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Emir Kusturica, Gavrilo Princip und die EU

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Berichte Serbien


In Serbien treffen 2014 kulturell und politisch zwei Ereignisse mit doch starker symbolischer Bedeutung aufeinander. Das ist heute der Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen sowie der hundertste Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges. Seine Initialzündung war die Ermordung von Thronfolger Franz Ferdinand und seiner Gattin durch Gavrilo Princip in Sarajewo. Mit einer Allegorie auf das Attentat hat der serbische Filmregisseur Emir Kusturica am Samstag auch sein Filmfestival „Küstendorf“ in Mecavnik Grad im serbisch-bosnischen Grenzgebiet eröffnet. Für Kusturica ist Princip ein Held; mit dem zweifachen Gewinner der „Goldenen Palme“ in Cannes hat in Mecavnik Grad unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz gesprochen; hier sein Bericht:

Mecavnik Grad ist ein im alten Stil nachgebautes serbisches Dorf von mit Schindeln gedeckten Holzhäusern. Im Zentrum zielte ein serbischer Schauspieler mit einer Pistole auf zwei Kollegen in einem alten Auto, die Franz Ferdinand und seine Gattin symbolisierten. Der Schuss löst sich allerdings aus einer Konfetti-Pistole und geht in die Luft. … Disco-Musik und ein Feuerwerk bildeten dann den Startschuss für das Filmfestival „Küstendorf“, das heuer zum siebenten Mal 15 jungen Regisseuren aus aller Welt die Möglichkeit bietet, ihr Können zu zeigen. Zur Art der Eröffnung sagt der serbische Regisseur Emir Kusturica:

„Ich wollte eine choreographische Umschreibung eines Attentats machen, das durch die Umschreibung der Geschichte zur neuen Schuld der Serben werden soll. Wenn man historische Bücher liest, dann sieht man, dass Ferdinand in den Tod geschickt wurde. Der Polizeichef aus Agram schickt eine Warnung vor einem Attentat nach Wien, der serbische Ministerpräsident Nikola Pasic warnte über geheime Kanäle vor der Reise. In Sarajewo hat der Fahrer jedenfalls den Wagen so hingestellt, dass Franz Ferdinand und seine Gattin ermordet werden konnten.“

Die Person des Attentäters bewertet Kusturica so:

„Gavrilo Princip war ein absoluter Held, der Führer einer revolutionären Bewegung und auch ein Attentäter. Mord lässt sich niemals rechtfertigen, doch in einer christlichen Kultur kann er verziehen werden.“

Emir Kusturicas Sichtweise ist zweifellos Teil seiner künstlerischen und persönlichen Freiheit; doch der 20-jährige Attentäter Gavrilo Princip war nach Ansicht renommierter Historiker wohl eher ein aus Belgrad Geführter, denn selbst ein Führer. In Serbien sind die Planungen für die Gedenkfeiern zu 1914 noch nicht besonders konkret; dafür feiert die politische Führung in Brüssel den Beginn der Beitrittsverhandlungen mit der EU. Dazu sagt Emir Kusturica:

„Serbien ist ein europäisches Land. Wenn es eine bessere Kanalisation, bessere Kläranlagen und besser organisierte Gemeinden hätte, dann wäre es auch im wahren Sinne des Wortes ein europäisches Land. Möge Serbien nach Europa gehen, wenn dort sein Platz sein soll. Mich stört das nicht; doch persönlich wäre mir ein völlig neutrales Serbien lieber, weil ich nicht sicher bin, was Serbien alles davon hat. Was wird sein, wenn die Engländer bei einem Referendum für den Austritt aus der EU sind? Was ist dann Europa – ein großes Deutschland, oder etwas anderes?

Tatsächlich fragt sich in Belgrad so mancher Intellektuelle, ob England nicht vielleicht früher austritt als Serbien beitritt? Gleichzeitig setzen führende Politiker gerade auf Deutschland, dass Serbien auf dem Weg zu Modernisierung und EU bereits mit viel Rat, Tat und Geld zur Seite steht.

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