× Logo Mobil

Jugoslawien – der lange Weg zurück

Zeitung
Wiener Journal
Berichte Serbien
Slobodan Milosevic, Franjo Tudjman, Alija Izetbegovic, Kiro Gligorov, Momir Bulatovic und Milan Kucan - so hießen die führenden Politiker der Teilrepubliken, als vor zehn Jahren mit dem Zerfall des von Josip Broz Tito geschaffenen Staates das jugoslawische Drama begann. In Belgrad wird diese Poli-tikergarnitur – wenig schmeichelhaft aber nicht zu Unrecht – als die „Totengräber Jugoslawiens“ bezeichnet. Das persönliche Schicksal dieser Politiker spiegelt in gewisser Weise auch das Schicksal der von ihnen geschaffen Staaten wieder.

Franjo Tudjman, der kroatische Staatspräsident starb vor knapp zwei Jahren; sein Todeskampf erinnerte noch ein Mal an Titos Ende, das sich ebenfalls einige Monate hinzog. Trotz aller Verdienste, Verbrechen und Fehler wirkte Tudjmans Tod auch befreiend für Kroatien, dessen Reformregierung nun den mühe-vollen Weg aus der Isolation nach Europa angetreten hat. Von den Jahren des Krieges und einer schwierigen sozialen Lage gezeichnet hat Kroatien noch einen weiten Weg vor sich. Alija Izetbegovic bekleidet in Bosnien-Herzegowina formell keine Funktion mehr; ihm wird der Weg nach Den Haag wohl ebenso er-spart blieben wie Franjo Tudjman, wenngleich aus anderen Gründen; denn die Bosniaken sind die Hauptopfer des Krieges und damit auch des Versagens des Westens; deren „Übervater“ stellt man nicht vor Gericht, obwohl die Geschichte ihr Ur-teil über Izetbegovic noch zu sprechen hat. In gewisser Weise pensioniert ist auch Bosnien-Herzegowina, dessen Pensionsver-sicherung und Existenzgarantie die sogenannte internationale Staatengemeinschaft darstellt; von einem stabilen Wirtschafts-aufschwung oder gar von einer dauerhaften Konsolidierung des Landes kann jedoch auch mehr als fünf Jahre nach der Unter-zeichnung des Friedensvertrages von Dayton nicht gesprochen werden. Ebenfalls noch unklar ist, ob es der neuen Politiker-generation gelingen wird, aus dem komplizierten und ineffi-zienten Gebilde einen funktionsfähigen Staat zu formen.

In Mazedonien ist der frühere Staatspräsident Kiro Gligorov ebenfalls im Ruhestand. Unter seiner Führung gelang es Ma-zedonien als einziger ehemaliger jugoslawischer Teilrepublik ohne Krieg aus der Föderation auszuscheiden. Belastet wurde dieser Staat von seiner Geburtsstunde an durch den Wegfall des ehemaligen jugoslawischen Marktes sowie durch den Streit mit Griechenland um seinen Namen, seine Verfassung sowie um seine Fahne. Dieser Konflikt führte auf Druck Athens zu einem mehr-jährigen Embargo durch die EU, das bis heute nachwirkt. Kiro Gligorov selbst ist durch die Folgen eines Bombenanschlages gezeichnet, bei dem er beinahe ums Leben kam. Ob sein Staat die vielen Opfer der Gefechte zwischen albanischen Frei-schärlern und mazedonischen Streitkräften überleben wird, die seit Jahresbeginn Mazedonien erschüttern, ist fraglich. Sicher ist nur, daß auch Mazedonien ein Beweis dafür ist, daß alle schönen Reden westlicher Politiker und Diplomaten über präven-tive Diplomatie und Krisenbewältigung sich als leere Phrasen erwiesen haben.

In Montenegro ist der frühere Republikspräsident Momir Bula-tovic bereits seit mehr als zwei Jahren nicht mehr im Amt. Mit dem Sturz von Slobodan Milosevic verlor Bulatovic auch seine Position als jugoslawischer Ministerpräsident. Unabhängig da-von, ob Montenegro unabhängig werden oder mit Serbien in einer losen Föderation verbunden bleibt, wird Bulatovic bestenfalls als Fußnote in die Geschichte Jugoslawiens eingehen. Unter seiner Führung verlor Montenegro acht wertvolle Jahre, die für Reformen hätten genutzt werden können; für Momir Bulatovic kann es in diesem Zusammenhang nur ein schwacher Trost sein, daß auch sein Nachfolger Milo Djukanovic bisher keine berau-schenden Erfolge vorweisen kann, obwohl die Einführung der DM und die damit verbundene Geldwertstabilität sowie die Tatsache sicher positiv vermerkt werden muß, daß es Djukanovic gelang, dem Druck Milosevics zu trotzen und den Frieden zu wahren.

