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Biljana Srbljanovic im Kampf um Belgrad

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Die Schriftstellerin und Dramaturgin Biljana Srbljanovic ist zweifellos die im Ausland bekannteste serbische Autorin der Gegenwart. International ins Rampenlicht rückte sie 1999 durch ihr Belgrader Kriegstagebuch während der NATO-Luftangriffe. Doch auch für ihre Stücke, wie „Der Fall“ oder „Die Heuschrecken“, die in Österreich, Deutschland und den USA aufgeführt wurden, erhielt sie internationale Anerkennung. Dazu zählt etwa der „Ernst-Toller-Preis, der ihr 1999 verliehen wurde. In Serbien hat die 1970 in Stockholm geborene Srbljanovic auch die politische Bühne betreten. Bei den Kommunalwahlen am 11. Mai kandidiert die Schriftstellerin für die kleine Liberale Partei für das Amt des Bürgermeisters in Belgrad. Srbljanovic ist die einzige Frau unter den fünf Kandidaten, die sich um das höchste Amt in der serbischen Hauptstadt bewerben.

Berichtsinsert: Christian ehrschütz aus Belgrad

Insert1: 1’46 Biljana Srbljanovic, Schriftstellerin

Insert2: 3’09 Biljana Srbljanovic, Schriftstellerin

Insert3: 4’34 Branislav Lecic , Schauspieler und Politiker

Insert4: 5’07 Biljana Srbljanovic, Schriftstellerin

Gesamtlänge: 6’00

Mit knapp zwei Millionen Einwohnern ist Belgrad die einzige Metropole des ehemaligen Jugoslawien. An der Mündung von Donau und Save gelegen verfügt die Stadt über ein enormes, aber noch ungenutztes touristisches Potential.

Zu den großen Problemen Belgrads zählt der Verkehr; er ist aber auch ein Zeichen für das pulsierende Leben, der serbischen Hauptstadt, in der es viele Theater, Kaffeehäuser und Restaurants gibt.

In einem Restaurant spielt auch eine Szene des Stücks „Heuschrecken“ der Autorin Biljana Srbljanovic. Es porträtiert die serbische Gesellschaft der Gegenwart, in der jeder falschen Vorstellungen vom Glück nachjagt:

Maks:

„Ich bin eine Ikone des Fernsehjournalismus. Ich habe derartigen Einfluss, dass ich sogar den Regierungschef stürzen kann, wenn ich will.“

Nadeschda:

„Warum willst Du ihn stürzen, ist was nicht in Ordnung mit ihm?

Maks:

„Um ihn geht es nicht, er ist bedeutungslos. Weißt Du überhaupt wer Regierungschef ist?

Ich möchte Dir nur sagen, wie einflussreich das Medium ist, in dem Du arbeitest!“

Nadeschda:

Ich schminke nur.“

Maks:

OK, jetzt schminkst Du, aber du kannst aufsteigen, wenn Dich jemand empfiehlt, wenn Du jemandem auffällst.“

Aufzufallen versucht derzeit auch die Autorin Biljana Srbljanovic. Sie steht im Wahlkampf für das Amt des Bürgermeisters von Belgrad. Sie kandidiert für die kleine Liberale Partei; die Liberalen sind kompromisslos für die EU und als einzige Parlamentspartei bereit, die Unabhängigkeit des Kosovo zu akzeptieren – ein Minderheitenprogramm also:

„Die Zeitungen informieren nicht darüber, was wir im Wahlkampf tun; das gilt sogar für die sogenannten unabhängigen Medien, sie werden de facto von großen Inserenten kontrolliert; und diese Großinserenten sind in der Demokratischen Partei. Was die elektronischen Medien betrifft, gibt es vielleicht zwei TV- und einen Radio-Sender in denen wir vorkommen. Als unabhängige Intellektuelle war ich bisher in allen Medien vertreten; jetzt sehe ich zum ersten Mal, was eine Medienblockade in einer sogenannten demokratischen Gesellschaft bedeutet.“

