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Ruhe nach dem Sturm in Belgrad

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Berichte Serbien
Nach den massiven Ausschreitungen am Abend war es in der Nacht in Belgrad ruhig. Trotzdem sind die Folgen der Gewalttaten im Zentrum noch deutlich sichtbar, etwa an den zerschlagenen Auslagen vieler Geschäfte. Ausgebrochen sind die Unruhen gestern nach einer Kundgebung gegen die Unabhängigkeit des Kosovo, an der bis zu 250.000 Menschen aus ganz Serbien teilnahmen. Zur Demonstr5ation aufgerufen hatten die nationalkonservative Zweiparteienkoalition unter Ministerpräsident Vojislavg Kostunica und die Ultranationalisten unter Tomislav Nikolic. Aus Belgrad berichtet Christian Wehrschütz:

Die Bilanz der Unruhen in Belgrad ist beachtlich. Ein toter Randalierer, der offensichtlich in der Botschaft der USA ein Opfer des Brandes wurde, den die Demonstr5anten selbst gelegt haben. Hinzu kommen 150 Personen, die in Spitäler eingeliefert werden mussten, darunter mehr als 20 Polizisten. Die Rettung versorgte 500 Personen, die entweder leicht verletzt wurden oder als Alkoholleichen behandelt werden mussten. Beachtlich sind auch die materiellen Schäden. Neben der ausgebrannten amerikanischen Botschaft griffen die Randalierer auch die Botschaften Kroatiens, der Türkei und Belgiens an; dort sind die Schäden jedoch geringer. Wahllos in Brand gesteckt und geplündert wurden auch westliche Geschäfte. Bei einer Filiale der Raiffeisenbank wurden die Fenster eingeschlagen. Möglich wurden die Ausschreitungen, weil die Polizei viel zu spät eingriff und weil einige serbische Minister zuvor Gewalttaten gerechtfertigt hatten. Pro-westliche Politiker haben die Ausschreitungen als Schande für Serbien bezeichnet; Staatspräsident Boris Tadic äußerte sich so:

„Alle die, an den Unruhen teilnehmen möchte ich bitten, dass sie sich von den Straßen zurückziehen und die Angriffe auf ausländische Botschaften einstellen. Das trägt auf keinen Fall zur Verteidigung des Kosovo und unserer Würde und territorialen Integrität bei. Das entfernt den Kosovo nur von Serben.“

Der pro-westliche Tadic nahm an der Kundgebung in Belgrad nicht teil. Zu den Ausschreitungen noch nicht geäußert hat sich bisher Ministerpräsident Vojislav Kostunica. Bei der Kundgebung hatte er zuvor noch lautstark die Unabhängigkeit des Kosovo abgelehnt:

„Kosovo gehört zu Serbien; Kosovo gehört dem serbischen Volk. So war es immer und so wird es für immer sein. Es gibt keine Mächte, keine Drohungen, keine Art von Strafen, damit irgendein Serben jemals etwas anderes sagen würde als: Kosovo ist Serbien.“

Kostunica ist ebenso wie der Ultranationalist Tomislav Nikolic nicht nur gegen die Unabhängigkeit des Kosovo, sondern auch gegen jede weitere Annäherung Serbiens an die EU. Kostunica und Nikolic und viele nationalistische Medien haben jedenfalls die antiwestliche Stimmung in Serbien geschürt, die neben vielen sozialen Problemen, neben Frustration und Existenzangst den Nährboden für die gestrigen Ausschreitungen gebildet haben. Während die Unruhen bereits im Gange waren, nahm die nationalistische Creme de la Creme noch an einem Gottesdienst zum Heile Serbiens teil. Diese Gebete wurden bisher offensichtlich nicht erhört. Denn nach der gestrigen Nacht wird Serbien weder den Kosovo wahren noch Richtung EU marschieren können. Doch im politischen Machtspiel hat Serbien ja bereits lange Erfahrungen auf Alles oder Nichts zu setzen und Nichts zu gewinnen.

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