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Serbien wählt

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In der jugoslawischen Teilrepublik Serbien wird heute ein neues Parlament gewählt. Um die Stimmen der 6,5 Millionen wahlberechtigten Bürger bewerben sich acht Parteien. Haushoher Favorit ist die Allianz DOS des jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica. Überwacht wird die Parlamentswahl in Ser-bien von mehr als 300 Beobachtern der OSZE, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Ausgelöst wurde die vorzeitige Parlamentswahl in Serbien durch die Niederlage von Slobodan Milosevic Ende September bei der Präsidentenwahl in Jugoslawien. Denn der Allianz DOS gelang es in weiterer Folge immer mehr Positionen auch in Serbien zu besetzen und den politischen Druck auf die Sozialisten derart zu steigern, daß diese schließlich Mitte Oktober vorgezogenen Wahlen in Serbien zustimmten. Über den bisherigen Verlauf der serbischen Parlamentswahl berichtet aus Belgrad Christian Wehrschütz

Text:

Das Dorf Novo Selo im Banat liegt etwa 50 Kilometer nord-östlich von Belgrad. Etwa 8000 Serben wohnen in Novo Selo, knapp 6000 von ihnen sind bei der heutigen Wahl des serbischen Parlaments stimmberechtigt. Eines der Wahllokale ist im Karate Klub des Dorfes untergebracht. Gekennzeichnet ist das Wahl-lokal durch die serbische Bezeichnung Biracko Mesto. Außerdem hängen an der Außenwand die Kandidatenlisten der acht wahl-werbenden Parteien sowie eine Plakat, das über den Ablauf der Wahl informiert. Kontrolliert wird zunächst die Identität des Wählers; anschließend wird der Zeigefinger der rechten Hand mit einer Lampe kontrolliert, die auf einen speziellen Spray anspricht. Würde der Finger leuchten, wäre dies der Beweis dafür daß ein Bürger bereits gewählt hat. Denn nachdem der Wähler seinen Stimmzettel erhalten hat wird sein Zeigefinger mit einem Spray besprüht, der durch die besagte Lampe sichtbar gemacht werden kann. Kontrolliert wird diese Prozedur von lokalen aber auch mehr als 300 internationalen Wahlbeobachtern der OSZE, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Zu diesen OSZE-Beobachtern zählen auch acht Öster-reicher. Zwei von ihnen, der freiheitliche Abgeordnete zum Nationalrat Anton Wattaul und der SPÖ-Abgeordnete Anton Heinzl überwachen auch den Karate-Klub von Novo Selo, in dem knapp 1700 Serben wahlberechtigt sind. Zum bisherigen Wahlablauf sagt Anton Wattaul:

„Ich glaube, dass ist eine wirklich demokratische Wahl. Natürlich mit bescheidenen Mitteln, aber die Leute bemühen sich sehr und ich glaube es wird demokratisch und gerecht heruntergehen diese Wahl.“

Wattaul und Heinzl werden heute insgesamt 20 verschiedene Wahllokale kontrollieren. Zur Durchführung der Wahl sagt Heinzl:

„Die Wahlorganisation ist in Ordnung. Mich beeindruckt die Offenheit und Toleranz wie hier untereinander umgegangen wird. Soweit wird das Vorderhand kontrollieren haben können, werden alle Bestimmungen eingehalten und alle wahlwerbenden Parteien sind hier auch vertreten.“

Ebenfalls bereits gewählt haben der jugoslawische Präsident Vojislav Kostunica und Zoran Djindjic, der Spitzenkandidat der 18-Parteien-Allianz DOS, der das Amt des serbischen Minister-präsidenten bekleiden soll. Sie gaben ihre Stimme in Belgrad ab. Kostunica und Djindjic sind die Hoffnungsträger der Serben. Was von ihnen erwartet wird, drückt einer der insge-samt 6,5 Millionen Wähler so aus:

„Der Lebensstandard ist gefallen. Nun ist die Zeit gekommen, das Steuer herumzuwerfen. Das ist die Hoffnung. Wir leben von der Hoffnung.“

Stellvertretend für das zu erwartende Wahlverhalten der großen Mehrheit der Serben ist diese Frau:

„DOS natürlich wird gewinnen. Ich denke, alle sollten zur Wahl gehen. Wir müssen beenden, was wir begonnen haben.“

DOS kann nach Meinungsumfragen mit mehr als 60 Prozent der Stimmen und mit einer Zwei-Drittelmehrheit im serbischen Par-lament rechnen, das 250 Abgeordnete umfaßt. Dieses zu erwar-tende Wahlergebnis wird die bisherigen Mehrheitsverhältnisse völlig umkehren. Denn bisher verfügten die Sozialisten von Slobodan Milosevic über 110 Mandate; die ultranationalistische Serbische Radikale Partei hatte 82 Abgeordnete. Nunmehr können die Sozialisten mit bis zu 15 Prozent der Stimmen rechnen, während die Radikalen weniger als 10 Prozent erwarten dürfen. Diese beiden Parteien werden die bestehende Fünf-Prozent-Hürde jedenfalls sicher überspringen, während die SPO, die Serbische Erneuerungsbewegung, daran zu scheitern droht. Vor dem grund-legenden Wandel in Serbien war die SPO die stärkste Opposi-tionsbewegung. Alle anderen vier Parteien werden den Einzug ins Parament nicht schaffen.

Die heutige Wahl in Serbien wird somit eine grundlegende Ver-änderung und Bereinigung des politischen Systems in Serbien bringen. Die Allianz DOS wird dadurch über eine politisch außerordentlich günstige Ausgangslage verfügen. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Reformstaaten Osteuropas werden die Kräfte des alten Regimes ab morgen in Serbien nur noch ein Schattendasein führen. Weit entscheidender als das bereits weitgehend feststehende Wahlergebnis wird somit sein, ob DOS die nun bestehende Chance für eine erfolgreiche Reformpolitik nutzen kann, die der Bevölkerung das erhoffte bessere Leben bringen wird. Die Antwort auf diese Frage wird nicht nur die weitere Entwicklung in Serbien, sondern auch die weitere Ent-wicklung des Balkan beeinflussen, dem sich nach einem Jahr-hundert der Kriege nun die Chance auf eine friedliche Integra-tion in die Europäische Union eröffnet hat.

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