× Logo Mobil

Kragujevac zwischen Zastava und FIAT

Radio
Europajournal
Berichte Serbien


Der industrielle Stolz und das Aushängeschild des alten Tito-Jugoslawien war der Autobauer Zastava im zentralserbischen Kragujevac, 130 Kilometer südlich von Belgrad. Begonnen wurde 1953 mit der Lizenzfertigung von Modellen der italienischen Marke FIAT. Sein erfolgreichstes Jahr erlebte Zastava mit 200.000 verkauften Autos ausgerechnet 1989, in dem Jahr, indem Slobodan Milosevic seine fragwürdige Rede auf dem Amselfeld im Kosovo hielt. Doch nicht nur der Kosovo ging schließlich durch Milosevics Politik verloren, auch Zastava erlebte einen katastrophalen Niedergang, der durch das NATO-Bombardement im Kosovo-Krieg noch verstärkt wurde. Den Niedergang konnten auch die Reformregierungen nach dem Jahre 2000 nicht stoppen, und pro Jahr produzierte Zastava nur zwischen 10.000 und 15.000 Autos. Doch nun ist Licht in Sicht, weil FIAT den Autobauer übernehmen wird. Die Verträge im Mai unterschrieben, und die Produktion soll Ende 2009, Anfang 2010 anlaufen. Unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz hat Kragujevac besucht und hat in dem folgenden Beitrag das Bild eines Werks und einer Stadt zwischen Niedergang und Hoffnung - zwischen Zastava und FIAT - gezeichnet.

Zentralserbien mit der Hauptstadt Kragujevac ist seit 150 Jahren das Zentrum des Stahl-, Waffen- und Maschinenbaus. 1953 lief im Konzern Zastava das erste Auto vom Band. Die letzte Modernisierung erfolgte 1986; mit dem Zerfall des alten Jugoslawien setzte der Niedergang im Werk ein; nach dem Sturz von Slobodan Milosevic im Oktober 2000 konnten auch die Reformregierungen das schwere Erbe nicht bewältigen. Mit 300 Millionen Euro subventioniert, wurde in Zastava und den Zulieferbetrieben mit ihren 15.000 Beschäftigten eine symbolische Produktion in der Hoffnung aufrecht erhalten, einen Partner zu finden. Ein Silberstreifen am Horizont erschien 2007 mit der Montage von 4.500 Fahrzeugen der Marke FIAT Punto; mit der Übernahme durch FIAT steht nun eine industrielle Revolution bevor, die Zastava völlig verändert wird. Zunächst werden bis Jahresende die Produktion der drei alten Modelle eingestellt und die museumsreifen Anlagen abgebaut. Große Änderungen kommen auch auf die 4.000 Mitarbeiter zu. 1.500 werden mit einem Sozialplan in Pension geschickt; der Rest muss sich einem Auswahlverfahren stellen, weil FIAT nur 1.000 Personen beschäftigen will. Trotzdem wird es Tausende neue Arbeitsplätze geben, betont Zoran Bogdanovic von der Firma Zastava:

„Gemeinsam mit FIAT werden auch 20 direkte Zulieferbetriebe kommen. Dazu zählt die Firma Marelli, die als größter Einzelzulieferer sicher ebenfalls 300 Personen beschäftigen wird. Insgesamt werden bei den Zulieferern mehr Leute beschäftig werden als jetzt in der Fabrik arbeiten, wobei jetzt etwa 4.000 Personen beschäftigt sind. Doch beschäftigt werden nicht dieselben Personen. So arbeiten im FIAT-Werk in Polen an den Fließbändern nur Mitarbeiter bis zu einem Alter von 25 Jahren. Bei uns liegt das Durchschnittsalter der Arbeitskräfte bei 49 Jahren. Daher werden nur wenige übernommen werden, die derzeit am Fließband arbeiten, weil ihnen die körperlichen Voraussetzungen dafür fehlen.“

Doch nicht nur Zastava wird bis zum geplanten Produktionsbeginn der ersten Autos der A-Klasse in zwei Jahren völlig umgebaut; auch Kragujevac und der Region steht ein enormer Modernisierungsschub bevor. So hat sich Serbien verpflichtet, 25 Kilometer Autobahn und eine gleichlange Schienenstrecke zu bauen, um die Stadt an den Korridor X anzubinden, der Richtung Griechenland führt. Doch das ist nur ein Teil der Erneuerungen, die notwendig sind, damit FIAT produzieren kann, erläutert Zoran Bogdanovic:

„Die Produktion von 300.000 Autos bedeutet, dass in diese Fabrik täglich mehr als 100 LKW und drei bis vier Lastenzüge einfahren müssen. Daher ist es sehr wichtig, dass dementsprechend auch die Verkehrsinfrastruktur geplant wird, weil eine Fabrik, die 300.000 Autos produziert, nicht von einem Stau in der Stadt abhängen darf. Daher haben sich die Stadt und der Staat auch verpflichtet, in absehbarer Zeit die Umfahrung zu bauen, die Eisenbahnstrecke zu verlegen und auch zu elektrifizieren.“

