gruppen. Auf Tadics Seite stehen der liberale Bewerber und der Kandidat der ungarischen Minderheit; ideologisch Nikolic nahe steht der Kandidat der Milosevic-Sozialisten. Zwischen beiden Lagern stehen die Wähler des nationalkonservativen Zweiparteienbündnisses unter Führung von Ministerpräsident Vojislav Kostunica. Diese etwa 500.000 Wähler schwanken in ihren Prioritäten zwischen der EU und dem Kosovo. Weltanschaulich stehen sie den Ultranationalisten näher, doch bestehen große persönliche Vorbehalte gegen dies Partei.

Persönliche und politische Animositäten verhinderten jedoch klare Wahlempfehlungen der ausgeschiedenen Bewerber. Das gilt für Nikolic wie für Tadic, für den nur der Vertreter der Ungarn eine klare Wahlempfehlung abgegeben hat. Alle anderen Kandidaten stellten Bedingungen, die Tadic nicht bereit war, zu erfüllen. So forderten die Liberalen ein weit radikaleres Bekenntnis zur EU und die Zusicherung, dass Tadic für vorgezogene Parlamentswahlen eintreten werde. Tadic ist Vorsitzender der Demokratischen Partei (DS), der dominanten Partei in der Drei-Parteien-Koalition; ihr gehört die Wirtschaftspartei G17-Plus an, die Tadic im Wahlkampf unterstützte und daher keinen Kandidaten aufgestellt hat.

Sehr schwierig ist Tadics Verhältnis jedoch zu Vojislav Kostunica und Verkehrsminister Velimir Ilic, die als drittstärkste Kraft im Kabinett das nationalkonservative Parteienbündnis führen. Je näher die Anerkennung des Kosovo durch Brüssel rückt, desto EU-feindlicher wurde Kostunica. Er lehnte klar die Unterzeichnung des Stabilisierungs- und Assoziationsvertrages mit der EU ab, noch ehe dieses Angebot aus Brüssel am Veto der Niederlande scheiterte; sie beharren auf der Auslieferung von Ratko Mladic an das Haager Tribunal als Vorbedingung für den Vertragsabschluss. Eine klare Absage an die EU-Integration war wiederum die Bedingung, die Kostunica stellt, um Tadic vor der Stichwahl zu unterstützen. Tadic lehnte ab und muss nun ohne den politischen Segen Kostunicas um dessen Wähler kämpfen. Um dieses entscheidende Wählerpotential kämpft auch Nikolic. Er führte einen außerordentlich gemäßigten Wahlkampf, und warb nicht nur um Arme und Arbeitslose, sondern gezielt auch um Frauen, Minderheiten und Intellektuelle.

Nikolics großes Hindernis bei der Transformation der Radikalen zu einer moderateren sozialen Protestpartei sind die Last der Vergangenheit als Koalitionspartner von Slobodan Milosevic und der ultranationalistische Dogmatiker Vojislav Seselj. Diese Erblast versuchte Boris Tadic auch beim TV-Duell zu nützen, während Nikolic vor allem Korruption. Kriminalität und Armut als Argumente gegen Tadic ins Spiel brachte. Das Duell hatte die drittgrößte Zuschauerzahl aller Sendungen seit Beginn der Quotenmessungen. 63 Prozent aller TV-Seher und durchschnittlich 35 Prozent aller Bürger über 18 sahen das Duell. Diese Tatsache könnte auf eine enorm hohe Wahlbeteiligung am Sonntag hindeuten und somit alle Umfragen zur Makulatur werden lassen. Zwei Dinge sind jedoch sicher: Siegt Nikolic dürfte die EU ihre Beziehungen zu Serbien für lange Zeit einfrieren. Siegt aber Tadic ist der Weg Richtung Brüssel keinesfalls sicher, weil Kostunica im Kampf gegen die EU Tadic blockieren oder gemeinsame Sache mit Nikolic machen könnte. Serbien wählt somit zwischen Isolation und politischer Agonie, die in den kommenden Monaten zu vorgezogenen Parlamentswahlen führen könnte. Politisch wird Serbien somit auch nach einem allfälligen Sieg von Boris Tadic weiter instabil bleiben.

Facebook Facebook