Der einzige Politiker, der aus der Führungsgarnitur des ehema-ligen Jugoslawien noch im Amt ist, heißt Milan Kucan, der Prä-sident Sloweniens. Slowenien ist auch die einzige Nachfolge-republik, für die sich die Abspaltung bisher wirklich ausge-zahlt hat. Das Land ist Kandidat für die Mitgliedschaft in der EU und der NATO, und war jüngst Schauplatz des Gipfeltreffens zwischen dem amerikanischen Präsidenten George Bush und dem russischen Präsidenten Putin. Als Putin anschließend zum ersten Besuch eines russischen Präsidenten seit mehr als zehn Jahren nach Belgrad kam, bedeutete dieser Flug von wenigen hundert Kilometern auch eine Reise in die Vergangenheit.

Denn Serbien hat in den vergangenen 10 Jahren weit mehr ver-loren als „nur“ zehn Jahre. Dies macht ein Vergleich mit den anderen Reformstaaten Mittel- und Osteuropas deutlich. Als Tito 1980 starb, stand Polen noch im selben Jahr unter Kriegs-recht. Mit dem Fall der Berliner Mauer und dem Zusammenbruch der Sowjetunion begannen in Polen die Reformen, während am Balkan das jugoslawische Drama begann, und Titos politisches Erbe immer mehr verspielt wurde. Die vergangenen zehn Jahre führten so zu einer völligen Umkehr der Verhältnisse; Polen und andere Reformstaaten holten immer stärker auf, Serbien fiel unter und durch Slobodan Milosevic immer weiter zurück.

Die Folgen dies rückwärtsgewandten Politik werden noch lange spürbar sein; rückwärtsgewandt waren die Ziele dieser Politik jedoch schon vor zehn Jahren als sich Serbien in einer Welle des Nationalismus befand und sich als benachteiligte Nation begriff, die über ihr eigenes Territorium nicht verfügen könne. Die Abschaffung der Autonomie des Kosovo und der Vojvodina waren denn auch die Initialzündung für den Anfang vom Ende. So wie Serbien vor etwas mehr als zehn Jahren mit der Wahl zwischen Ivan Stambolic und Slobodan Milosevic an einer Wegkreuzung stand, steht das Land auch heute wieder vor einer Richtungsentscheidung. Zwar haben sich die Voraussetz-ungen grundlegend geändert, und auch Zoran Djindjic und Vojislav Kostunica sind völlig andere Persönlichkeiten als Stambolic und Milosevic; doch die Richtungsentscheidung bleibt, auch wenn noch offen ist, wer sich letztlich durch-setzen wird.

Zoran Djindjic hat im Gegensatz zu Vojislav Kostunica lange im Ausland (Deutschland) gelebt. Djndjic ist weit pragmatischer und weniger an Prinzipien orientiert als Kostunica, der nie zu politischen Kompromissen mit Slobodan Milsoevic bereit war. Auch wenn Djindjic als Oppositionsführer in der Vergangenheit hin und wieder die nationale Karte spielte, so fehlt ihm das Gefühl für den romantischen, bürgerlichen serbischen Nationa-lismus fast völlig, dessen ehrenwerter und möglicherweise auch letzter führender Vertreter Kostunica sein dürfte. Djindjic sieht das Hauptproblem Serbiens in einer gescheiterten und verfehlten Modernisierung in den vergangenen hundert Jahren. Das Zeitproblem ist für ihn daher das entscheidende, denn Serbien müsse nun weit schneller sein als die Nachbarstaaten und Europa, um verlorenes Terrain aufzuholen. Alles was diesen Aufholprozeß bremsen kann, muß daher so rasch wie möglich be-seitigt werden. Daher ist Djindjic weit eher bereit als Kostu-nica, eine Unabhängigkeit Montenegros zu akzeptieren und Slo-bodan Milosevic an das Haager Tribunal auszuliefern. Djindjic ist in all seinen Positionen wohl der „westlichste“ Politiker Serbiens, der seinen Landsleuten auf Grund seiner Funktion viele unangenehme Wahrheiten zu sagen hat. Daher ist Djindjic in letzter Konsequenz auch kein beliebter Politiker, während Kostunica heute der unbestrittene Liebling des Volkes ist. Für die Zukunft Serbiens wird mitentscheidend sein, wie lange diese beiden führenden Politiker Serbiens zusammenarbeiten können und werden, bzw. wer im Falle des Bruchs den Sieg davon tragen wird. Natürlich ist angesichts der enormen Sachzwänge, unter denen Djindjic und Kostunica stehen, keine derart grund-legende Richtungsentscheidung zu erwarten, wie das bei der Wahl zwischen Stambolic und Milosevic der Fall war. Doch das Vojislav Kostunica kein derartiger Stürmer und Dränger ist, was den Weg Serbiens gen Westen betrifft wie Zoran Djindjic, steht außer Frage.

Facebook Facebook