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Lage der Flüchtlinge und soziale Lage in Serbien

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Berichte Serbien
Wie in vielen Reformstaaten Mittel- und Osteuropas ist auch in Serbien die soziale Lage zwei Jahre nach dem Ende von Slobodan Milosevic noch immer sehr schwierig. Offiziell liegt die Arbeitslosenrate bei 28 Prozent und das Durchschnittseinkommen pro Monat bei etwa 200 Euro. Hinzu kommt die starke Überalterung. Ein Viertel der 7,5 Millionen Bewohner ist älter als 65 Jahre und Serbien hat 1,5 Millionen Pensionisten, die das Sozialbudget zusätzlich belastet. Im Gegensatz zu den meisten anderen Reformstaaten hat Serbien aber nach wie vor auch ein unbewältigtes Flüchtlingsproblem. Als Folge der Kriege im ehemaligen Jugoslawien und des Kosovokrieges leben in Serbien mehr als 500.000 Flüchtlinge und Vertriebene, deren Integration in die Gesellschaft noch nicht abgeschlossen ist. Unser Balkankorrespondent Christian Wehrschütz jüngst ein Flüchtlingsheim besucht. Über die Lage der Flüchtlinge und die soziale Situation hat er den nun folgenden Beitrag gestaltet:

Die Stadt Brus liegt am Fuße des serbischen Skigebiets Kopaunig im Grenzgebiet zum Kos-ovo. Die 20.000 Einwohner leben von Land- und Forstwirtschaft und hoffen vor allem auf eine steigende Zahl von Touristen. In Brus bestand jahrelang auch ein sogenanntes Kollek-tives Zentrum; darin lebten serbische Flüchtlinge unter schwierigen Verhältnissen, die Vendi Pivodic vom Hilfswerk Austria so beschreibt:

„Dieses Altersheim war in einem wirklich desolaten Zustand, wo die Leute in 8-Bett oder 10-Bett-Zimmern geschlafen haben. Es wird zuerst als Flüchtlings-Altersheim benutzt und später wird es ein ganz normales Altersheim.“

Das Hilfswerk Austria hat im Auftrag von Echo, der humanitären Organisation der EU, dieses Zentrum zu einem Heim umgebaut. Die 75 vorwiegend alten Flüchtlinge wohnen nun in Drei-Bett-Zimmern, die Heizung funktioniert, die Sanitäranlagen sind menschenwürdig und eine Küche sorgt für regelmäßige warme Mahlzeiten. Etwa 350.000 Euro hat der Umbau ge-kostet, der den Bewohnern nun einen besseren Lebensabend beschert. Zu ihnen zählt die 79-jährige Andja Stamenkovic. Sie floh 1995 als kroatische Truppen in der Operation „Sturm“ die Krajna zurückeroberten nach Serbien; längere Zeit war Stamenkovic in einer Landwirt-schaftsschule untergebracht ehe sie nun nach Brus verlegt wurde:

„Als ich hierher kam habe ich sofort gesagt, hier gehe ich nur als Tote weg. Ich gehe nirgends mehr hin, denn sie haben mich oft genug umgesiedelt. Ich war in der Krajna und floh vor der Operation Sturm; dann kam ich nach Serbien, dann noch die NATO-Bombardierung. Was habe ich alles überstanden. Jetzt ist es ausgezeichnet, ich bin zufrieden und werde zufrieden sterben.“

Andja Stamenkovic bezieht eine kleine Witwenpension, denn ihr Mann ist im Zweiten Welt-krieg gefallen. Ihre Hände sind von der Landwirtschaft gezeichnet, ihr Gesicht von vielen Falten und den Erlebnissen geprägt. Das gilt auch für ihre Mitbewohnerinnen. Mit 68 Jahren die jüngste des Dreigespanns ist Danica Puderlja; auch sie mußte Hab und Gut in der Krajna zurücklassen:

