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Der Sturm auf das Bundesparlament am fünften Oktober vergangenen Jahres brachte das Ende der Ära von Slobodan Milosevic in Serbien und Jugoslawien.

In der Nacht feierten die Serben bereits auf den Straßen; doch noch herrschte auch Angst, ob Polizei und Armee nicht doch noch eingreifen und so den letzen Countdown für Milosevic zu verhindern suchen würden. Doch bereits am späten Abend des sechsten Oktober fügte Milosevic sich in das Unvermeidlich und gestand seine Niederlage ein:

Liebe Mitbürger, soeben habe ich die offizielle Information erhalten, daß Vojislav Kostunica die Präsidentenwahl gewonnen hat. Diese Entscheidung hat ein Organ getroffen, das in der Verfassung dazu berechtigt ist. Ich sehe daß ich diesen Beschluß akzeptieren muß.

Milosevic bezog sich dabei auf das jugoslawische Bundesverfassungsgericht, daß binnen zwei Tagen eine Kehrtwendung vollzogen und den Sieg von Vojislav Kostunica schließlich anerkannt hatte. Befreit von jeder Angst fühlten sich die Serben nun als wahre Champions und feierten, denn ihr neuer Präsident sollte bereits am siebenten Oktober vom Bundesparlament vereidigt werden. Wenige Stunden vor seiner Angelobung betonte auch Vojislav Kostunica im ORF-Interview die historische Bedeutung des weitgehend unblutigen Macht-wechsels:

Als es vor einigen Tagen am Höhepunkte der Krise zur Gewaltanwendung der Polizei vor dem Bundesparlament und zu Zusammenstößen mit Demonstranten kam, überraschte mich, daß der Machtwechsel doch friedlich verlaufen ist. Das ist sehr wichtig; wir haben zum ersten Mal einen Machtwechsel auf höchster Ebene, der unter großem Risiko aber auf friedliche Art und Weise erfolgt ist.

Doch der demokratische Wandel war noch nicht gefestigt. Im Bundesparlament mußte die Reformallianz DOS unter Vojislav Kostunica und Zoran Djindjic mit dem früheren Milosevic-Verbündeten aus Montenegro eine Regierung bilden, denn die montenegrinischen Milosevic-Gegner hatten die Wahlen boykottiert. Und im serbischen Parlament verfügte Milosevic nach wie vor über eine Mehr-heit, stellten seine Sozialisten somit auch die Regierung. Doch die Niederlage hatte Milosevics Partei demoralisiert und der politische Druck der Allianz DOS erzwang vorgezogene Wahlen, die am 23. Dezember stattfanden. DOS gewann eine Zwei-Drittelmehrheit und Zoran Djindjic, der strategische Kopf der Allianz wurde Ende Jänner als serbischer Ministerpräsident vereidigt.

Zu diesem Zeitpunkt war Jugoslawien bereits wieder Mitglied der UNO sowie anderer internationaler Organisationen; auch fast alle Sanktionen waren bereits aufgehoben. Weit schwerer als das außenpolitische war und ist das wirtschaft-liche Erbe Milosevics zu bewältigen. Serbien war verarmt, die Schattenwirt-schaft blühte, die Infrastruktur war verfallen und der offizielle Durchschnitts-lohn war auf unter 900 Schilling gesunken, die Auslandsverschuldung auf 15 Milliarden Dollar gestiegen. Trotzdem zog Zoran Djindjic nach den ersten hundert Tagen im Amt eine positive Zwischenbilanz:

Zu den Erfolgen seiner Regierung zählte auch die Eindämmung der Krise in Südserbien, wo unter Vermittlung des Westens ein Kompromiß mit albanischen Freischärlern gefunden wurde. Doch die chronische Finanznot Serbiens, der Druck des Westens, Milosevic auszuliefern und die Heterogenität der 18-Parteien-Allianz sowie das ungeklärte Verhältnis zu Montenegro bremsten auch die Reformen in Serbien. Als Milosevic am 1. April verhaftet wurde, kam der Gegensatz zwischen Djinjdic und Kostunica erstmals klar zum Vorschein. Zum Bruch kam es als Djindjic unter Druck Westens und unter Anwendung eines Notverordnungsartikels der serbischen Verfassung Milosevic am 28. Juni, an das Haager Tribunal überstellte. Djindjic begründete dies so:

„Genau vor 12 Jahren an diesem Tag, dem Veitstag, dem größten serbischen Feiertag rief Slobodan Milosevic unser Volk auf das zu verwirklichen, was er die Ideale des himmlischen Serbiens nannte. Das führte zu 12 Jahren Krieg, Katastrophen und zum Niedergang unseres Landes. Die Regierung Serbiens hat sich heute verpflichtet, die Ideale des irdischen Serbiens zu verwirklichen; und zwar nicht so sehr wegen uns, sondern wegen unserer Kinder. Denn mit diesen Entschlüssen retten wir die Zukunft unserer Kinder.“

Vojislav Kostunica bezeichnete die Auslieferung als erniedrigend und sagte:

„Die Auslieferung von Slobodan Milosevic an das Haager Tribunal kann ich nicht als verfassungskonform und legal ansehen. Der Verfassungsgerichtshof hat die Verordnung über die Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal suspendiert. Diese Maßnahme hätte beachtet werden müssen. Der Rechtsstaat, der das Ziel von DOS war, kann nicht auf Unrecht aufgebaut werden.“

Kostunicas Partei DSS verließ den gemeinsamen DOS-Parlamentsklub und weniger später auch die serbische Regierung. Der Konflikt zwischen Kostunica und Djindjic zeigt sich auch bei der Haltung gegenüber Montenegro. Kostunica will den gemeinsamen Staat erhalten, während Djindjic vor allem an einer raschen Entscheidung interessiert ist, denn die unklare Lage erschwert die Reformen in Serbien ebenfalls. Der montenegrinische Präsident Milo Djukanovic will jedenfalls am Unabhängigkeitskurs festhalten, obwohl die Montenegriner in dieser Frage gespalten sind.

Ob es zur Abspaltung tatsächlich kommt ist noch offen. Sicher ist jedoch, daß auch in Serbien die Zahl der Unabhängigkeitsbefürworter ebenso zunimmt wie die Zahl jener, die mit einem offiziellen durchschnittlichen Monatsgehalt von nunmehr 1500 Schilling unzufrieden sind. Noch kann sich die serbische Regierung auf den Reformwillen der Bevölkerung stützen; doch am fünften Oktober nächsten Jahres könnte die politische Landschaft in Serbien anders aussehen, obwohl die Bevölkerung weiß, daß es zur europäischen Integration keine Alternative gibt.

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