× Logo Mobil

Die Orthodoxe Kirche nach der Wahl des Patriarchen

Radio
Praxis
Berichte Serbien
In Serbien hat die Orthodoxe Kirche seit der Wahl des Bischofs von Nis, Irinej, zum neuen Patriarchen Ende Jänner durchaus aufregende Zeiten erlebt. Mitte Februar wurde der Bischof des Kosovo, Artemije, von der Bischofskonferenz vorläufig seines Amtes enthoben und ein Administrator eingesetzt. Eine wichtige Rolle spielte dabei der 72-jährige Amfilohije, der Metropolit von Montenegro. Amfilohije führte in der Zeit der Handlungsunfähigkeit des verstorbenen Patriarchen Pavle zwei Jahre die orthodoxe Kirche und zählt auch heute zu den einflussreichsten Kirchenführern in Serbien. Wäre der neue Patriarch nicht durch das apostolische Los, sondern direkt gewählt worden, wäre Amfilohije heute wohl Patriarch, denn bei der Wahl des Dreier-Vorschlages erhielt er die meisten Stimmen. Über diesen Fall Artemije und über die Haltung der Orthodoxie zum Kosovo und zur EU hat in Belgrad unser Balkan-Korrespondent mit Amfilohije gesprochen und folgenden Beitrag gestaltet:

Mit der Inthronisierung von Patriarch Irinej in Belgrad endete im Jänner das Interregnum in der serbisch-orthodoxen Kirche. Damit endete auch die weitgehende Lähmung der Kirche, die durch die Handlungsunfähigkeit des greisen Patriarchen Pavle geherrscht hatte. Der neue Patriarch konnte somit auch den Konflikt mit Artemije, dem Bischof des Kosovo, in Angriff nehmen, der seit etwa vier Jahren besteht. So sollen unter Artemije Gelder missbräuchlich verwendet worden sein, die für arme Kosovo-Serben und für den Wiederaufbau von Kirchen und Köster bestimmt waren. Denn beim Wiederaufbau kam nur die Baufirma zum Zug, die einem Verwandten des Sekretärs von Bischof Artemije gehören soll. Die Kirchenführung in Belgrad setzte Mitte Februar einen Administrator ein, der auch die Finanzgebarung zu prüfen hat. Bei der Übernahme der Amtsgeschäfte kam es vor dem Kloster Gracanica zu Handgreiflichkeiten zwischen Mönchen beider Lager, doch schließlich fügte sich Artemije. Über sein Schicksal soll der Heilige Sabor, die Bischofskonferenz, im April entscheiden. Dazu sagt in Belgrad Amfilohije, der Metropolit von Montenegro:

„Ich hoffe, dass der Sabor eine Lösung findet, die auch ihm hilft: dass er vielleicht eine andere Diözese bekommt, oder dass er, wie wir hoffen, selbst einsieht, dass er sich zurückzieht. Doch alles der Reihe nach. Vielleicht beschließt der Sabor auch, dass Artemije in seiner Diözese bleibt, doch unter der Bedingung, dass er seine pastorale Arbeit ändert.“

Denn nicht nur Korruptionsvorwürfe erregten den Unwillen der Kirchenführung, wie Amfilohije betont:

„Einer der Gründe für die Haltung des Synod gegenüber Bischof Artemije war sein Unwillen, mit dem Synod und mit der internationalen Gemeinschaft zusammenzuarbeiten. Außerdem hat er die Hälfte seiner Diözese geistlich vernachlässigt. Jahrelang hat er bereits in vielen Städten des Kosovo keine Messe gelesen. Das konnte die Kirche nicht weiter dulden. Doch seine Absichten sind gut. Er denkt, dass die, die zerstört haben, nun nicht wieder aufbauen können. Doch warum nicht, gerade sie sollen aufbauen.“

Gemeint sind damit albanische Extremisten, die nach dem Kosovo-Krieg der NATO im Jahre 1999 viele Kirchen und Klöster zerstörten. Ihren Wiederaufbau wollten internationale Gemeinschaft und die Institutionen des Kosovo mitfinanzieren, doch Artemije war gegen diese Hilfe. Die Kirchenführung und Amfilohije waren und sind dafür; doch unabhängig davon betrachtet der Metropolit die Lage im Kosovo mit großer Sorge:

„500 Jahre türkische Sklaverei haben diese Kirchen und Klöster überstanden, und jetzt wurden sie vernichtet. Doch es geht nicht nur um diese Vernichtung, sondern um die Vertreibung des Volkes. Unter den bestehenden Bedingungen und angesichts der Ereignisse der vergangenen 15 Jahre gibt es keinen Anschein dafür, dass dieses Volk an seinen Herd zurückkehrt. Doch ohne Rückkehr gibt es weder Multiethnizität noch mehrere Religionen, dann ist diese Sache erledigt.“

Doch warum kann Serbien den Verlust des Kosovo nicht ebenso hinnehmen wie das Österreich bei Südtirol getan hat? Die Existenz der deutschen Volksgruppe ist weitgehend gesichert, und die Brenner-Grenze hat durch die EU ihren trennenden Charakter eingebüßt. Diesen Vergleich weist Amfilohije zurück:

„Das ist nicht dasselbe. Doch wie könnte Österreich hinnehmen, dass Wien jemandem anderen gehört. Der Kosovo ist für uns wie für Sie Wien, das ist unser „Notre dame“, unserer Jerusalem. Daher kann man nicht einfach die Parallele zwischen Südtirol und dem Kosovo ziehen. Denn es geht nicht nur um Geographie und Wirtschaft oder um den Staat, sondern das ist die Frage der kollektiven Identität eines Volkes; dort wurde sie gebildet, das sind seine Heldenlieder, seine Kunst und seine Kultur. Und auf ein Mal bleibt es ohne all das, wie ohne einen Lungenflügel oder noch ärger.“

Der Kosovo ist einer der Gründe für die Vorbehalte der Orthodoxie gegenüber der EU-Annäherung Serbiens; denn die große Mehrheit der EU-Mitglieder hat die Unabhängigkeit des Kosovo anerkannt. Doch für die Vorbehalte gibt es noch andere Gründe. Sie haben mit der Lage zu tun, in der sich die Orthodoxie nach dem Ende des Tito-Kommunismus und des Milosevic-Regimes befindet. Sie beschreibt Amfilohije so:

„Die junge Generation trägt zum einem die Last der postkommunistischen Armut; andererseits strebt sie danach reich zu werden, und zwar über Nacht. Die Herausforderung ist dieser Geist des Hedonismus, der in westlichen Gesellschaften vorherrscht. So geht es darum, der jungen Generation zu helfen, an den Werten dieser modernen europäischen Zivilisation teilzuhaben, und gleichzeitig ihre Seele zu bewahren und den Glauben zu erneuern. So soll die Jugend verstehen, dass sie nicht nur von Brot allein lebt, sondern auch von jedem Wort, das aus Gottes Munde kommt.“

Die materialistische Herausforderung besteht auch unabhängig von der EU. Diese Tatsache räumt Amfilohije ein, der die orthodoxe Kirche daher vor ein Dilemma gestellt sieht:

„Einerseits hat das außerordentlich positive Seiten, den Rechtsaufbau der Gesellschaft, den wirtschaftlichen Fortschritt. Doch andererseits trägt die euro-amerikanische Zivilisation ihre Versuchungen, ihre Problem in sich und bringt neue Herausforderungen. Die Zivilisation trägt eine tiefe Krise der christlichen Identität, durch die Europa und Amerika offensichtlich geht. So scheint es uns, dass wir uns zwischen Skylla und Charybdis befinden; es geht darum, wie wir uns von unserer sündhaften Vergangenheit befreien und Kirche und Christentum wieder zurückkehren können. Gleichzeitig geht es auch darum, wie wir uns an die europäischen Strömungen anschließen und unsere christliche Identität bewahren können. Denn wir müssen uns auch davor schützen, was der Globalismus, diese Ideologie der modernen Gesellschaft mit sich bringt, die in vielem antichristlich ist.“

Trotzdem ist der Metropolit von Montenegro kein eindimensionaler, dezidierter Gegner der EU-Integration Serbiens. Dazu ist Amfilohije, der klassische Philologie studiert, fließend Griechisch und Deutsch spricht, viel zu gebildet. Vielmehr sieht Amfilohije in der EU auch eine Chance für die Orthodoxie, die es zu nützen gelte:

„Der Beitritt der mehrheitlich orthodoxen Länder zur EU bietet auch eine neue Möglichkeit für die orthodoxe Kirche im weiteren Europa und ermöglicht tiefere Kontakte mit den Kirchen in Europa. Das ist eine neue Chance für das Christentum; das wird nicht nur positiv für die orthodoxen Kirchen sein, sondern auch für die katholische Kirche und für alle andere Kirche, um das christliche Selbstbewusstsein in Europa zu wecken und zu festigen.“

Facebook Facebook