„Wir hatten zwei Kühe, Schweine, Hühner und alles übrige, wir haben das Feld bestellt. Als wir sahen, daß der Krieg kommt, wollten wir alles verkaufen, doch das gelang uns nicht. Dann sahen wir, daß sich die jugoslawischen Truppen mit ihrer gesamten Ausrüstung per Bahn zurückzogen und wir bekamen die Anordnung zu flüchten, weil die Kroaten alles besetzt hätten. Wohin nun ? Wir bewegten uns in einer Kolonne, waren drei Tage unterwegs, die Kroaten ließen uns zunächst nirgends durch doch schließlich konnten wir nach Serbien.“

Puderlja ist seit sieben Jahren in Brus. Zu ihren Einkünften sagt sie:

„Ich ging von Haus zu Haus, arbeitete am Land und habe Brombeeren und Himbeeren gesammelt.“

Auf diese Weise hat sich auch der kroatische Serbe Dusan Gundel ein Auskommen gesichert:

„Etwas verdienen kann man als Landarbeiter oder man kann Holz hacken, sonst nichts. Eine anspruchsvolle Arbeit gibt es nicht. Man kann von Dorf zu Dorf gehen, um etwas zu machen, damit Du etwas Geld für einen Kaffe oder ein Getränk hast, damit Du ein Gewand kaufen kannst und etwas zum wechseln hast. Das ist der gesamte Verdienst, den man bekommen kann.“

Der 57-jährige Gundel lebt mit seiner Frau im Flüchtlingsheim in Brus. 31 Jahre arbeitete er als Lokführer in Kroatien. Ebenso Danica Puderlja hätte er Anspruch auf eine Pension. Doch ein entsprechendes Abkommen wird zwischen Serbien und Kroatien noch verhandelt; und noch mehr Zeit wird vergehen, bis Ansprüche auch wirklich geltend gemacht werden können. Die Mehrheit der 75 Flüchtlinge in Brus stammen aus Kroatien, der Rest aus Bosnien und dem Kosovo. Ihre Unterbringung kostet pro Monat zwischen 110 und 150 Euro. Diesen Be-trag hat in vielen Fällen die Republik Serbien zu bezahlen, denn vor allem ältere Flüchtlinge haben kein eigenes Einkommen. Knapp 100 kollektive Flüchtlingszentren sollen bis Jahres-ende geschlossen werden. Darin leben 5.300 Personen, ein Viertel von ihnen ist älter als 60 Jahre. Unterstützt wird Serbien bis Jahresende dabei noch von der EU-Organisation Echo, die sich auch aus Serbien zurückziehen wird. Zur humanitären Hilfe, die Echo im ehemaligen Jguoslawien geleistet hat, sagt deren Vertreter Kevin Mannion:

„Die humanitäre Hilfe von Echo betrug in Bosnien 1, 42 Milliarden Euro, für den Kosovo waren es seit 1999 400 Millionen und für Serbien werden es bis Jahresende 500 Millionen Euro sein.“

Mannion verweist darauf, daß nur mehr weniger als 10 Prozent der serbischen Flüchtlinge und Vertriebenen in Lagern leben. Die Mehrheit habe es selbst geschafft, eine Unterkunft zu finden und sich zu integrieren. Daher sinkt auch die Zahl derer ständig, die in ihre alte Heimat zurückkehren wollen. Im Falle des Kosovo kommt noch die unsichere Lage und das unge-brochene Streben der Albaner nach Unabhängigkeit hinzu. In den serbischen Enklaven leben die Bewohner wie in einem Ghetto, so daß die Abwanderung die Zahl der Rückkehrer noch immer übersteigt. Doch das Schicksal der Flüchtlinge ist nur eines von vielen Problemen, mit denen sich die serbische Sozialministerin Gordana Matkovic zu befassen hat:

„Etwa 10 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze; das heißt, daß ihre Lebens-mittelversorgung noch schlechter ist als im Warenkorb vorgesehen, daß sie auf Kosten ihrer Gesundheit leben, keine Vitamine zu sich nehmen, daß ihnen das Nötigste für ein einiger-maßen menschenwürdiges Dasein fehlt. Doch es gibt noch eine große Gruppe, die sehr nahe an der Armutsgrenze lebt und das ist das Besondere und Beunruhigende an unserer sozialen Lage.“

