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Beginn des Seselj-Prozesses in Den Haag

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Berichte Serbien
Vor dem Kriegsverbrecher-Tribunal in den Haag beginnt heute der Prozess gegen Vojislav Seselj, den Vorsitzenden der ultranationalistischen Partei in Serbien. Seselj wird vorgeworfen, für Kriegsverbrechen in Kroatien, Bosnien und der nordserbischen Provinz Vojvodina verantwortlich zu sein. Aus Belgrad berichtet Christian Wehrschütz

Vor dem Beginn des Prozesses wird das Gericht in Den Haag noch ein Mal tagen, um die letzten Verfahrensfragen zu erklären. Erst dabei dürfte geklärt werden, ob der Angeklagte Vojsilav Seselj auch am ersten Prozesstag selbst teilnimmt, oder durch einen Pflichtverteidiger vertreten wird. Seselj ist seit mehr als zwei Wochen im Hungerstreik. Er fordert eine Änderung seiner Haftbedingungen. Sicher ist dass heute in Den Haag die Anklageschrift verlesen wird; die ersten Zeugeneinvernahmen sind für Dezember geplant. Die Liste der Anklagepunkte hat das Tribunal Anfang November nicht unwesentlich reduziert. Hinzu kommt, dass Seselj vor allem Verbaldelikte und der Kampf für ein Großserbien zur Last gelegt werden, die den Anst0ß zu Kriegsverbrechen in Kroatien, Bosnien und der Vojvodina gegeben haben. Doch vor allem der Umstand, dass prominente albanische Angeklagte in Freiheit auf den Prozeßbeginn warten dürfen, während Seselj seit fast vier Jahren in U-Haft sitzt, haben in Serbien beträchtliche Kritik am Tribunal hervorgerufen. Das erläutert in Belgrad der Politologe Djordje Vukadinovic so:

„Seselj ist ein Symbol des Gepeinigten und der Ungerechtigkeit, die das Haager Tribunal vor allem den Serben bringt; das empfindet ein großer Teil der Bürger so. Fraglich ist, ob dieser Fall das größte Eigentor des Haager Tribunals war; es gibt eine Serie von Eigentoren, die zum niedrigen Ansehen geführt haben, das das Tribunal in Serbien hat. Das drastischste Beispiel war der Tod von Slobodan Milosevic und ein großer Teil seines Verfahrens. Paradoxerweise war Milosevic in Haag populärer als während des größten Teils seiner Amtszeit in Serbien.“

Offen ist, in welchem Ausmaß der Prozess gegen Vojislav Seselj die politische Lage in Serbien beeinflussen wird, finden doch Ende Jänner vorgezogene Parlamentswahlen statt. Die ultranationalistische Serbische Radikale Partei versucht nicht erst seit Beginn von Seseljs Hungerstreik ihren Vorsitzenden als politischen Märtyrer zu präsentieren. Auf den harten Kern der Anhänger wirkt das sicher motivierend, doch es gibt auch eine große Gruppe, die die Radikalen vor allem als soziale Protestpartei wählen. Sie ängstigt der Verbalradikalismus des Vorsitzenden eher, der sich in Den Haag grundsätzlich selbst verteidigen darf. Doch diese Verteidigung dürfte erst nach den Wahlen beginnen, und so werden viele Serben wieder daran erinnert werden, was der Ultranationalist als Politiker so alles von sich gegeben hat. Hinzu kommt, dass Seselj nichts unversucht lässt, um gemäßigtere Politiker seiner Partei von Den Haag aus zu entmachten. Daher könnte der Prozess für die Radikalen durchaus ein zweischneidiges Schwert sein, wenn sie sich um Wahlkampf nur auf das Los ihres Vorsitzenden konzentrieren. Schaden könnte den Radikalen auch die Aussagen eines Kronzeugen im Djindjic-Prozess. Dieser Kronzeuge behauptet, Seselj sei vom Mafia-Klan in Zemun vom bevorstehenden Anschlag auf den serbischen Ministerpräsidenten Zoran Djindjic informiert worden. Ob diese Behauptung stimmt, lässt sich nicht überprüfen. Sicher ist jedoch, dass sich Seselj sofort nach der Anklage, nur wenige Wochen vor dem Mordanschlag, dem Tribunal gestellt hat.

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