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Mazedonien-Reportage

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Mazedonien-Reportage
Berichte Nord-Mazedonien
Das von etwa 3500 Albaner besiedelten Dorf Poroj zwei Kilometer außerhalb von Tetovo zählt zu jenen Dörfern, die das albanische Leben recht gut widerspiegeln. Die Mosche wurde nicht zuletzt durch Spenden von Gastarbeitern erneuert und die älteren Männer sitzen in den Kaffees im Dorfzentrum und unterhalten sich. Viele Kinder sind auch den Straßen zu sehen, Frauen dagegen so gut wie gar nicht. Daß Mißtrauen gegen den unbekannten Journalisten aus Österreich ist trotz eines 24igjährigen albanischen Führers zunächst groß; gefilmt werden darf überhaupt nicht, und nur zwei alte Gastarbeiter und ein Student der Universität von Tetovo sind zu einem Gespräch bereit. Stunden später werden wir diesen Studenten mit einer Waffe in der Hand im lokalen Hauptquartier der albanischen Freischärler-Bewegung UCK, im Dorf Selca wiederfinden. Doch bis dahin gilt es einige hundert Höhenmeter zu überwinden und einige Stunden Fußmarsch hinter sich zu bringen.

Zunächst geht es mit einem Traktor weiter, der auf unglaubliche Weise auch die größten Steigungen an den Ausläufern des umkämpften Burgberges von Tetovo meistert, denn die Hauptsraße ist wegen der Gefechte zu gefährlich. Schon muß bald vom Traktor abgesessen und gegangen werden, denn Mulis und Pferde werden von den jugendlichen albanischen UCK-Anhängern nicht zur Verfügung gestellt. Nach einer Stunde Fußmarsch ist Germe erreicht, ein malerisches Dorf mit etwa 200 Albanern, in dem die Bergbauern noch so leben wie bei uns die Großväter-Generation. Durch das Dorf hinaus geht es einen Höhenkamm entlang, von dem aus die Hinterseite des umkämpften Burgbergs von Tetovo samt der Überreste der türkischen Festung Kale gut sichtbar sind. Die Wanderung erinnert beinahe an eine Führung der Österreich-Werbung, denn die schöne Landschaft gemahnt an Tirol, wobei nur der Geschützdonner vom Tal herauf die Idylle trübt.

Nach vier Stunden Fußmarsch und beständigen Warnungen vor Scharfschützen ist das Dorf Selca erreicht. Die etwa 3000 Einwohner zählende Ortschaft liegt nur fünf Autominuten von Tetovov entfernt, doch die Straße ist wegen einer mazedonischen Polizeisperre unpassierbar.

Schöne Häuser sind zu sehen, finanziert von Gastarbeitern, und viele bewaffnete Männer mit oder ohne Uniform. Denn Selca ist der Sitz des lokalen UCK-Kommandos. Ein Freischärler berichtet über die Ziele des Kampfes; Freiheit und Gleichheit für das albanische Volk; der Kampf habe erst begonnen und könne schon bald auf ganz Mazedonien ausgedehnt werden. Den Artilleriebeschuß der Mazedonier bezeichnet der Albaner, der bereits im Kosovo ge-kämpft hat, als lächerlich, wirkungslos und als Panikreaktion. Die UCK habe großen Zulauf, schon bald werde ein eigenes Ausbildungslager errichtet werden, sagt der Freischärler. Auch Selca ist von den mazedonischen Streitkräften beschossen worden, die UCK wurde dadurch offensichtlich nicht geschwächt.

Nach dem Interview geht es wieder zu Fuß zurück nach Germe, wobei der benutze Pfad näher an Tetovo vorbeiführt. Immer wieder ist Artilleriefeuer zu hören. Die strategisch wichtigen Punkte der Stadt, wie die KFOR-Kaserne sind sehr gut sichtbar und für weiter reichende Waf-fen auch erreichbar. In Germe bringt uns ein Albaner mit dem Auto über die Straße, die den Burgberg entlang führt ein gutes Stück weit wieder Richtung Poroj. Dann heißt es wieder Fußmarsch, denn die Straße liegt im Schußbereich der Mazedonier. Geduckt geht es weiter, vorbei an eingegrabenen UCK-Stellungen bis zum wartenden Jeep der UCK-Anhänger. Zu-rück geht es ins Dorf Poroj, wobei der Jeep immer wieder an patrouillierenden Freischärlern vorbeifährt. Was bleibt ist nicht zuletzt der Gedanke, daß die mazedonischen Streitkräfte offenbar aus Angst vor zu großen eigenen Verlusten, dieses Dorf und dieses Gelände nicht besetzen. Doch wenn eine militärische Lösung nicht möglich ist, dann wird wohl auch mit der UCK verhandelt werden müssen. Doch dann werden Mazedonien und dieser Teil des Balkan vielleicht schon in wenigen Jahren anders aussehen. Der Kosovo, Südserbien und nun Maze-donien sollten jedenfalls klar gemacht haben, daß ohne eine Lösung der sogenannten albani-schen Frage, eine dauerhafte Stabilität in dieser Region nicht zu erreichen sein wird.
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