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Geschichten aus dem Wiener Wald im Nationaltheater in Novi Sad

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In Novi Sad, der Hauptstadt der serbischen Provinz Vojvodina, hat vor kurzem Öden von Horvaths Stück „Geschichten aus dem Wiener Wald“ Premiere gehabt. Es ist das die Geschichte des Wiener Mädels Marianne, die ihrem Verlobten, dem Fleischhauer Oskar, davonläuft, um aus ihrem kleinbürgerlichen Milieu auszubrechen aber schließlich an der Rohheit ihres Vaters und ihrer Umgebung scheitert. Die „Geschichten aus dem Wienerwald“ nicht das erste Stück von Öden von Horvath, das in Serbien aufgeführt wird. So wurden in Belgrad und Sombor bereits die Stücke „Hin und Her“, „Don Juan kommt aus dem Krieg“, „Figaro lässt sich scheiden“ oder „Kasimir und Karoline“ aufgeführt, wobei letztes Stück die Regisseurin Iva Milosevic auf die Bühne gebracht hat, die auch in Novi Sad nun Regie geführt hat. „Die „Geschichten aus dem Wienerwald“ hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz besucht. Er geht in seinem folgenden Beitrag auch der Frage nach, welche Bedeutung dieses Stück auch für das Serbien der Gegenwart hat:

Iva Milosevic hat Öden von Horvaths Stück „Geschichten aus dem Wiener Wald“ in leicht gekürzter Form in Novi Sad inszeniert. Zu den Schlüsselszenen zählt für sie der Ausflug an die „Schöne blaue Donau“; dabei verliebt sich Marianne in den Lebemann Alfred, der sich von seiner Großmutter aushalten lässt und sein Glück statt in geregelter Arbeit in Wetten bei Pferderennen sucht. Alfred und Marianne werden von ihrem Vater, dem „Zauberkönig“ und Besitzer einen Puppenklinik ertappt. Der Konflikt der beiden Männer und Mariannes Bruch mit Vater und Verlobtem klingt auf Serbisch so:

„Lüge nicht, nur lüge nicht, ich bin nicht geschwommen. Ich weiß nicht mehr zu schwimmen. Tyrannisiert mich nicht mehr, ihr ruiniert mein Leben. Das ist mein Leben; Gott hat mir in letzter Sekunde diesen Menschen geschickt. Ich werde Dich nicht heiraten. Und was die Puppenklinik betrifft, soll sie verrecken, und zwar besser heute als morgen.“

Die Rolle der Marianne spielt die 29-jährige Milica Grujicic, die seit ihrem 12. Lebensjahr Schauspielerin werden wollte. Seit sechs Jahren ist sie am serbischen Nationaltheater in Novi Sad unter Vertrag. Milica Grujicic sieht Marianne so:

„Sie ist ein Opfer dieser Gesellschaft; gleichzeitig gehört sie dieser Schicht an, in die sie am Ende wieder zurückkehrt. Sie verliebt sich und versucht aus diesem kleinbürgerlichen Rahmen auszubrechen, der die Persönlichkeit des einzelnen ruiniert. So ist sie ziemlich naiv, jung – und ein Opfer dieser Gesellschaft; und durch sie sieht man, was das für eine Gesellschaft ist.“

Und wie steht es um die Selbständigkeit junger Frauen und Männer in Serbien? Schließlich ist jeder Vierte arbeitslos. Dazu sagt Milica Grujicic:

„Menschen in meinem Alter leben entweder bei den Eltern oder werden von den Eltern finanziell unterstützt, in dem sie eine Wohnung mieten oder Geld geben, um durch den Monat zu kommen. Das ist einfach schrecklich, denn die Löhne sind einfach sehr niedrig. Als wir einmal in Wien gastierten hat mir eine Putzfrau erzählt, dass sie im Monat eintausend Euro verdient; und sie war verwundert, dass das doppelt so viel ist, als wir Schauspieler bekommen, wo wir doch einen Uni-Abschluss haben.“

In Öden von Horvaths Stück gibt es weder ein Happy End noch ein Katharsis; dieser Umstand und die Tatsache, dass das Werk in Berlin 1931, zwei Jahre vor der nationalsozialistischen Machtergreifung, uraufgeführt wurde, waren Gründe, warum sich das Theater in Novi Sad für die „Geschichten aus dem Wienerwald“ entschied. Denn in Serbien steckt die Aufarbeitung der Vergangenheit erst in den Kinderschuhen. Diesen Kontext betont Theaterdirektor Alexandar Milosavljevic:

„Serbien ist durch eine wirklich schwere Zeit gegangen, doch ich glaube, dass Serbien daraus nicht im nötigen Ausmaß Lehren gezogen hat. Daher stört es nicht daran zu erinnern, dass in jedem von uns, so klein er auch sein mag, ein Faschist oder Nationalist schlummert, etwas von dem wir uns nicht durch eine Katharsis gelöst haben.“

Die Allgemeingültigkeit von Horvaths Charakteren unterstreicht auch die Regisseurin Iva Milosevic:

„Ich habe den Schauspielern gesagt, spielt keine Österreicher; denn das sind zwar Österreicher, aber das ist auch in uns. Das ist eine bestimmte Art von Menschen; und wir haben ein gutes Maß gefunden, um das auch mit der Mentalität unsere Leute zu verbinden, ohne den Figuren einen zu lokalen Charakter zu geben.“

Diese Mischung gelang offensichtlich gut; die zur Schau gestellte Kombination von Banalität und Herzlosigkeit kam bei serbischen Publikum gut an; es erlebte zwar keine Katharsis aber einen unterhaltsamen Abend zum Preis von fünf Euro; denn das ist der reguläre Preis einer Theaterkarte, wobei in Novi Sad auch bereits für Kleingruppen Ermäßigungen gewährt werden.

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