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Lage in Serbien

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In Serbien ist derzeit die umfangreichste Polizeiaktion in der Geschichte des Landes im Gang. Drei Wochen nach dem Mord an Ministerpräsident Zoran Djindjic und der Verhängung des Ausnahmezustandes hat die Polizei 2000 Personen verhaften und weitere 2000 verhört. Dazu zählen auch hochrangige Justizbeamte, Richter und Polizisten, die von der Mafia bezahlt wurden. Zerschlagen hat die Polizei mehrere Gruppen der Organisierten Kriminalität, da-runter auch den Mafiaclan von Zemun, der das Attentat an Djindjic in Auftrag gegeben hat. Der mutmaßliche Mörder ist in Haft. Er gehörte eine Sondereinheit der Polizei an, die für diverse politische Morde der Ära Milosevic verantwortlich sein soll. So haben deren Mitglie-der auch den früheren serbischen Präsidenten und Milosevic-Gegner Ivan Stambolic auf dem Gewissen. Die Regierung kann sich bei all diesen Maßnahmen der Unterstützung der Serben sicher sein. Mehr als 70 Prozent sind für den Ausnahmezustand. Die 16-Parteienkoalition zeigt derzeit eine ungewohnte Einigkeit, die auch für die Beschleunigung der Wirtschaftsre-formen genutzt werden soll. Doch warum konnten sich Kriminelle und Milosevic-Gefolgs-leute so lange in Serbien halten und welche Herausforderung hat die Regierung von Zoran Zivkovic noch zu meistern. Diese Fragen hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz im folgenden Beitrag zu verantworten versucht:

Text:

Der Sturz von Slobodan Milosoevic am fünften Oktober 2000 hielt Serbien und die Welt in Atem, doch die Revolution blieb unvollendet obwohl Vojislav Kostunica schon zwei Tage später Präsident Jugoslawiens wurde. Denn in der Teilrepublik Serbien vollzog sich der Machtwechsel erst mehr als drei Monate später mit der Wahl von Zoran Djindjic zum Ministerpräsidenten. In dieser Zeit des Interregnums blieb etwa der Milosevic-Vertraute Radeta Markovic auf seinem Posten als serbischer Geheimdienstchef. Markovic wurde bereits damals als die Schlüsselfigur für viele ungeklärte Morde der Ära Milosevic betrachtet. Zwar stehen diese Morde nun im Zuge der Ermittlungen im Mordfall Zoran Djindjic vor der Aufklärung und Markovic ist seit mehr als einem Jahr in Haft, doch eine umfassende Beseitigung der Altlasten in Polizei und Justiz vollzieht sich erst jetzt. Dazu sagt der neue serbische Ministerpräsident Zoran Zivkovic:

„Vieles davon was nun geschieht, ist am 6. Oktober 2000 versäumt worden. Sie wissen auch persönlich, daß die Demokratische Partei und einige andere Parteien lange aufgeschobene Dinge, die erste jetzt geschehen, bereits nach der demokratischen Bürgerrevolution durch-ziehen wollten. Diesen Termin haben wir damals versäumt, viel Zeit ist vergangen. Die Re-formen wären sicher viel besser, schneller und einfacher gewesen, wenn wir das, was wir jetzt machen, bereits damals erledigt hätten.“

Grund für das Versäumnis ist vor allem der Machtkampf zwischen Vojislav Kostunica und Zoran Djindjic. Er belastete die Reformen von Beginn an, verzögerte Verhaftung und Auslie-ferung von Slobodan Milosevic, die Reform der Streitkräfte und des Sicherheitsapparates. So lag das Gesetz über den Sonderankläger für die Organisierte Kriminalität und über die Kron-zeugenregelung lange im serbischen Parlament. Ende Juli 2002 wurde es verabschiedet, doch es vergingen noch sechs Monate bis das jugoslawische Parlament Gesetzesnovellen beschloß damit das Gesetz in Serbien vollzogen werden konnte. Zur Rolle von Vojislav Kostunica sagt daher Zoran Zivkovic:

