× Logo Mobil

Mazedonien Porträts

Fernsehen
Weltjournal
Berichte Nord-Mazedonien
In Mazedonien ist die neue Regierung von Branko Crvenkovski jetzt etwa 100 Tage im Amt. Die Koalition von Sozialdemokraten und der aus der albanischen Freischärlerbewegung her-vorgegangenen Partei DUI hat ein schweres Erbe zu bewältigen. Denn die bürgerkriegsähn-lichen Gefechte im vergangenen Jahr zwischen Albanern und Mazedoniern brachten das Land an den Rande des Abgrunds und konnten nur durch das massive Eingreifen von NATO und EU beendet werden. Doch das Mißtrauen ist noch immer groß, die Staatskassen sind weit-gehend leer und die Regierung hatte bisher alle Hände voll zu tun, um mit Streikbewegungen fertig zu werden. Doch es gibt in Mazedonien auch Zeichen der Hoffnung. Denn mit der neuen Regierung sind auch junge, unverbrauchte Politiker in den Vordergrund getreten, die das Land reformieren und nach Europa führen wollen. Auf mazedonischer Seite zählt dazu die 30-jährige Radmila Secerinska, die stellvertretende Ministerpräsidentin ist. Bei den Albanern ist Teuta Arifi zu nennen. Sie ist die erste Albanerin, die seit mehr als 10 Jahren im Parlament in Skopje vertreten ist. Vor allem Teuta Arifi aber auch Radmila Seserinska sind in ihren patriarchalischen Gesellschaften auch ein Vorbild für viele Frauen, die sich ebenfalls mehr Gleichberechtigung erkämpfen wollen. Unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz hat die beiden Frauen in Mazedonien besucht und folgendes Porträt gezeichnet:

Berichtsinsert: Christian Wehrschütz

Kameramann: Marijan Ognanovski

Schnitt:

Radmila Seserinska auf dem Weg in das Regierungsgebäude in Skopje. Die 30-jährige ist seit 10 Jahren in der Sozialdemokratischen Partei aktiv und seit Herbst stellvertretende Minister-präsidentin. Zuständig ist sie für Auslandshilfe und für die Annäherung an die EU. Zwar hat Mazedonien, das in Größe und Bevölkerung Niederösterreich entspricht, etwa 17.000 Beamte. Doch dazu zählen auch Lehrer und das Krankenhauspersonal, während die Hoheitsverwaltung unterbesetzt ist. So kann Seserinska nur auf 20 Mitarbeiter zählen, um Gesetzgebung und Verwaltung auf EU-Kurs zu bringen. Obwohl der Beitritt noch weit ist, ist für Mazedonien diese Perspektive entscheidend, um die Reformen zu bewältigen:

1276: 24252 – 24338 (46)

„Wir müssen garantieren, daß der Staat politisch stabil und sicher ist, und zwar durch alle Parteien, in der Regierung und durch die Isolierung der Extremisten. Zweitens müssen wir die Korruption bekämpfen. Wir müssen das System ändern und wir müssen den klaren politischen Willen zeigen, daß Korruption nicht mehr geduldet wird im Staat.“

Geändert hat sich bereits die Denkweise; so entspricht Seserinkas Grundhaltung nicht den Klichees, die Balkan-Politiker bisher geprägt haben:

1277: 25334 – 25412 (38)

Ich erwarte nicht, daß es nur eine Antwort gibt, denn das ist nicht real. Es gibt nicht nur eine Sicht der Dinge, denn das ist eine Beschränkung der Wahrheit. Man muß sich der Subtilität und der Unterschiedlichkeit der Meinungen bewußt sein.“

Seserinska betont, wie wichtig die weitere Präsenz der EU am Balkan ist:

1276: 23740 – 23839 (60)

„Die politische Elite Europas muß verstehen, daß der Balkan wieder zum Problem werden kann, wenn man ihn vernachlässigt. In den 90iger Jahren zeigte das ehemalige Jugoslawien, daß die EU den Problemen nicht genügend Aufmerksamkeit widmete, so daß sie in einer viel radikaleren Form gelöst werden mußten. Ich bin mir der Gefahr bewußt, daß nach dem 11. September und nach einem möglichen Krieg gegen den Irak sich die Prioritäten der USA und die Politik der EU völlig ändern können. Doch die Priorität der Außenpolitik der EU muß trotzdem auf Europa und dessen Stabilität gerichtet sein, denn schließlich ist der Balkan Teil Europas.“

