× Logo Mobil

Report Serbien und Montenegro und EU

Fernsehen
Berichte Serbien
Beim Gipfeltreffen Ende April hat die Eu die Aufnahme von 10 neuen Mitgliedern beschlossen. Damit ist jedoch die Liste der Beitrittswünsche noch nicht erschöpft. Bei dem diese Woche in Thessaloniki stattfindenden Gipfeltreffen soll daher vor allem gegenüber den Staaten des Balkan ein klares Zeichen gesetzt werden. Gemeint sind damit Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Mazedonien sowie der Staatenbund Serbien und Montenegro. Von all diesen Staaten ist Kroatien am weitesten entwickelt; das Land ist daher auch das einzige, das bisher auch einen Beitrittsantrag gestellt hat. Als letzten Land mit Reformen begonnen hat Serbien. Mehr als zwei Jahre nach dem Ende von Slobodan Milosevic geriet Serbien im März durch den Mord an Ministerpräsident Zoran Djindjic erneut in die Schlagzeilen. Doch während Europa im Bosnienkrieg eine durchaus fragwürdige Rolle gespielt hat und lange handlungsunfähig war, hat die EU in Serbien viel rascher reagiert. Mehr als eine Milliarde Euro an Unterstützung ist seit dem Sturz von Slobodan Milosevic bereits nach Serbien geflossen. Trotzdem wird die Politik der EU von vielen führenden Reformern in Belgrad auch mit gemischten Gefühlen betrachtet. Warum das so ist zeigt der Beitrag, den unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz gestaltet hat:

Berichtsinsert: Christian Wehrschütz

Insert1: Svetozar Marovic, Präsident Serbien und Montenegro

Insert2: Mladjan Dinkic, Präsident der Serbischen Nationalbank

Insert3: Mladjan Dinkic, Präsident der Serbischen Nationalbank

Insert4: Branko Lukovac, Wirtschaftsminister Serbien und Montenegro

Kamera: Predrag Crvenkovic

Ton: Dragisa Jelic

Schnitt: Mica Vasilejvic

Text:

Trauer, Schock und Ungewissheit löste der Mord an Ministerpräsident Zoran Djindjic bei der Masse der Serben zunächst aus. Zu all den sozialen und wirtschaftlichen Problemen kam noch die Frage nach den Folgen des Attentats. Doch Djindjics Nachfolger Zoran Zivkovic und seine serbische Regierung reagierten rasch und verhängten den Ausnahme-zustand. Er dauerte sechs Wochen und diese Zeit wurde zum Kampf gegen die Organi-sierte Kriminalität genutzt. Der Mafia-Klan von Zemun wurde zerschlagen, der hinter dem Mord an Djindjic stand und der mutmaßliche Attentäter konnte verhaftet werden. Mitte Juni verhaftete die Polizei auch Veselin Slivancanin, der wegen mutmaßlichen Kriegsverbrechen im kroatischen Vukovar vom Haager Tribunal gesucht wird. Bei der Verhaftung selbst kam es in Belgrad zwar zu Ausschreitungen. Doch die Masse der Serben akzeptiert die Zusammenarbeit mit Den Haag; sie gilt als eine Eintrittskarte in die EU, denn eine Mitgliedschaft stößt auf breite Zustimmung:

„Je schneller, desto besser.“

„Leider nicht so schnell. Ich wollte so schnell wie möglich, das wäre gut.“

Eine ungebrochene EU-Perspektive zu vermitteln waren auch die Ziele, die Havier Solana und Chris Patten als hochrangige Vertreter der EU mit ihren Besuchen in Belgrad unmittelbar nach dem Mord an Zoran Djindjic verfolgten. Brüssel hat in Belgrad rasch und viel geholfen.

Nach dem Kosovo-Krieg 1999 wurden demokratisch regierte Städte materiell und finan-ziell mit den Programmen Energie und Asphalt für Demokratie. Nach dem Sturz von Slobodan Milosevic im Herbst 2000 überstand Serbien den Winter dank der raschen Hilfe aus Brüssel. Energieimporte, Ersatzteile für Kraftwerke, Lebensmittel, Medikamente und Hilfe für den veralteten Kohlbergbaus verschlagen Millionen. Allein die EU-Agentur für den Wiederaufbau hat Serbien bereits mit mehr als 560 Millonen Euro unterstützt. Der Wiederaufbau der von der NATO zerstörten Donaubrücke bei Novi Sad ist das größte Einzelprojekt. Die Beseitigung von Kriegsrelikten und Trümmern ist fast abgeschlossen und 2004 soll die Donau wieder frei befahrbar sein. Denn derzeit behindert noch eine Behelfsbrücke die Schifffahrt.

Mit gemischten Gefühlen wird jedoch die politische Rolle der EU betrachtet. So erzwang Brüssel vor einem Jahr den Belgrader Vertrag. Darin verzichtete Montenegro auf die Loslösung von Serbien, erhielt aber eine weitgehende Autonomie. Die Ausarbeitung der Verfassung der neuen Union Serbien und Montenegro dauerte neun Monate.

Anfang dieses Jahres stand endlich die neue Regierung. Sie besteht aus fünf Ministern und wird vom Montenegriner Svetozar Marovic geführt, der zugleich Präsident und Regierungschef ist.