„Wenn wir fragen, warum der Ministerpräsident tot ist und es viele andere Opfer gab, so haben wir die Gründe bei jenen zu suchen, die mit diesen Gesetzen in den Parlamenten gespielt haben; das sind jene, die Halb-Regierung und Halb-Opposition waren; das sind jene, die den Schutz der Verfassung als Vorwand und falsche Rechtfertigung verwendeten, obwohl diese Gesetze der Rechtsordnung entsprechen. Auch jetzt hören wir, daß der Ausnahmezu-stand verfassungswidrig sei, daß es andere Möglichkeiten gebe; dieses Gerede kommt wieder aus der selben politischen Gruppe, die verantwortlich dafür ist, daß viele Reformprozesse gebremst wurden.“

Verantwortlich dafür war auch die langwierige Umwandlung Jugoslawiens. Hinzu kam, daß die von der EU erzwungene Fortsetzung der Ehe zwischen Serbien und Montenegro jene pro-jugoslawischen Kräfte stützte, die entweder früher mit Milosevic koaliert hatten oder wie Vojislav Kostunica gegen einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit waren. Dazu sagt der Reformer und Präsident der serbischen Nationalbank Mladjan Dinkic:

„Wir haben immer gesagt, daß man Institutionen eines Rechtsstaates nicht mit den alten Kadern aufbauen kann. Doch es gab zwei Denkschulen: die Partei von Vojislav Kostunica dachte, daß man diese Institutionen mit denselben Leuten aufbauen kann, doch wir waren überzeugt, daß das nicht möglich ist. Zuerst muß man Personen mit Wissen, Mut und Moral in diese Schlüsselinstitutionen bringen, die man dann mit deren Hilfe aufbauen kann. Das haben wir in der serbischen Nationalbank mit technischer Hilfe aus dem Ausland so gemacht. Diese Hilfe brauchen wir jetzt bei Polizei, Gerichten und Staatsanwaltschaft.“

Diese Hilfe wird zweifellos nun verstärkt geleistet werden. Verstärkt hat sich nach dem Mord an Zoran Djindjic aber auch der Zusammenhalt der 16 Parteienkoalition. Er wird auch den wirtschaftlichen Reformen neuen Schwung verleihen, ist Mladjan Dinkic überzeugt:

„Ich glaube, daß im Parlament nun ein Minimum an Einigkeit besteht, um die Wirtschafts-gesetze rasch zu beschließen, die schon vor einem Jahr vorbereitet wurden. Dazu zählt das Gesetz über das Bauen, das die Zahl der Genehmigungen verringert und die Verfahren viel einfacher macht. Zu nennen ist auch das Leasinggesetz, das viel bessere Investitionsmöglich-keiten schafft. Allein einige österreichische Banken haben nach meinen Informationen schon 150 Millionen Euro für Leasingfinanzierungen vorgesehen. Doch auch die Gesetze über die Besicherung von Wohnbaukrediten, über Hypotheken und Konzessionen werden das Investi-tionsklima verbessern und die Sicherheit erhöhen.“

Gesicherter kann auch die Regierung den kommenden Monaten entgegen sehen. Denn so tragisch der Mord an Zoran Djindjic ist, so haben er und das entschlossene Vorgehen gegen die Organisierte Kriminalität das Land geeint und der Regierung eine zweite Chance eröffnet.

Dazu sagt der Meinungsforscher Srdjan Bogosavljevic:

„Die Unterstützung der Reformen und der Regierung ist jetzt größer als jemals zuvor. Ver-trauen in die Regierung haben mehr als 50 Prozent der Bürger, während es seit der Macht-übernahme nie mehr als 25 Prozent waren. Gestiegen ist auch der Optimismus. Jetzt denkt eine Mehrheit, daß es ihr in sechs Monaten besser gehen wird. Das ist aber auch gefährlich für die Regierung, denn es wird sich sehr schnell zeigen, daß sich die Verhaftung von Kriminel-len nicht direkt auf den Lebensstandard der Bürger auswirken wird. Jene, die nun erwarten, das alles besser wird, können rasch wieder zu Gegnern der Regierung werden, wenn morgen die Probleme mit dem Strompreis, mit Arbeitsplätzen und den Pensionen wieder da sind. Mit diesen Erwartungen richtig umzugehen, ist daher eine der wichtigsten Aufgaben der Regier-ung.“

