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Der Westen uns seine Fehler in Jugoslawien

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Der vor einigen Wochen verstorbene hochrangige US-Diplomat Richard Holbrooke hat den blutigen Zerfall des ehemaligen Jugoslawien als das größte Sicherheitsversagen des Westens seit den 30iger Jahren des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Dieses Versagen wirkt bis heute nach; denn abgesehen von Slowenien und bald auch Kroatien sind die anderen Staaten des Westbalkan noch viele Jahre von der EU-Mitgliedschaft entfernt. Lediglich der Beitritt zur NATO verläuft etwa schneller. Verantwortlich für dieses wenig berauschende Tempo ist aber nicht nur die Region selbst. Vielmehr haben USA und EU am Balkan auch nach dem Ende der Kriege bis heute viele Fehler gemacht. Über diese hat unser Balkan-Korrespondent mit dem langjährigen US-Balkan-Diplomaten William Montgomery gesprochen. Anlass dafür war das Buch, das Montgomery jüngst über seine Belgrader Jahre als Botschafter geschrieben hat, und in dem er die Politik seines Landes gegenüber Serbien nach der Ära von Slobodan Milosevic kritisch beleuchtet.

Der 64-jährige William Montgomery blickt auf eine lange Balkan-Erfahrung zurück. So war er zwischen 1997 und 2000 Botschafter in Kroatien und erlebte dadurch die letzten Jahre der Ära Franjo Tudjman hautnah mit. Zum ersten Mal war Montgomery 1975 als Diplomat in Belgrad, das damals die Hauptstadt des von Ost und West umworbenen kommunistischen Jugoslawien war. Damals machte Montgomery auch flüchtig Bekanntschaft mit einem Bankdirektor, dessen Auslieferung an das Haager Tribunal er 25 Jahre später aktiv betreiben sollte - Slobodan Milosevic. Dass es überhaupt zur Bildung des Tribunals kommen musste, liegt am Versagen des Westens 1990, zu Beginn des Zerfalls des Tito-Staates. Zu den Ursachen dieses Versagens sagt William Montgomery:

„Wir hätten nicht versuchen sollen, das fast unvermeidliche Auseinanderbrechen Jugoslawiens zu verhindern; vielmehr hätten wir unseren kollektiven Willen einsetzen müssen, um auf einem friedlichen Zerfall zu bestehen. Das wäre die einzige Chance gewesen, die Gewalttaten zu verhindern. Doch die Realität ist, dass es damals absolut keinen Willen im Westen gab, auf diese Weise verwickelt zu sein. Denn das hätte die Bereitschaft bedeutet, wenn nötig, auch militärische Macht einzusetzen. Doch keine einzige Regierung in der EU oder in den USA war überhaupt bereit, den Einsatz militärischer Macht zu erwägen.“

Somit nahm der blutige Zerfall seinen Lauf. Im Dezember 1995 beendete der Friedensvertrag von Dayton den Krieg in Bosnien und Herzegowina, und im Sommer 1999 endete mit dem NATO-Krieg die Herrschaft Serbiens über den Kosovo. Zu dieser Zeit leitete Montgomery in Budapest das US-Büro für jugoslawische Angelegenheiten, das die Opposition in Serbien materiell und finanzielle unterstützte. … Am 5. Oktober 2000 fegte der Volkszorn den Präsidenten Rest-Jugoslawiens, Slobodan Milosevic, hinweg, der sich neuerlich durch Wahlbetrug an der Macht halten wollte. In Belgrad und ganz Serbien wurde ausgiebig gefeiert. Auch dieser Jubel legte den Grundstein für die nächste Fehleinschätzung, die nicht nur die USA am Balkan begehen sollten; William Montgomery:

„Es herrschte in den USA eine Euphorie über die Niederlage von Milosevic und das Gefühl, dass seine Politik völlig in Verruf gebracht worden war. Und schon einen Tag später hatte ich eine Liste von zehn Punkten, die unsere Regierung der neuen Führung in Serbien vorschlug, um guten Willen zu beweisen und zu zeigen, dass sich alles wirklich geändert hatte. Man dachte, dass die neue Regierung all das sehr leicht erfüllen könnte; das wäre so gewesen, wenn mit Milosevics Sturz auch seine gesamte Politik völlig in Verruf geraten wäre, doch das war nicht der Fall.“

Somit wurde dem künftigen serbischen Ministerpräsidenten Zoran Djindjic eine schwere politische Last aufgebürdet, bevor er Ende Jänner überhaupt in dieses Amt gewählt wurde. Wie politisch heikel die US-Forderungen waren, zeigt Montgomery an zwei Beispielen:

„Ein Punkt war, dass in Serbien viele Kosovo-Albaner gefangen gehalten wurden, und zwar vom einfachen Mörder bis zum Mitarbeiter der UCK; das waren einige hundert. Gefordert wurde, sie alle freizulassen und der UNO-Verwaltung des Kosovo zu übergeben. Weitere Punkte betrafen die sofortige Auslieferung von Personen an das Haager Tribunal und seine völlige Unterstützung.“

