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Interview mit Präsidentschaftskandidat Tomislav Nikolic

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Berichte Serbien


In Serbien werden kommenden Sonntag alle politischen Karten neu gemischt. Denn gewählt werden der Präsident, das Parlament, die Gemeinden und das Parlament der autonomen Provinz Vojvodina. Die beiden Hauptkonkurrenten dieser Wahlbewegungen sind die Demokratische Partei unter Staatspräsident Boris Tadic und die Serbische Fortschrittspartei unter Tomislav Nikolic. Während Tadic und seine Partei auf eine ungebrochene pro-europäische Linie zurückblicken können, hat sich Tomislav Nikolic erst mit der Gründung der Fortschrittspartei vor drei Jahren offiziell mit einer ultranationalistischen Anti-EU-Position gebrochen. Meinungsforscher sagen derzeit fast ein totes Rennen zwischen Tadic und Nikolic um das Präsidentenamt voraus, das wohl erst in der Stichwahl am 20. Mai entschieden wird. In Belgrad hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz mit Tomislav Nikolic über die EU und di Frage des Kosovo gesprochen, hier sein Bericht:

Der 60-jährige Tomislav Nikolic zählt zum politischen Urgestein in Serbien. Er war Mitbegründer der ultranationalistischen Radikalen Partei und in der Ära von Slobodan Milosevic stellvertretender Regierungschef in Serbien. Als sich der Vorsitzende der Radikalen Partei, Vojislav Seselj, im Februar 2003 dem Haager Tribunal stellte, wurde Nikolic geschäftsführender Vorsitzender. Schrittweise versuchte er die Radikalen zu einer sozialen Protestbewegung zu machen und zu mäßigen. Doch Seseljs langer Schatten ließ sich nicht abschütteln und daran scheiterte Nikolic knapp bei der Präsidentenwahl gegen Boris Tadic im Jahre 2008. Im selben Jahr führte der Konflikt über die EU-Haltung zum Bruch mit dem noch immer in einer Haager Zelle sitzenden Seselj und Nikolic gründete die Fortschrittspartei. Sie soll eine Mitte-Rechtspartei mit klarem Bekenntnis zur EU sein. Dieses Bekenntnis formuliert Tomislav Nikolic so:

„Ich akzeptiere europäische Werte als die meinen; das heißt, ich möchte dass unser Land so geordnet ist wie Deutschland oder Österreich. Das gilt vom Rechtssystem über das Gesundheitswesen bis hin zum Wirtschaftssystem. Das gilt natürlich vor allem auch für den Kampf gegen Korruption und Organisierte Kriminalität. Ich möchte, dass wir in der EU sein werden, doch viele Bedingungen haben wir nur deklarativ erfüllt aber noch nicht umgesetzt. Doch das will ich, damit wir beitreten können. Die EU und Serbien haben heute ganz klare Verhältnisse für Verhandlungen; denn man weiß, dass ein Machtwechsel die Haltung Serbiens zur EU-Integration nicht ändern wird.“

Nikolic und sein Partei haben die politische Landschaft in Serbien spürbar gemäßigt und die nationalistischen Kräfte marginalisiert, die heute in Kleinparteien zersplittert sind. Eine realistische Haltung nimmt der eher bieder wirkende Nikolic auch zum Kosovo ein. Seine Unabhängigkeit hat Serbien nicht anerkannt, und der Kosovo ist wohl der größte politische Stolperstein auf dem Weg Serbiens Richtung EU. Dazu sagt Tomislav Nikolic:

„Die Verfassung verpflichtet den Präsidenten den Kosovo als Teil Serbiens zu bezeichnen, und gleichzeitig ist er verpflichtet, Serbien in die EU zu führen. Und jeder Präsident bemüht sich, solange wie möglich beide Positionen einzunehmen. Denn die EU hat auch noch immer keine Bedingung gestellt, dass wir auf etwas verzichten müssen. Daher haben wir hier noch einen Spielraum um zu sagen, dass wir der EU mit dem Kosovo als unserem Teil beitreten können. Dagegen gab es bisher keinen Einspruch. Anderseits ist die Lage vor Ort so, dass Serbien niemals mehr über Pristina herrschen wird. Doch gleichzeitig könnte auch Pristina ohne Einmischung großer Militärmächte nicht über Kosovska Mitrovica im Nord-Kosovo herrschen. Gut ist es, dass nicht alle ihre Wünsche durchsetzen können, weil das ein Schlüssel für den Erfolg bei Verhandlungen sein kann. Doch es ist nicht leicht, auf einen großen Teil seines Territoriums zu verzichten; um das zu akzeptieren, muss es dafür einen Ersatz geben.“

Derartige Aussagen waren von Staatspräsident Boris Tadic offiziell bisher nicht zu hören; er vertritt noch immer die Linie, dass Serbien den Kosovo als Staat niemals anerkennen werde. Im Wahlkampf spielte das Kosovo-Thema wegen der tiefen sozialen Krise bisher nur eine untergeordnete Rolle. Über Sieg oder Niederlage könnte bei Präsidenten- und Parlamentswahl die Frage entscheiden, was bei den Serben überwiegt – der Wunsch nach Abwahl einer wirtschaftlich kaum erfolgreichen Staatsführung oder die Ablehnung von Tomislav Nikolic, dessen Vergangenheit viel Serben noch nicht vergessen haben.

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