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Serbien in der Krise nach der Wahl

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Als am Sonntag in Serbien der pro-westliche Präsident Boris Tadic die Stichwahl gegen den Ultranationalisten Tomislav Nikolic gewann, ging ein hörbares Aufatmen durch die westlichen Staatskanzleien. Die Freude, dass sich Serbien knapp aber doch für den EU-Kurs entschieden hatte, war groß. Diese Freude könnte verfrüht gewesen sein; denn in Belgrad folgte der Präsidentenwahl auf dem Fuße eine Regierungskrise. Grund dafür sind die unterschiedlichen Prioritäten zwischen der DS, der Partei von Boris Tadic, und dem nationalkonservativen Zwei-Parteienbündnis unter Führung von Ministerpräsident Vojislav Kostunica. Tadics Priorität ist die EU, Kostunicas oberstes Ziel ist die Verhinderung der Unabhängigkeit des Kosovo. Dieser Zielkonflikt führte bereits dazu, dass Belgrad den politischen Übergangsvertrag nicht unterzeichnete, den die EU Serbien angeboten hat. Möglicherweise wird die Konflikt aber auch zu vorgezogenen Parlamentswahlen voraussichtlich im Mai führen, denn der Graben zwischen Tadic und Kostunica dürfte kaum mehr zu überbrücken sein. Ob die Regierung im Angesicht der bevorstehenden Unabhängigkeit des Kosovo fällt oder nicht, ist noch offen; sicher ist, die politische Krise in Serbien wird noch Monate dauern. Ihren Ursachen und möglichen Folgen ist in Belgrad unser Korrespondent Christian Wehrschütz nachgegangen, der folgenden Beitrag über Serbien in der Krise nach der Präsidentenwahl gestaltet hat.

Für die Krise in der serbischen Regierung gibt es zwei Ursachen. Die eine liegt im grundlegenden Wandel der politischen Kräfteverhältnisse, der mit der Präsidentenwahl sichtbar geworden ist. Bei einer für serbische Verhältnisse enorm hohen Wahlbeteiligung mit fast 70 Prozent entfielen auf Boris Tadic 2,3 Millionen Stimmen; der Kandidat der Radikalen Partei, der Ultranationalist Tomislav Nikolic, erreichte 2,2 Millionen Stimmen. Diese Polarisierung werde sich auch bei kommenden Wahlen fortsetzen und das Parteiensystem verändern, analysiert Nikolic:

„Serbien wird sich in zwei Blöcke teilen, in die Demokratische und die Serbische Radikale Partei. Auch im Parlament wird es für eine derartige Vielfalt keinen Platz mehr geben, die keine Stabilität bringt. Wir brauchen eine starke stabile Regierung und eine starke Opposition nach den nächsten Wahlen. Das werden wir oder die Demokratische Partei sein, doch das Vojislav Kostunica regiert, ist nicht mehr denkbar.“

Vojislav Kostunica regiert derzeit, obwohl sein nationalkonservatives Zweiparteienbündnis im Parlament nur drittstärkste Kraft hinter den Radikalen und der DS, der Demokratischen Partei von Boris Tadic ist. Ministerpräsident blieb Kostunica nach den Wahlen im Jahre 2006 nur, weil die DS über keine anderen mehrheitsfähigen Koalitionspartner verfügte. Gebildet wurde schließlich eine Vier-Parteien-Koalition. Auf der einen Seite stehen die DS und die Wirtschaftspartei G17-Plus. Von den 25 Ministern des Kabinetts stellt die DS mit 13 die absolute Mehrheit; G17-Plus hat vier Minister. Beide Parteien sind klar für die EU. Auf der anderen Seite steht Kostunicas Bündnis mit sieben Ministern. Es ist strikt gegen jede weitere EU-Annäherung, sollte der Kosovo mit dem Segen der EU unabhängig werden. Dieser Konflikt ist die zweite grundlegende Ursache für die politische Krise in Serbien. Er überschattete bereits die Kabinettsbildung; doch der Konflikt brach damals noch nicht aus, weil die Unabhängigkeit des Kosovo noch nicht unmittelbar bevorstand. Außerdem konnte Tadic bis zu seiner Wiederwahl die Dominanz seiner Partei nicht voll ausspielen:

„Entweder akzeptiert Vojislav Kostunica jetzt, dass ihn die Mehrheit der Minister von DS und G17-Plus ständig überstimmt und auf diese Weise marginalisiert; oder Kostunica versucht durch einige Schachzüge zu erreichen, dass das Parlament einige der in Rede stehenden Dokumente ablehnt und Kostunica so im politischen Spiel bleibt.“

