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Montenegro nach der Wahl

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Bei der Parlamentswahl in Montenegro hat die Regierungspartei DPS unter Staatspräsident Milo Djukanovic zum ersten Mal seit 25 Jahren die absolute Mehrheit verloren; im Parlament mit seinen 81 Sitzen verfügt die DPS mit ihren Koalitionspartnern über 40 Mandate; 41Abgeordnete entfallen auf drei Oppositionsbündnisse; stärkste Kraft in diesem Lager ist die Koalition für die „Zukunft Montenegros“. Die drei Parteien wollen nun eine Regierung aus Experten bilden; doch die Opposition eint vor allem die Gegnerschaft zu Milo Djukanovic und seine DPS. Ob daher eine stabile Regierung gebildet werden kann, und wie lange sie Bestand haben kann, ist derzeit völlig offen. Montenegro ist Mitglied der NATO; bei den EU-Beitrittsverhandlungen hat das Land von allen Westbalkan-Staaten zwar die größten Fortschritte gemacht; doch hochrangige Korruption und der mangelhafte Kampf gegen die Organisierte Kriminalität hemmten das Land, das sich wirtschaftlich trotzdem weit besser entwickelt hat als sein schlechter Ruf es vermuten ließe. Den Wahlkampf und die Wahlen hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz in Montenegro verfolgt; hier sein Bericht:

Zum ersten Mal seit 25 Jahren hatten die Anhänger proserbischer Parteien in einer Wahlnacht Grund zum Jubeln. Gefeiert wurde lautstark aber friedlich; serbische Fahnen dominierten die Feiern sowohl auf den Plätzen als auch bei den Autos, die durch Podgorica und andere Städte fuhren. Gemäßigt gab sich der Spitzenkandidat der proserbischen Kräfte, Zdravko Krivokapic in seiner Siegesrede:  

„Volk von Montenegro“ – Die Freiheit ist da; nach 31 Jahren absoluter Macht musste das geschehen. Der Grund dafür liegt in folgender Tatsache: Wer auf Gott und den Heiligen Vasilij Ostrog einschlägt, muss so enden. Natürlich sind das drei große Koalitionen, die dieses Mal alles tun werden, dass es besser wird, damit wir eine Zukunft aufbauen, die alle Bürger Montenegros gleichermaßen verdienen. Unser erstes Ziel ist es daher, die Hand zur Versöhnung zu reichen; sie muss die Basis unseres Zusammenlebens sein.“

Zdravko Krivokapic ist 62 Jahre alt und Professor an der Fakultät für Maschinenbau in Podgorica. Der Vater von fünf Kindern ist ein sehr gläubiger Mensch und hat enge Beziehungen zur serbisch-orthodoxen Kirche unter Metropolit Amfilochije. Politische Erfahrung hat Krivokapic keine. Bekannt wurde er durch sein Auftreten bei Demonstrationen gegen das Religionsgesetz, mit dem die Regierung und Staatspräsident Milo Djukanovic die serbische Orthodoxie entmachten wollten. Dieser Versuch, Korruptionsaffären und die mit der Corona-Pandemie einhergehende Wirtschaftskrise kosteten Djukanovic die absolute Mehrheit im Parlament. Hinzu kam ein ausgezeichneter Wahlkampf der proserbischen Opposition; ihre ultranationalistischen und prorussischen Politiker traten kaum in Erscheinung. Welche politische Rolle der Spitzenkandidat Zdravko Krivokapic künftig spielen wird, ist offen. In der Wahlnacht sagte er:

"Die beste Lösung ist eine Experten-Regierung mit einem klaren Ablaufdatum; das können zwei oder drei Jahre sein, darüber kann man reden. Doch ohne Experten-Regierung gibt es keinen Wohlstand. Wir müssen eine völlige Wende in Wahlgesetz herbeiführen. Denn auch diese Wahlen waren weder fair noch demokratisch, trotzdem haben wir gesiegt."

Unter den Wahlsiegern ist das Bündnis für die Zukunft Montenegros mit 27 Mandaten die stärkste Kraft; es umfassen mehr als zehn Kleinparteien. Zweitstärkste Opposition ist die ebenfalls klar proserbische Partei „Die Demokraten“ mit 10 Sitzen, gefolgt von der Partei URA unter dem Albaner Dritan Abasovic mit vier Mandaten. Auch er ist für eine Expertenregierung; ihre Minister werden jedoch mit einem Staatsapparat zurechtkommen müssen, den 25 Jahre die Regierungspartei DPS geprägt hat. Dazu sagt Dritan Abasovic:

"Eine Expertenregierung wird sich auch auf die öffentliche Verwaltung gut auswirken, einfach deshalb, weil all ihre Mitarbeiter - unabhängig von ihrer politischen Einstellung - auf gewisse Weise befreit werden. Derzeit sind viele Potentiale in Montenegro in der Geißelhaft des Monopols einer Partei, und können ihre Kreativität nicht einsetzen. Sobald diese Menschen sehen, dass die DPS und Milo Djukanovic nicht mehr die Unterstützung der Mehrheit haben, werden sie sich mehr als bisher in den Dienst des Staates stellen."