Dazu zählt aber auch der richtige Umgang mit Zoran Djindjic, der zu einem serbischen Kennedy und zu einem Mythos zu werden beginnt. Dieser Mythos könnte den Nachfolger auch erdrücken. Zur Positionierung von Ministerpräsident Zivkovic sagt Bogosavljevic:

„Zoran Zivkovic ist keine Kopie von Zoran Djindjic, er ist in vielen Dingen sogar ein Anti-pode. Djindjic war ein Visionär, Zivkovic ist ein Mann der festen, klaren Organisation. Ge-meinsam haben sie Mut und Entschlossenheit und das ist gut. Wenn sich der neue Minister-präsident als Macher positioniert, als jemand, der anders ist als Djindjic, dann hat er Chancen, das Land gut zu führen. Wenn er jedoch dauernd mit Djindjic verglichen wird und in dessen Schatten bleibt, wird er an Popularität verlieren, denn diesen Wettkampf kann er einfach nicht gewinnen.“

Gewinnen könnte Zivkovic jetzt jede Wahl. Die Opposition ist marginalisiert und Zivkovics Demokratische Partei und die Regierungskoalition liegen in allen Umfragen klar voran; doch gerade jetzt wollen die Serben keinen Wahlkampf, sondern rasche Reformen. Als Ausweg sieht der Meinungsforscher Srdjan Bogosavljevic folgende Vorgangsweise:

„Wenn der Regierung eine rasche Verabschiedung der neuen Verfassung gelingt, dann hätte sie die Chance, die dann notwendigen Parlamentswahlen abzuhalten. So könnte sie vielleicht die Popularität Ausnützen; die sie derzeit hat.“

Eine neue serbische Verfassung ist notwendig, weil die alte nicht mehr der Verfassung des neuen Staatenbundes Serbien und Montenegro entspricht. Zivkovics Partei hat bereits ange-kündigt, daß sie gemeinsam mit der Volksabstimmung über die serbische Verfassung auch Parlamentswahlen abhalten will. Doch dazu muß in der Verfassung auch eine Formulierung über den Kosovo gefunden werden, dessen internationale Stellung ungeklärt ist. Diese Un-klarheit belastet auch Selbstfindung der Serben. Srdjan Bogosavljevic:

„Serbien ist ein Land ohne Identität, weil einige Schlüsselelemente dazu fehlen. Wir haben noch immer keine Fahne, kein Wappen, keine Hymne und auch keine Grenze. Das haben auch die Verbrecher ausgenutzt. Sie reisten legal nach Ungarn aus, reisten mit einem falschen Paß nach Bosnien und von dort ohne Kontrolle nach Serbien und haben denselben Weg zurück gewählt. So konnten sie beweisen, daß sie in der Zeit als sie tatsächlich Verbrechen in Serbien begingen, gar nicht in Serbien waren.“

Während die Fahndung nach Verbrechern bisher erfolgreich verläuft, ist die Suche nach der serbischen Identität noch offen. Das zeigte auch die Aufnahme des Staatenbundes Serbien und Montenegro in den Europarat. Beim Festakt in Straßburg wehte am Mast vor dem Gebäude der Parlamentarischen Versammlung noch die Fahne der erloschenen Bundesrepublik Jugoslawien. Beim Festakt ertönte die Hymne, die von der 1991 zerfallenen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien übernommen worden war. Flagge, Hymne und ein Staatswappen soll Serbien-Montenegro erst bekommen. Doch ob diese Gebilde erhalten bleibt, wird man erst in drei Jahren wissen. Denn so lange hat Montenegro unter dem Druck der EU auf ein mögliches Referendum über die Loslösung von Serbien verzichtet.
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