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Mazedonien – Analyse und Lage

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Berichte Nord-Mazedonien
„Ein dauerhafter Waffenstillstand ist ein dauerhafter Waffenstillstand“, so antwortete NATO-Generalsekretär George Robertson in Skopje einem Journalisten auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen denn die NATO einen derartige Feuerpause und damit die Vorbedingungen für ihre Stationierung als gegeben ansehe. Robertson teilt immerhin mit, daß bereits heute 15 hochrangige NATO-Offiziere nach Mazedonien kommen werden, um die Lage zu beurteilen und die Voraussetzungen für eine Stationierung zu schaffen. Dazu werden die kommen-den Tage entscheidend sein; hält der Waffenstillstand, wird er von der NATO als dauerhaft und damit auch stabil eingeschätzt, kann die Verlegung der 3.500 Mann beginnen; ist auch deren Stationierung abgeschlossen, so kann wahrlich davon gesprochen werden, daß Mazedonien wieder ein Stück vom Abgrund des Bürgerkriegs zurück-gewichen ist. Denn bis zur Stationierung kann jeder Bruch der Feuerpause den Prozeß der Stabilisierung Mazedoniens wieder in Frage stellen.

Positiv an dem gestrigen Tag in Skopje war neben der Unterzeichnung des Friedensabkommens die Tatsache, daß der Westen einen Kompromiß beim Zeitplan für die Ratifizierung des Abkommens im Parlament und bei der sogenannten Entwaffnung der albanischen Freischärler der UCK erreichen konnte. Vereinbart wurde, daß die erste Lesung im Parlament stattfindet, wenn festgestellt ist, daß die UCK ein Drittel ihrer Waffen abgegeben hat. Die zweite Lesung und damit die Abstimmung sollen erfolgen wenn die NATO erklärt, die UCK habe alle Waf-fen abgegeben. Diese Erklärung dürfte mit der Realität relativ wenig zu tun haben, aber es dem mazedonischen Parlament immerhin ermöglichen, das Gesicht zu wahren. Denn die UCK hat weder im Kosovo die Waffen wirklich abgegeben, noch wird sie das in Mazedonien tun. Hinzu kommt die Frage, wie genau die NATO, trotz aller Satellitenaufklärung, wirklich weiß, welche und wie viele Waffen die UCK hat. Die Liste, die die UCK der NATO bereits übergeben haben soll, dürfte jedenfalls nur bedingt aussagekräftig sein. Außerdem ist die Wieder-bewaffnung der Freischärler, entsprechende Geldmittel vorausgesetzt, jederzeit möglich.

Zu den gestern erreichten Vereinbarungen zählt die Verpflichtung der mazedonischen Streitkräfte und der Frei-schärler zu den Linien des am 5. Juli vereinbarten Waffenstillstandes zurückzukehren. Diese Linien könnten sich leicht zu einer Art inoffizieller Demarkationslinie entwickeln. Nach all den Monaten an Leid und Zerstörung sind Mißtrauen und Verbitterung zwischen Albanern und Mazedoniern so groß geworden, daß eine umfassende und rasche Rückkehr der Vertriebenen sehr fraglich ist. Eine schleichende Abwanderung aus dem jeweils anderen Gebiet, bestand in Mazedonien schon vor den Gefechten; daher sind die Ankündigungen der OSZE, sie werde die Rückkehr überwachen und vertrauensbildende Maßnahmen einleiten mit gehöriger Skepsis zu bewerten, denn derartige Ankündigungen erwiesen sich auch im Kosovo als realitätsfremd.

Wie dünn das Eis ist, auf dem sich die beiden Völker in Mazedonien bewegen, zeigte ein Zwischenfall bei der Unterzeichnung des Friedensplans. Die beiden Albaner-Führer benutzten bei ihrer Erklärung nach der Zeremonie die albanische Sprache, deren Aufwertung das Abkommen vorsieht. Ministerpräsident Ljubco Georgievski ver-ließ demonstrativ sofort den Saal; und Staatspräsident Boris Trajkovski betonte, der Gebrauch des Albanischen stehe den Politikern erst nach der Ratifizierung des Abkommens zu. Die mazedonische Presse sprach von Skan-dal und Provokation. Weit vorsichtiger in ihrer Wortwahl als noch vor wenigen Wochen waren da schon NATO-Generalsekretär Robertson und Javier Solana, der EU-Beauftragten für die Gemeinsame Außen- und Sicherheits-politik. Hatten beide die UCK damals noch als Terroristen und blutige Mörder bezeichnet, mit denen es nichts zu verhandeln gebe, so fiel dieses Wort gestern in Skopje praktisch kein einziges Mal. Natürlich bestritten Solana und Robertson auch, daß die Angriffe der Freischärler politisch etwas bewirkt hätten. Jenseits dieser politischen Floskeln war im Saal und ist in Mazedonien klar, daß ebenso wie im Kosovo und in Südserbien die Albaner ohne Kampf und Gewalt weit weniger erreicht hätten als ihnen nun zugestanden wurde.

Die Aufgabe der NATO-Militärdelegation wird es sein, die Lage in Mazedonien zu sondieren und die Statio-nierung der 3.500 Soldaten vorzubereiten. Diese Truppe soll dann die Entwaffnung der albanischen Freischärler durchführen. Dazu ist jedoch ein neues Stationierungsabkommen für die NATO in Mazedonien notwendig sowie die Bewertung des Waffenstillstandes im Land als dauerhaft. Diese beiden Fragen sollen in den kommenden Tagen geklärt werden; denn der Zeitdruck ist ebenso groß wie wohl auch der Druck, den der Westen auf Albaner und Mazedonier ausüben dürfte, um neue Gefechte zu verhindern. NATO-Generalsekretär Robertson informierte noch gestern spät am Abend in Brüssel die Botschafter der 19 NATO-Länder über die Lage in Mazedonien. Nach der Sitzung verlautete, die Entscheidung über eine Truppenentsendung werde rascher als erwartet fallen. Schon morgen oder übermorgen soll der NATO-Rat in Brüssel neuerlich zusammentreten.

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