Der minimale Warenkorb ist in Serbien für einen Vier-Personen-Haushalt berechnet. Er hat einen Wert von etwa 170 Euro und beinhaltet 11 Untergruppen. Dazu zählen Grundnahrungs-mittel, wie ein Laib Brot pro Tag, Bohnen, Fleisch, ein Kilogramm Sardinen in Öl sowie Hygieneartikel. Wie realistisch dieser Warenkorb ist, ist umstritten. Denn für kommunale Abgaben und Strom werden nur 36 Euro pro Monat veranschlagt. Mit dem offiziellen Durch-schnittsgehalt von knapp unter 200 Euro kann theoretisch jedenfalls ein Alleinverdiener diese Waren kaufen; Schmalhans ist jedoch vor allem bei Pensionisten Küchenmeister. Die Durch-schnittspension liegt bei 120 Euro pro Monat; trotzdem muß Serbien fast jeden dritten einge-nommenen Dinar für seine 1,5 Millionen Pensionisten aufwenden, denn auf einen Pensio-nisten kommen nur 1,6 Beitragszahler. Doch Mißbrauch gibt es auch in Serbien; so entdeckte das Sozialministerium bisher 100 Fälle, in denen sich Bürger durch Bestechung eine Invali-denpension erschwindelt hatte. Genauer Kriterien, bessere Kontrollen und höhere Strafen wurden angekündigt. Damit und durch ein neues Arbeitsgesetz sollen Schattenwirtschaft und Schwarzarbeit besser bekämpft werden. Geplant sind eine Meldepflicht für Arbeitslose, ver-pflichtende Weiterbildung und nach neun Monaten muß eine angebotene Arbeit angenommen werden.

Generell ist die soziale Lage in Serbien ist nicht nur von Armut, sondern vor allem von großen Unterschieden und vom Zweifel geprägt, ob die Statistiken auch das wirkliche Leben widerspiegeln. So beziffert das Arbeitsministerium die Zahl der Schwarzarbeiter auf 600.000. Zweit- und Drittberufe, die Schattenwirtschaft sowie Hilfe durch Verwandte im Ausland machen das Leben jedenfalls für viele erträglicher und einträglicher als die Statistik glauben machen will. Trotzdem wachsen Ungeduld und Unzufriedenheit, die Ministerpräsident Zoran Djindjic so erklärt:

„Wenn man von einem Raum mit minus 80 Grad in einen mit minus 40 Grad kommt, ist das eine große Veränderung aber es ist noch immer minus. Jemand sagt, ich friere noch immer und der andere sagt, ja, aber wir sind auf dem Weg in wärmere Gebiete. Das kann wie ein leeres Versprechen klingen; doch realistischer weise kann man nicht von Sibirien sofort an die Cote d’Azur gelangen. Es ist kein Zufall, daß es in der Bibel Paradies, Fegefeuer und Hölle und nicht nur Paradies und Hölle gibt. Man muß durch das Fegefeuer. Wenn man wie wir in der Hölle waren, ist es nicht realistisch, nach zwei Jahren schon im Paradies zu sein, doch viele Leute erwarten das.“

Doch das ist nur die halbe Wahrheit; denn das Reformtempo hat spürbar nachgelassen und Djindjic selbst hat jüngst sein Bekenntnis zu Rechtsstaat und ausländischen Investoren in Frage gestellt. So schanzte die serbische Führung de facto einem amerikanischen Konzern ohne Privatisierungsverfahren das im Konkurs befindliche Stahlwerk Sartid zu. Dessen Masseverwalter weigert sich, Außenstände in der Höhe von 100 Millionen US-Dollar anzuerkennen, die von einem Konsortium erhoben werden, dem auch deutsche und eine öster-reichische Bank angehören. Beschwerden der betroffenen Länder wurden von Djindjics Kabinett zunächst mit einem Verweis auf serbische Gerichte abgewiesen, deren Ruf nicht unbegründet schlecht ist. Sollte der Fall Sartid nicht bereinigt werden oder gar Schule machen, werden ausländische Investoren weiterhin nur zögernd nach Serbien kommen. Doch dann wird sich auch die soziale Lage nicht spürbar bessern und Zoran Djindjic könnte spätestens bei den Wahlen im kommenden Jahr von den Serbien eine eindeutige Rechnung präsentiert bekommen.

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