Die Europapolitik zählt auch zu den Schwerpunkten von Teuta Arifi. Sie ist Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses und seit 12 Jahren die erste albanische Abgeordnete im Parla-ment. Auch Arifi weiß, daß eine EU-Annäherung Rechtsstaat, Sicherheit, Wirtschaftsrefor-men und die Aussöhnung zwischen Albanern und Mazedoniern voraussetzt. Dazu zählt aber auch die Emanzipation der Albanerinnen, die die 31-Jährige vorantreiben will:

1278: 32058 – 32223 (1,30) 32258 (120)

Wir müssen möglichst viele Frauen für die Partei und die Politik werben. Für die Albaner in Mazedonien ist es sehr entscheidend, daß wir eine tiefgreifende Reform nur durch Emanzi-pation und Modernisierung unserer Gemeinschaft erreichen können.“

In der Politik ist Teuta Arifi ein Neuling. Öffentlich in Erscheinung trat sie erstmals im Wahl-kampf im Frühherbst an der Seite von Ali Achmeti. Achmeti war Führer der Freischärler-bewegung UCK; nach dem Friedensschluß gründete er die Partei DUI, die Demokratische Union für Integration; bei der Wahl erhielt die DUI eine überwältigende Mehrheit unter den Albanern. Achmeti bildete eine Koalition mit den mazedonischen Sozialdemokraten, ver-zichtete aber auf einen Ministerposten, zu groß waren die Vorbehalte unter den Mazedoniern. Erspart bleiben ihm dadurch Marathonsitzungen des Kabinetts, denen sich Radmila Seserinska stellen muß. Sitzungen mit einer Dauer von acht Stunden sind keine Seltenheit und auch Zeichen für Schwäche des Beamtenapparats:

1276: 24719 – 24802 (43)

„Unsere Verwaltung kann noch nicht einen Teil jener Verpflichtung übernehmen, die sie zu erfüllen hat, wie etwa die Vorbereitung der Sitzung und der Unterlagen um somit die größten Probleme bereits vor der Kabinettssitzung zu lösen. Zweitens ist die Regierung erst kurz im Amt und hat eine außerordentlich schwierige finanzielle und politische Lage vorgefunden. Daher können wir uns nicht den Luxus erlauben, uns nur mit den fünf oder sechs größten Problemen zu befassen, denn wir haben dreißig Probleme, die Priorität haben.“

Daher ist es oft Nacht bis sie ihr Büro verlassen kann. Bevor die ledige Politikerin zu ihren Eltern in die Wohnung zurückkehrt, steht noch ein Einkauf beim Greißler ums Eck auf dem Programm. 500 Euro Monatsgehalt bekommt Seserinska als stellvertretende Ministerpräsi-dentin. Das ist für westliche Verhältnisse wenig, viel aber für ein Land, in dem offiziell jeder Vierte Arbeitslos ist. Doch Geld war kein Motiv für eine politische Karriere:

1273 5445 – 5531 (46/60)

„Als ich in die Politik gegangen bin habe ich nicht daran gedacht, mich mit der Politik professionell zu befassen. Ich wollte politisch engagiert sein, weil in der Zeit des Wandels jeder seinen Beitrag dazu leisten soll. Doch dann wird man süchtig von der Politik und es ist schwer davon loszukommen.“

Dieser Sucht nach Politik geopfert hat Radmila Seserinska ihre Karriere an der Universität von Skopje. Ihren Schreibtisch an der Elekrotechnischen Fakultät räumte die mathematisch begabte Seseerinska mit dem Eintritt in die Regierung. Sechs Jahre war sie Assistentin. Die Mehrheit der Studenten an den zwei staatlichen Universitäten sind Frauen; Unterrichtssprache ist Mazedonisch, ein Umstand die Albanern als diskriminierend betrachten. Dieses Gefühl gemindert hat die private Südosteuropa Universität in Tetovo, die vom Westen finanziert wird. 2300 Studenten, vorwiegend Albaner, werden hier ausgebildet. In Tetovo lehrt nach wie vor auch Teuta Arifi als Professorin an der Fakultät für Lehrerfortbildung. Arifi liest gerade über Samuel Huntingtons Buch „Der Zusammenstoß der Kulturen“. Doch eine Erklärung für den Konflikt in Mazedonien bieten ihrer Ansicht nach Huntingtons Thesen nicht:

1275: 14808 – 14900 (53)

