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Chefankläger Serge Brammertz zu Mladic, zu lokalen Prozessen und zur Aussöhnung

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Berichte Serbien
Vor einer Woche begann vor dem Kriegsverbrecher Tribunal in Den Haag der mit Spannung erwartete Prozess gegen Ratko Mladic. Der ehemalige General der bosnischen Serben muss sich wegen Vertreibung, Kriegsverbrechen und Völkermordes in Bosnien und Herzegowina in Den Haag verantworten. Der bekannteste Fall betrifft das Massaker an mehr als 7.000 Bosniaken in Srebrenica im Sommer 1995. Der Beginn der Beweisaufnahme war für Ende Mai geplant, doch nach zwei Tagen, musste der Prozess bereits wieder auf unbestimmte Zeit vertagt werden. Grund dafür war ein Fehler der Anklagebehörde, die Mladics Verteidigung nicht alle Dokumente bis zu Prozessbeginn übermittelt hatte. Über den Mladic-Prozess, das Verfahren gegen den ehemaligen Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, sowie über die Aufarbeitung von Kriegsverbrechen hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz mit Serge Brammertz in einem Exklusiv-Interview für das Mittagsjournal gesprochen. Brammertz ist derzeit in Belgrad, wo die Ermittlungen gegen die mutmaßlichen Fluchthelfer von Ratko Mladic auch ein Jahr nach seiner Verhaftung noch immer kaum Ergebnisse gebracht haben.

CW: Sehr geehrter Herr Brammertz! Viele am Balkan haben auf den Beginn des Mladic-Prozesses gewartet; jetzt ist der Prozess aber wieder vertagt worden. Können Sie uns sagen, was hier tatsächlich vorgefallen ist?

SB: Es war in der Tat so, dass wir über 150.000 Dokumente im letzten Jahr der Verteidigung übermittelt haben. Drei Tage vor Verfahrensbeginn hat die Verteidigung festgestellt, dass in diesem Inventar einige Dokumente nicht in der Anlage sind. Es geht hier um drei Prozent der Unterlagen; wir sprechen hier von mehreren Tausend Dokumenten, bzw. Beilagen, das kann also ein Foto sein, das kann eine Karte sein; in sehr vielen Fällen geht es um Protokolle von Gerichtssitzungen von vorherigen Verfahren, die auch alle öffentlich zugänglich waren. Natürlich ist das ein Fehler der meiner Behörde zu zuordnen ist. In dem Moment, wo die Verteidigung gesehen hat, dass sie einige Dokumente nicht erreichen konnte, ist das Problem sofort behoben worden, das heißt, innerhalb von wenigen Tagen.

CW: Haben Sie Informationen, wann jetzt das Verfahren fortgesetzt wird, wann mit der Beweisaufnahme zu rechnen ist?

SB: Ich gehe davon aus, dass in den kommenden Tagen die Richter hier eine Entscheidung treffen werden. Die Verteidigung hat sechs Monate beantragt. Wir widersetzen uns nicht einer kurzzeitigen Vertagung aber sicherlich nicht in dieser Länge.

CW: Für welchen Zeitraum ist denn eigentlich der Prozess gegen Ratko Mladic anberaumt. Er schaut jetzt zwar viel besser aus als bei der Verhaftung, aber trotzdem ist er 70 Jahre alt. Welchen Zeithorizont sehen Sie denn da für das Urteil erster Instanz?

SB: Das ist natürlich sehr, schwierig zu sagen; wir haben ja als Anklagebehörde die Anklageschrift um 40 Prozent reduziert. Das hat zur Folge, dass wir eigentlich davon ausgehen, dass die Beweisaufnahme nicht wie im Karadzic-Verfahren zwei Jahre dauern wird, sondern wir hoffen, dass es weniger als ein Jahr ist. Dann gibt es noch die Phase der Verteidigung; also ich denke schon, dass zwei, zweieinhalb Jahre sicherlich ein Minimum sein werden auch für diese Verfahren. Auch bei dem Mladic-Verfahren handelt es sich um die ethnische Säuberung in einer Reihe von bosnischen Ortschaften während 1992 und 1995; wir sprechen von drei Jahren Belagerung von Sarajewo, wir sprechen von dem Völkermord in Srebrenica, das kann man nun einmal nicht in wenigen Monaten bearbeiten.

CW: Sie haben den Karadzic-Prozess selbst erwähnt; die Beweisführung durch die Anklagebehörde ist abgeschlossen. Wann erwarten sie hier ein Urteil erster Instanz?

SB: Es wird jetzt so sein, dass die Verteidigung ab Oktober ihre Verteidigung vorlegen kann; es obliegt den Richtern hier, den konkreten Zeitrahmen festzustellen, aber ich denke, dass die Verteidigung dann ein Jahr dauern wird, und dass dann in der zweiten Hälfte 2014 mit einem Urteil zu rechnen wäre.

CW: Was sind denn die Hauptthemen, die Sie jetzt in Serbien erörtern werden?

SB: In der Vergangenheit war natürlich Thema Nummer eins die Nichtfestnahme von Ratko Mladic; glücklicherweise steht das jetzt nicht mehr auf der Agenda, was aber immer noch da steht, sind die Ermittlungen gegen diejenigen, die geholfen haben, dass die Festnahme nicht erfolgen konnte. Hier ist also sehr wenig passiert im vergangenen Jahr; es besteht natürlich auch der Verdacht, dass Personen aus der Polizei, dem Nachrichtendienst oder auf politischem Niveau dabei betroffen sind, und da würden wir natürlich sehr gerne sehen, dass die Ermittlungen vorangehen. Punkt Zwei ist natürlich unsere regionale Zusammenarbeit; als UN-Behörde sind wir sehr daran interessiert, dass die Zusammenarbeit zwischen den Staatsanwaltschaften in Serbien, Bosnien und Kroatien gut funktioniert. Da liegt einiges noch im Argen und das wird sicherlich angesprochen auch."

CW: Die eine Seite sind die Prozesse in Den Hag, die andere Seite ist das lokale Prozessieren von Kriegsverbrechern. Wie sehen Sie denn hier die Entwicklung?

SB: Wir sehen in allen Ländern das Problem, dass, wenn wir von dem mittleren Niveau sprechen, Offiziere oder Politiker des mittleren Ranges, da sehen wir noch relativ wenig Entwicklung sowohl in Serbien als auch in Kroatien. Aber die größte Herausforderung wird natürlich die Strafverfolgung in Bosnien sein. Dort ist die größte Zahl von Straftaten begangen worden, und es gibt also Tausende Verfahren, die darauf warten ermittelt und verfolgt zu werden. Ohne zusätzliche Mittel, ohne zusätzliche Staatsanwälte sieht es dort relativ schlecht aus, was die Aufarbeitung der verbleibenden Fälle betrifft; und das hat eine direkte negative Auswirkung auf Versöhnung, Wiedergutmachung und das gemeinsame Vorwärtsgehen.

CW: Herr Brammertz, wir danken für das Gespräch.

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