Mit den 300 Millionen Euro, die Serbien investieren will, sollen auch Gas- Wasser- und Stromversorgung erneuert und eine Kläranlage gebaut werden. Davon direkt profitieren werden die 200.000 Bewohner von Kragujevac. Viele Gebäude aus dem 19. Jahrhundert, die noch daran erinnern, dass die Stadt einst Serbiens Hauptstadt war, machen einen verfallenen Eindruck; hinzu kommen Hotels und Plattenbauten mit dem kommunistischen Charme der 70-iger-Jahre. Doch schrittweise wird kommt Farbe ins Leben. Belebt hat der FIAT-Einstieg sich auch den Immobilien; so kostet eine 80 Quadratmeter-Wohnung in Zentrumsnähe nun statt 80.000 Euro bereits 100.000 Euro; zur Entwicklung am Wohnungsmarkt sagt Zoran Nikolic, von der Konsumentschutzorganisation in Kragujevac:

Preise für Immobilien sind im Durchschnitt um 20 Prozent gestiegen. Gleichzeitig wächst die Nachfrage nach Luxuswohnungen, nach Wohnungen, die einen entsprechenden Standard aufweisen, den gerade jene Manager von FIAT wollen, die in Kragujevac leben werden. Verändert haben sich auch die Angebote der Restaurants aber auch die des Handels, wo immer mehr Artikel zu finden sind, die früher vielleicht nicht erhältlich waren.“

Angeblich soll FIAT umfassende Forderungen an die Stadt gestellt haben, um seinen italienischen Managern vor Ort künftig das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Mit Informationen darüber ist Kragujevac sehr zurückhaltend, daher hat die Gerüchtebörse Hochkonjunktur. Eine vermeintliche Forderung schildert Zoran Nikolic:

„Eine der Vereinbarungen zwischen der Führung von FIAT und Serbien sieht vor, dass man in ganz Kragujevac kabelloses Internet zur Verfügung haben muss. Stellen Sie sich vor, was dass für die Bürger bedeutet, die vielleicht sogar gratis oder sehr niedrigen Preisen die Möglichkeit eines Internetzuganges haben. Weiters darf nicht vergessen werden, dass jede große neue Firma neue Standrads und neue Verhaltensregeln mitbringt und uns auch die Hoffnung auf und den Glauben an ein anderes Morgen vermittelt.“

Dieser Glauben hat nicht unwesentlich zum Sieg der proeuropäischen Kräfte bei der Parlamentswahl im Frühling beigetragen, denn der Vertrag mit FIAT wurde wenige Tage vor der Wahl unterschrieben. Doch nun soll sich der Glaube auch in der Geldbörse niederschlagen; der Durchschnittslohn lag 2007 offiziell bei etwas mehr als 300 Euro und war somit um ein Viertel niedriger als in Belgrad. Mit dem traditionellen serbischen Zentralismus höchst unzufrieden, hofft die Region nun auf einen raschen Aufschwung und auf neues Selbstbewusstsein durch das neue Auto, das FIAT vor allem für den Export produzieren wird. Damit verbunden seien unerfüllbare Erwartungen, sagt in Kragujevac der Intellektuelle Branislav Kovacevic:

„Die Bürger sind nach einer 20 Jahre dauernden Krise einfach ausgelaugt und erwarten sich jetzt ein Wunder. Dazu zählt, dass sofort 200.000 bis 300.000 Autos produziert werden, dass die Löhne stark steigen, dass die Kinder eine Arbeit bekommen, dass alles über Nacht kommt. Das ist nicht realistisch.“

Auf der anderen Seite gibt es auch in Kragujevac die notorischen Skeptiker, die in Serbien weit verbreitet sind, und bei allem und jedem ein Haar in der Suppe finden. So sagt ein Straßenhändler zum Einstieg von FIAT:

„Wir kleine Wirtschaftstreibenden werden mit Gebühren und Abgaben bedrückt, doch diesen großen Konzernen geben sie alles gratis, von kommunalen Dienstleistungen angefangen. Was FIAT betrifft, so erwarte ich gar nichts. Ich habe kein Vertrauen in diese listigen Lateiner; sie haben uns durch die ganze serbische Geschichte hindurch hintergangen. Mehr hätte ich von den Deutschen erwartet; mit Deutschland und Österreich haben wir viel bessere Geschäftsbeziehungen als mit diesen Froschfressern aus Italien.“

Nun, dem Mann kann geholfen werden: deutsche und österreichische Firmen sind bereits in Kragujevac; und in der Stadt und der 25 Kilometer entfernten Freihandelszone Lapovo an der Autobahn werden sich noch weit mehr ansiedeln, je näher der Beginn der Autoproduktion rückt. Auch daher ist es so wichtig, dass FIAT erfolgreich sein wird und Serbien alle Zusagen umsetzt. Davon profitieren werden nicht nur eine Stadt, eine Region oder Serbien, sondern der ganze Balkan; denn neue Arbeitsplätze verheißen eine politische Stabilität, die serbische Ultranationalisten mit ihrer rückwärtsgewandten Kosovo-Politik kaum mehr werden erschüttern können.

Facebook Facebook