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Serbien vor der Wahl: Buhlen um Putins Gunst

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Berichte Serbien
Der serbische Ultranationalist Tomislav Nikolic und Amtsinhaber Boris Tadic sind die Favoriten im Kampf um das Amt des serbischen Präsidenten. Der erste Wahlgang findet am Sonntag, die Stichwahl Anfang Februar statt. Der stattliche, großgewachsene, eitel wirkende Frauenschwarm Tadic und der etwas melancholisch und hölzern erscheinende 56-jährige Familienmensch Nikolic haben ideologisch wenig gemeinsam. Das Gemeinsame - der Wettlauf um die Gunst des russischen Präsidenten Wladimir Putin - spricht jedoch Bände über den Zustand Serbiens sieben Jahre nach dem Sturz des Autokraten Slobodan Milosevic. So veröffentlichten die Medien die Glückwünsche, die Putin Boris Tadic zu dessen 50. Geburtstag übermittelt hat. Die Ultranationalisten griffen den Fehdehandschuh sofort auf und präsentierten in Belgrad bei ihrer Schlusskundgebung Grußadressen hochrangiger russischer Funktionäre, um zu zeigen, dass Nikolic in Wahrheit Moskaus Gunst genießen. Seit dem Russland gemeinsam mit Serbien kompromisslos gegen die Unabhängigkeit des Kosovo auftritt wächst Putins Popularität. Immer mehr Städte verleihen ihm die Ehrenbürgerschaft, und auch die wirtschaftliche Zusammenarbeit wird enger. In der Endphase sind Gespräche über eine Übernahme des Erdölkonzern NIS durch die russische Gazprom, die dafür ein Gaslager errichten und einen Arm der „South-Stream“-Erdgasleitung durch Serbien bauen will. Das South-Stream-Projekt ist Teil der Strategie Russlands, die Energieabhängigkeit Europas zu festigen, und eine entsprechende Vereinbarung mit Belgrad wäre als weitere Abkehr vom Westen zu werten.

Doch abgesehen vom den Feindbildern Amerika (NATO) und dem Haager Tribunal sinkt auch der Stern der EU in Serbien, seit Brüssel die Anerkennung des Kosovo vorbereitet. Die Debatte um die EU-Annäherung führte zum Konflikt in der Koalition. Ministerpräsident Vojislav Kostunica will das Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen nur unterzeichnen, wenn die EU de facto auf die Unabhängigkeit des Kosovo verzichtet; die pro-westlichen Kräfte, die Demokratische Partei von Präsident Boris Tadic und die Wirtschaftspartei G17-Plus, wollen auf jeden Fall unterschreiben: Ob es dazu kommt, hängt auch von der EU ab. Vor allem die Niederlande sind dagegen, weil Serbien den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Ratko Mladic nicht an das Haager Tribunal ausgeliefert hat. Mehrheitlich sind die EU-Staaten dafür, dass Abkommen wenige Tage vor dem zweiten Wahlgang am 3. Februar zu unterzeichnen, um Tadics Siegeschancen zu stärken.

Zu wählen haben die Serben in der ersten Runde am Sonntag zwischen sechs politisch relevanten Personen, drei Zählkandidaten und der Grundfrage EU oder Kosovo. Für Boris Tadic, für den Kandidaten der Liberalen und für den Bewerber der ungarischen Minderheit hat die EU Priorität; Tomislav Nikolic, dem Kandidaten der Sozialisten und dem nationalkonservativen Bewerber (Infrastrukturminister) Velimir Ilic; ist der Kosovo wichtiger. Die populärsten Vertreter dieser beiden Richtungen, Tadic und Nikolic, werden im ersten Wahlgang die nötige absolute Mehrheit verfehlen, so dass die Entscheidung erst in zwei Wochen fallen wird. Nach der erste Runde dürfte Nikolic vorne liegen, um wie viele Stimmen ist jedoch offen. Für die Stichwahl kann Nikolic mit der Masse der Stimmen rechnen, die auf den sozialistischen Bewerber entfielen. Tadic hat als Wählerreserve die Stimmen der Minderheiten und der Liberalen. Tadic hat das größere Wählerpotential aber die undisziplinierteren Wähler, Nikolic das kleinere Potential aber sehr disziplinierte Wähler.

Über Sieg und Niederlage entscheiden zwei Faktoren: die Höhe der Wahlbeteiligung und das Verhalten der nationalkonservativen Wähler, die im ersten Durchgang für Ilic gestimmt haben. Er ist enger Bündnispartner von Ministerpräsident Vojislav Kostunica, dessen Partei keinen Kandidaten aufgestellt hat. Das Potential der Nationalkonservativen liegt bei 400.000 bis 600.000 Stimmen. In ihrer Weltanschauung stehen sie Nikolic näher, doch bestehen starke Animositäten gegen dessen Parteichef Vojislav Seselj, der sich vor dem Haager Tribunal wegen des Vorwurfs der Kriegsverbrechen verantworten muss. Nikolic hat daher im Wahlkampf sogar den Sticker mit dem Bild Seseljs abgelegt; er präsentiert sich moderat, als Anwalt der Armen, Arbeitslosen und Arbeiter. Im Gegenzug setzt Tadic im Kampf um die Nationalkonservativen auf die nationale Karte und präsentiert sich als klarer Verteidiger des Kosovo. Ob Tadic gewinnen kann hängt davon ab, ob er seine Wähler mobilisieren kann, und ob er wenigstens indirekt von Kostunica unterstützt wird.

Gegen Tadic spricht das geistige Klima; Tadic und die Reformer haben es verabsäumt, schonungslos und medienwirksam die katastrophalen Folgen der Ära Milosevic bewusst zu machen; statt dessen setzten sie auch auf die nationale Karte, doch der bessere Nationalist heißt allemal Nikolic. Ihm zugut kommen auch die vielen Fehler, die das Haager Tribunal und die EU gemacht haben. So hat sich Seselj freiwillig gestellt, seit fünf Jahren in Haft und sein Prozess hat gerade erst begonnen. Ein prominenter albanischer Angeklagter erhielt dagegen regelmäßig „Häfenurlaub“. Die EU wiederum hat Serbien seit dem Jahre 2000 mit mehr als 1,2 Milliarden Euro unterstützt. Ohne Brüssel, säßen die Serben wohl nicht nur geistig, sondern auch tatsächlich im Dunkeln; doch die EU war unfähig, diese Wohltaten der Masse der Serben bewusst zu machen, während sich Russland nun auch ohne Geldsegen wachsender Beliebtheit erfreut.

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