In Belgrad dominieren ebenso wie im übrigen Serbien zwei große Blöcke den Wahlkampf. Das Bündnis unter Führung der prowestlichen Demokratischen Partei und die nationalistische Radikale Partei. Trotzdem symbolisiert Srbljanovic mehr als nur ein Gruppenbild mit Dame unter den fünf Kandidaten. In Belgrad liegen die Liberalen nach Umfragen bei acht Prozent. Srbljanovic besucht im Wahlkampf auch Randgruppen, wie etwa eine Roma-Familie aus Anlass des orthodoxen Osterfestes:

Zum Wahlkampf gehören auch Treffen mit Jugendlichen. Viele, vor allem Studenten, sehen in Serbien keine Perspektive und denken ans Auswandern:

„Ein Künstler ändert die Welt, in dem er Mensch für Mensch ändert. Bei meinen Texten und Stücken, die ich geschrieben habe, habe ich immer einen Zuschauer im Publikum vor Augen gehabt. Wenn dieser eine Zuschauer nach meiner Vorstellung nur nachdenkt und Fragen stellt, und für sich selbst eine Antwort formuliert, dann ist die Welt bereits verändert. Mein politischer Aktivismus folgt demselben Prinzip. Und so ändern wir Mensch für Mensch, Straße um Straße, Stadt um Stadt dieses Land.“

Verbreite es weiter - lautet daher das Motto der Liberalen Partei, Unter Führung von Cedomir Jovanovic wirbt sie für ein „Serbien ohne Grenzen“. In Belgrad fordern die Liberalen vor allem ein Ende der Parteibuchwirtschaft und eine Entpolitisierung der Verwaltung.

Srbljanovic ist nicht die erste Künstlerin, die ein politisches Gastspiel gibt. Einer der Mitwirkenden in ihrem Stück „Heuschrecken“, Vojislav Brajovic, ist derzeit Kulturminister; einer seiner Amtsvorgänger war der Schauspieler Branislav Lecic; er kandidiert nun mit einer eigenen Liste bei der Parlamentswahl, die zeitgleich mit der Gemeinderatswahl staatfindet. Lecic schied im Unfrieden aus der Liberalen Partei, Srbljanovic streut er trotzdem Rosen:

„Allein das Antreten eines Schriftstellers, der in Serbien aber auch im Ausland leben kann, weil er erfolgreich ist, ist ein ausreichender Schritt nach vorne. Das ist ein ernsthaftes Signal, dass zumindestens als Kandidaten, Künstler für wichtige und führende Funktionen im öffentlichen Leben Serbiens in Frage kommen.“

Mehr kommt für Srbljanovic nicht in Frage, denn der Bürgermeister ist außer Reichweite. Reicher wird die Autorin nach dem Wahlkampf um viele Erfahrungen sein, die sie jedoch nicht für neue Stücke nützen will:

„Das wirkliche Leben und seine Ereignisse sind derart unglaublich, unwahrscheinlich und ungewöhnlich, dass das auf der Bühne nicht glaubhaft darstellbar ist. Das was uns derzeit widerfährt, ist in einem derartigen Ausmaß unwirklich, dass das auf der Bühne niemand glauben würde. Diese Erfahrung ist für mich daher persönlich oder im philosophischen Sinne wichtig, doch worüber ich schreiben werden, das ist eine andere Sache.“

Für ihre Leistungen als Autorin erhielt Srbljanovic jüngst den Preis der Stadt Belgrad. Der durschlagende Applaus auf der politischen Bühne wird ihr versagt bleiben. Ob und welche Wirkung ihr politisches Gastspiel langfristig haben kann, bleibt ebenso offen wie die geistige Wirkung ihrer Stücke auf das Belgrader Publikum. Doch sicher ist, dass über das Schicksal der serbischen Hauptstadt nach der Wahl andere entscheiden werden.

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