… erläutert der Politologe Zoran Stojiljkovic. Um im Spiel zu bleiben und eine weitere Annäherung an die EU zu verhindern, weigerte sich Kostunica, gestern die Sitzung der Regierung einzuberufen. Damit verhinderte er, dass die DS einen ihrer Minister ermächtigte, einen politischen Vertrag mit der EU zu unterschreiben. Im Gegenzug fordert Kostunica eine Sondersitzung des Parlaments. Dort hat er mit Milosevic-Sozialisten und der Radikalen Partei die Mehrheit und könnte die Regierung auf einen Anti-EU-Kurs festlegen. Parlamentspräsident ist jedoch ein Parteigänger von Boris Tadic, der sich weigert, die Sondersitzung einzuberufen. Die wichtigsten demokratischen Institutionen sind somit blockiert. Sollte kein Kompromiss gefunden werden, könnten vorgezogene Parlamentswahlen gemeinsam mit den Lokalwahlen im Mai stattfinden; doch sicher sei das Ende der Regierung noch nicht, sagt der Politologe Zoran Stojiljkovic:

„Das ist ein Verhältnis nach dem Muster, wir können nicht harmonisch miteinander leben, andererseits können wir auch nicht ohneeinander an der Macht sein. Das zeigt sich an all den wiederholten Wendungen; wenn man dachte, dass es keinen Ausweg mehr gäbe, kam es doch noch zu irgendeinem Kompromiss, doch das wird in diesem Fall sehr, sehr schwer sein.“

Sicher ist, dass der Konflikt um die außenpolitische Orientierung auch die Wähler polarisiert. Das zeigte bereits die Präsidentenwahl und die wachsende Popularität Russlands, das im Kampf um den Kosovo strikt auf der Seite Serbiens steht; Zoran Stojiljkovic:

„Wenn wir die Bürger gefragt haben, in welchem Gesellschaftsmodell sie leben möchten, dann hatten wir bis vor sechs Monaten eine enorme Dominanz des europäischen Modells vor allem skandinavischer Prägung. Nur sehr beschränkt war der Einfluss des amerikanischen oder russischen Modells. Seit einigen Monaten zeigt sich, dass Russland beim Einfluss mit dem europäischen Modell gleichzieht. Wenn sich diese Tendenz fortsetzt, fürchte ich, dass dann die grundlegende außenpolitische Orientierung nach Europa in großem Maße in Frage gestellt wird.“

Darauf setzt auch Tomislav Nikolic; der Ultranationalist ist für eine stärkere Anlehnung Serbiens an Russland; trotzdem hält er sich gegenüber Brüssel alle Türen offen; Tomislav Nikolic:

„Im Verhältnis Serbiens zur EU kann es keine Positionen geben, die entweder – oder lauten. Serbien darf niemals nie sagen. Serbien muss versuchen, einflussreiche Länder der EU zu überzeugen, dass das, was sie tun nicht in Ordnung ist; Serbien muss Position beziehen und sagen, dass ist illegal. Die Mehrheit der Bürger wird sagen, sagt niemals nie; Verhandlungen können unterbrochen, ausgesetzt oder eingefroren werden; doch in Serbien, das völlig ein Teil Europas ist, kann man nicht sagen, wir werden niemals in Europa sein.“

Nikolic tritt nun sogar moderater auf als Kostunica. Er setzt damit jene Politik der Mäßigung fort, die seinen Wahlkampf kennzeichnete; sie bescherte Nikolic das beste Ergebnis, das seine Radikale Partei je erzielt hat:

„Untersuchungen zeigen, dass weniger als 50 Prozent der Wähler der Radikalen wirkliche harte serbische Nationalisten sind; nach dieser Wahl sind es wahrscheinlich noch weniger; der größere Teil sind Reformverlierer. Sollten sich Wirtschaft und Lebensstandart bessern und es mehr Arbeitsplätze gäben, würde das viel in der Wählerschaft in Serbien ändern.“

…analysiert der Wahlforscher Zoran Lucic. Doch diese Besserung ist nicht in Sicht; weitere Erfolge der Radikalen sind zu erwarten, zu Mal Nikolic versucht, auf nationale Minderheiten zu zugehen. Sie kosteten ihn den Sieg, weil es Boris Tadic im Wahlkampf gelang, die Rolle der Ultranationalisten als Koalitionspartner von Slobodan Milosevic in Erinnerung zu rufen:

„Bei den kommenden Wahlen wird keiner mehr mit Angstparolen vor den Radikalen gewinnen können. Wer das glaubt, betrügt sich selbst. Nun wird man mit einem positiven Programm gewinnen müssen, das konkret sein muss. Das wird sehr schwierig sein; denn die Radikalen als gut organisierte Partei haben mit ihrer vernünftig geführten Politik drei Hauptthemen der Gesellschaft besetzt: den Patriotismus, die soziale Demagogie und die Korruption.“

… betont Nenad Canak; er ist Vorsitzender einer Kleinpartei in der Vojvodina und erklärter Gegner der Radikalen. Unabhängig vom Ausgang der Regierungskrise ist somit zweierlei klar. Für eine dauerhafte Stabilisierung braucht Serbien eine erfolgreiche Transformation der Radikalen zu einer demokratischen, nationalkonservativen Partei, und eine rasche Lösung des Kosovo-Status. Erst dann werden sich die pro-europäischen Parteien auf die schwierigen Reformen konzentrieren können, deren Erfolge die Grundlage für Erfolge bei künftigen Wahlen bilden.

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