Doch die Union ist schwach und heterogen. Der Euro ist die Währung Montenegros, in Serbien wird mit dem Dinar bezahlt, Rechtssysteme und Reformtempo sind verschieden und noch besteht eine Zollgrenze zwischen den beiden Teilstaaten. Doch Brüssel verlangt einen einheitlichen Wirtschaftsraum als Vorbedingung für die weitere Annäherung an die EU. Dazu soll nun ein Aktionsplan binnen zwei Jahren führen:

„Der Aktionsplan garantiert durchschnittliche Zolltarife, die etwas geringer oder höher als die Zollsätze in der EU sind. Das spricht dafür, dass wir damit Normen und Standards für die weiteren Schritte zur Europäisierung vorbereiten. Einige in Serbien und Montenegro sagen, dass wird für uns nun eine Belastung sein. Ja, doch das ist der Kaufpreis für den Eintritt nach Europa.“

Doch dieser Kaufpreis, den der Montenegriner Svetozar Marovic akzeptiert, ist vielen serbischen Experten zu hoch:

„Die serbische Landwirtschaft muss ihren ohnehin schon niedrigen Schutzzöllen ent-sagen und die Einfuhrzölle um ein Drittel senken; das würde Serbien beträchtlich schädigen, das ein Agrarland ist wie Ungarn. Anderseits hat Montenegro auch noch Ausnahmen für die 50 wichtigsten landwirtschaftlichen Produkte gefordert; es bekommt besondere Quoten, damit es aus anderen Ländern Waren einführen kann und sie nicht in Serbien kaufen muss, das ein Nahrungsmittelproduzent ist.“

Nachteile befürchtet Dinkic auch für die Textilindustrie; die Einfuhrzölle sollen auf Wunsch Montenegros um 10 Prozent fallen und werden sogar niedriger sein als in den Nachbarstaaten:

„Da Serbien kein Textilabkommen mit der EU hat erfolgt der Export auf der Basis von Quoten. Diese Quoten hat die serbische Textilindustrie vergangenes Jahr in den ersten vier Monaten und heuer in den ersten sechs Wochen aufgebraucht. Die Verluste der Textilindustrie betragen für diese beiden Jahre etwa 150 Millionen Euro. Von dieser Industrie leben 125.000 Arbeiter, die die niedrigsten Gehälter in Serbien beziehen. Das ist eine potentielle soziale Bombe, vor allem in Südserbien.“

Der Notenbankpräsident macht kein Hehl daraus, dass er eine klare Scheidung zwischen Serbien und Montenegro lieber hätte als diesen neuen Staat, auf dem die EU jedoch be-harrt. Brüssel rechnet mit der normativen Kraft des Faktischen, die Serbien und Monte-negro zusammenhalten soll, ist erst ein Mal das Abkommen über Assoziation und Stabilisierung unter Dach und Fach. Das dürfte aber nicht vor 2006 der Fall sein; bis dahin könnte der Staatenbund schon Geschichte sein.

„Vor allem de facto sind Serbien und Montenegro selbständig in der Führung ihrer Politik und ihrer Staaten. Ich denke daher, dass die derzeitige Erfahrung gut ist für Serbien und für Montenegro. Wahrscheinlich werden sie für das optieren, was im Verfassungsdokument festgelegt ist; das heißt, dass sie sich spätestens nach drei Jahren ganz sicher dafür entscheiden werden, die Bürger zu befragen, ob sie der völligen inneren Selbständigkeit auch das selbständige Auftreten auf internationaler Ebene hinzufügen wollen.“

Doch ob es zum Referendum kommen wird ist offen. Auch Filip Vujanovic, der neue Präsident Montenegros, wolle sich in dieser Frage jüngst bei seiner Amtseinführung in Cetinje nicht festlegen. Diese Unklarheit hat österreichische Firmen aber nicht davon abgehalten, in Serbien zu investieren. Denn für wichtigsten Wirtschaftsgesetze sind die zwei Teilstaaten zuständig. Henkel übernahm den Waschmittelhersteller Merima, um seine Position in Südosteuropa zu stärken Mehr als 100 österreichische Firmen sind bereits in Serbien. Alpine-Mayreder etwa kaufte einen Steinbruch, um für den Straßenbau gerüstet zu sein. Das Salzburger Unternehmen wird heuer die Autobahn Belgrad – Novi Sad ausbauen. Der Pionier ist jedoch die Raiffeisenbank. Sie hat mehr als zehn Filialen errichtet und ist die größte ausländische Bank in Serbien.

Der neue Ministerpräsident Zoran Zivkovic versprach an Grabe Zoran Djindjics, dessen Reformen und den Weg nach Europa fortzusetzen. Binnen vier Jahren soll Serbien - mit oder ohne Montenegro – eine klare EU-Beitrittsoption haben. Tatsächlich hat das Parla-ment während des Ausnahmezustandes auch einige längst überfällige Reformgesetzte be-schlossen. Doch die 17 Parteien zählende Regierungskoalition ist heterogen und Gegen-sätze sind jüngst wieder verstärkt sichtbar geworden. Daher ist es fraglich, ob der Schock des Attentates tief genug verankert ist, um Serbien, das auch noch die Zwangsehe mit Montenegro zu bewältigen hat, so rasch wie erhofft an die EU heranführen zu können.
Facebook Facebook