Das Haager Tribunal bildete die tiefste Kluft zwischen Zoran Djindjic und dem Nationalisten Vojislav Kostunica, der nun an Stelle von Slobodan Milosevic Präsident Rest-Jugoslawiens war. Dessen Auslieferung forderten USA und EU immer dringlicher, auch unter Androhung neuer finanzieller Sanktionen. Am 28. Juni 2001 erfolgte die Auslieferung; Zoran Djindjic hatte den Alleingang gewagt und gab auch dem, Druck von William Montgomery nach:

„Während all der Jahre in Kroatien, Bosnien oder in Serbien, übten wir Druck auf Politiker aus, Dinge zu tun, die unpopulär oder sogar gefährlich waren. Einer, auf den ich sehr viel Druck ausgeübt habe, war Zoran Djindjic. Er hat direkt und sehr oft gesagt, wie gefährlich es war, diese Spiele zu spielen. Und er wurde ermordet. Die andere Seite der Medaille ist, dass sich Druck leider als die einzige Sache erwies, die tatsächlich Ergebnisse brachte.“

Doch warum gewährten die USA Zoran Djindjic nach Milosevic keine Atempause, um seine Macht festigen zu können? William Montgomery:

„Es gab keine Alternative, weil die treibenden Kräfte für eine Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal so stark waren; daher war es unmöglich, das zu verlangsamen. Jede Depesche des Außenministeriums, die gesagt hätte, wir geben der Djindjic-Regierung eine Atempause von einem Jahr, so dass sie wegen der Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal nicht besorgt sein muss, wäre politischer Sprengstoff gewesen; daher konnten wir das nicht tun; das gleiche galt für den Kosovo.“

Den Kosovo-Krieg verlor noch Slobodan Milosevic – doch die Unabhängigkeitserklärung erfolgte erst im Februar 2008. Die Bürde des Kosovo-Problems trägt bis heute das sich demokratisierende Serbien; und darin sieht Montgomery einen weiteren Kardinalfehler des Westens:

„Wenn wir sofort nach der Bombardierung den Kosovo für unabhängig erklärt hätten, so wäre das viel besser gewesen; weil damals Slobodan Milosevic an der Macht war. Dann hätte er die völlige Verantwortung dafür getragen. Doch man wartete fünf, sechs Jahre bis man dann eine demokratische Regierung in Serbien hatte, die dann die Schuld zu tragen hatte, den Kosovo verloren zu haben. Das ist kontraproduktiv.“

Kosovo und Den Haag sind bis heute die größten politischen Probleme, die Serbien auf dem Weg Richtung Brüssel zu lösen hat. Hinzu kommen die Krisen in der EU selbst, die Erweiterungsmüdigkeit einzelner Mitglieder und Kriterien, die daher immer strenger werden:

„Der Prozess, EU-Mitglied zu werden, ist beträchtlich länger geworden; und zwar bis zu einem Punkt, wo es völlig unsicher ist, wann Serbien überhaupt EU-Mitglied werden wird. Gleichzeitig kommen all diese EU-Kommissare ständig nach Serbien und sagen, Sie müssen jetzt das tun, wenn sie den nächsten Schritt Richtung EU wollen. So ist die Bedingtheit viel mehr zum Faktor geworden als vor zehn Jahren. Andererseits ist eine sichere Mitgliedschaft viel weniger sicher geworden; und was man in all diesen Ländern sieht ist eine rückläufige Begeisterung für die EU. Das macht den gesamten Prozess des Wandels schwieriger, und das ist ein Dilemma, mit dem die EU konfrontiert ist.“

Der größte Hemmschuh sind jedoch Probleme, die EU-Mitglieder mit Beitrittswerbern haben. So scheitere am Namensstreit mit Griechenland 2008 die Aufnahme Mazedoniens in die NATO. Aus demselben Grund haben auch die EU-Beitrittsverhandlungen noch nicht begonnen, obwohl Mazedonien bereits vor fünf Jahren der Kandidatenstatus gewährt wurde. Diese politische Lähmung kritisiert William Montgomery besonders scharf:

„Was mich völlig verrückt macht ist, dass weder NATO noch EU bereit sind, gegenüber Mitgliederstaaten hart zu sein, die Konflikte mit Nachbarstaaten haben, die beitreten wollen. Sowohl NATO als auch EU sind völlig schuldig, dass sie ihren Mitgliedern erlauben, den Beitrittsprozess Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte, zu blockieren. Das ist eine blamable Politik und eine, die wirklich die Region destabilisiert, und die korrigiert werden muss. Doch keine dieser Organisationen scheint den Willen oder die Fähigkeit zu haben, das zu ändern, und das ist eine Schande.“

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