„Ich würde nicht sagen, daß die Thesen von Samuel Huntington der Lage in Mazedonien sehr entsprechen; denn grundsätzlich spricht er vom starken Zusammenprall zweier Zivilisationen wie der des Westens und des Islam. Die Gründe für den Konflikt in Mazedonien waren jedoch hauptsächlich politisch; Mazedonier und Albaner gehören zur selben Zivilisation und das ist die westeuropäische Zivilisation. Die Identität der Albaner ist stärker ein nationale als eine religiöse Identität.“

Diese These stützt das tagtägliche Campusleben. Denn die Universität zieht wegen ihres guten Niveaus auch immer mehr Nicht-Albaner an. Fast 10 Prozent aller Studenten sind bereits Nicht-Albaner, obwohl die Anforderungen hoch sind. Abgesehen von der Studiengebühr von 900 Euro pro Jahr muß jeder Student auch die drei Unterrichtssprachen, Mazedonisch, Alba-nisch und Englisch beherrschen. Das heißt, daß auch nicht-albanische Studenten Albanisch lernen müssen, eine Verpflichtung, die vor allem für Mazedonier ein Novum darstellt. Das gemeinsame Lernen fördert auch den nationalen Ausgleich; doch die Universität wird auch die albanische Gesellschaft in Mazedonien verändern:

1275: 15230 – 15310 (40)

„46 Prozent der Studenten an dieser Universität sind Frauen. Das gibt uns die Möglichkeit, gut ausgebildete junge Albanerinnen zu haben; dann müssen wir uns um deren Integration kümmern. Daher ist für uns die völlige Umsetzung des Friedensvertrages von Ohrid sehr wichtig, damit diese junge Generation in die öffentliche Verwaltung integriert wird und am politischen Leben teilnimmt. Das ist sicher die Garantie für Frieden in diesem Land.“

Mit ihren Studienaufenthalten in den USA und Deutschland ist Arifi derzeit noch die Aus-nahme. Zwischen ihren Büros in Tetovo und im Parlament pendelt sie hin und her, wobei das Privatleben natürlich unter der Doppelbelastung leidet.

Ihre kärgliche Freizeit verbringt Teuta Arifi vor allem mit ihrem Mann Spend Devaja, einem Rechtsanwalt. Arifi liebt italienische Küche, vor allem Fisch, ist gerne, behauptet aber nicht gut Kochen zu können. Glück definiert sie so:

1293: 23838 – 23847 (9)

„Glück ist für mich, zum richtigen Moment, am richtigen Ort mit dem richtigen Mann zu sein.“

Kennengelernt hat sie den Richtigen so:

1293: 23915 – 23934 (20)

„Mein Mann sah mich im Fernsehen, rief an und sagte, er wolle mit mir sprechen. Dann haben wir ein Mal, ein zweites und ein drittes Mal und noch viele Male miteinander gesprochen; und jetzt sind es schon mehr als sieben Jahre, daß wir miteinander sprechen.“

Noch nicht völlig auf die neue Rolle seiner Frau eingestellt hat sich Spend Devaja:

1293: 24006 – 24030 (24)

„Ich weiß nicht, ob ich sagen kann, daß ich wirklich glücklich bin, denn das ist auch ein neues Gefühl für mich; dennoch, im Großen und Ganzen bin ich zufrieden, daß Teuta eine neue Lebensweise prägt als erste Albanerin in Politik und Parlament; denn sie bricht eine Bahn für die politische Karriere anderer junger Albanerinnen.“

Der Status-Klub ebenfalls in Skopje zählt zu den Bars, die Radmila Seserinska bevorzugt, um Freunde zu treffen. Irina Panovska ist nicht nur eine bekannte Ärztin, sondern auch in der Sozialdemokratischen Partei aktiv. Ihre Freunde charakterisiert Seserinska so:

1277: 30411 – 30426 (15)

„Ich war vier Jahre in der Opposition. Alle, die heute meine Freunde sind, haben den Test bestanden, der Freund eines Menschen zu sein, der in der Opposition war. Ich kann klar unterscheiden, zwischen echten Freunden, und jenen, die nur kommen, wenn sie etwas brauchen.“

Nicht befreundet, sind Radmila Seserinska und Teuta Arifi, obwohl sie einander von den

Koalitionsverhandlungen her kennen. Hoch ist jedoch die Wertschätzung füreinander. Beide entstammen derselben Generation, sind gebildet und haben ähnliche kulturelle Interessen. Auch die Vertrauensbasis ist gegeben. Doch bis zwischen Mazedoniern und Albanern dasselbe Verhältnis herrschen wird, wird noch viel Zeit vergehen.

Facebook Facebook