URA gehört zu den europäischen Grünen; die Partei ist klar für die NATO-Mitgliedschaft Montenegros, das die Unabhängigkeit der ehemaligen serbischen Provinz Kosovo bereits vor Jahren anerkannt hat. Die weltanschaulichen Gegensätze zu den proserbischen Parteien sind somit groß; die gemeinsamen Ziele formuliert URA-Vorsitzender Dritan Abasovic so:

"Kampf gegen die organisierte Kriminalität, die Reform des Wirtschaftssystems und des Wahlrechts, die EU-Integration, Rettung des Tourismus im Rahmen des Möglichen, die Auflösung aller Verträge zum Schaden der natürlichen Ressourcen Montenegros und danach als zentraler Punkt die Organisation der ersten freien Wahlen. Es wird mit uns keine Änderung des außenpolitischen Kurses oder schlechte Beziehungen mit den Nachbarn geben."

Ohne URA ist ein Regierungswechsel nicht möglich. Darauf und auf die Reaktion des Westens im Falle eines Machtwechsels müssen auch die proserbischen Kräfte Rücksicht nehmen. Zu ihnen zählt die Kleinpartei mit dem Namen „Neue Demokratie“. Ihre stellvertretende Vorsitzende, Simonida Kordic, sagt zur NATO-Mitgliedschaft Montenegros:

"Das ist eine der Fragen, in der es keine Einigkeit in der Opposition gibt; die Mitgliedschaft in der NATO ist ein Vertrag des Staates mit einer internationalen Organisation; wir beabsichtigen alle internationalen Verträge und Verantwortungen zu übernehmen; das ist nötig, um politische Stabilität und Kontinuität sicherzustellen. Wir haben nicht vor, die internationale Position Montenegros zu zerstören, um unsere Parteipolitik durchzusetzen."

Klar ist, dass sich die drei Oppositionsparteien nach einem allfälligen Machtwechsel auf innenpolitische Fragen konzentrieren werden. Doch bisher unklar ist, wer diese Experten sein werden, die eine neue Regierung führen sollen. Mit Interesse wird die NATO zweifellos verfolgen, wer neuer Verteidigungsminister wird, und welche Rolle proserbisch und prorussisch eingestellte Personen möglicherweise in den Streitkräften und den Geheimdiensten künftig spielen werden. Denn als Mitglied der NATO hat Montenegro auch Zugang zu geheimen Dokumenten.

Mit großer Sicherheit werden die Experten über keine eigene politische Hausmacht verfügen. Der Teufel steckt auch bei innenpolitischen Reformen im Detail; hinzukommt, dass man den Machthunger von Parteien nicht unterschätzen darf, die jahrzehntelang in der Opposition waren. Die Opposition warb bereits in der Wahlnacht um die Parteien nationaler Minderheiten, die bisher mit der DPS unter Präsident Milo Djukanovic die Regierung bildeten. Ein Seitenwechsel dieser Parteien würde die Machtbasis einer neuen Regierung im Parlament verbreitern. Ob es dazu kommt bleibt abzuwarten. Djukanovic wies jedenfalls im ORF-Interview Behauptungen der Opposition zurück, die DPS könnte versuchen, durch Wahlanfechtungen das Ergebnis noch zu ändern; Milo Djukanovic:

"In Montenegro gab es nie einen Mangel an Spekulationen. Dazu zählt auch, dass die DPS ihre Macht mit allen Mitteln verteidigen würde, und zwar unabhängig vom Wählerwillen, was natürlich nicht passieren wird. Wir haben der Opposition noch in der Wahlnacht gratuliert, und für ist es keine Option etwa durch einzelne Wahlwiederholungen die demokratische Tatsache in Frage zu stellen, dass die Drei-Parteien-Koalition der Opposition eine hauchdünne Mehrheit erzielt hat. Wir wollen Montenegro als demokratische Gesellschaft entwickeln und akzeptieren daher den Wählerwillen."

Das heißt aber nicht, dass die DPS nicht versuchen könnte, die Partei URA aus dem Oppositionsbündnis herauszubrechen. Entsprechender politischer Druck wird bereits aufgebaut; am Sonntag wollen die sogenannten patriotischen Kräfte Montenegros eine Großkundgebung abhalten. Djukanovic bleibt weiter Präsident, und seine DPS ist weiterhin die stärkste Partei im Parlament. Sicher ist, dass dem Land neben Corona- und Wirtschaftskrise nun politisch unsichere Zeiten bevorstehen.

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