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Vukovar – Heldenstadt zwischen Krise und Hoffnung

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Berichte Kroatien
Vukovar muss einst eine liebliche Kleinstadt der österreichisch-ungarischen Monarchie gewesen sein. Davon zeugt die Bausubstanz. Hervorzuheben ist das Schloss der Grafen von Eltz, das zu den schönsten Barockbauten Kroatiens zählt. 1991 im Krieg schwer beschädigt, wurde das Schloss wieder aufgebaut, beherbergt das Museum der Stadt und bieten einen schönen Blick über die Donau, die die Grenze zu Serbien bildet. An der Uferpromenade gibt es Kaffees und Restaurants sowie das Denkmal für die Verteidiger der Stadt. Immer weniger zerstörte Bauten sind in Vukovar zu sehen; das größte Problem ist heute nicht die Kriegszeit, sondern die soziale und wirtschaftliche Krise, die die Stadt im Grenzgebiet zu Serbien noch viel stärker spürt als die Hauptstadt Agram oder gar Istrien, das vom Tourismus lebt. Im Vorjahr gab es in Vukovar zwar keine einzige ausländische Direktinvestition, aber es gibt einige gut funktionierende Betriebe, die Landmaschinen, Kunstdünger, Pellets aus Biomasse und Leichtflugzeuge aus Holz produzieren.

Diese Investitionen sind zu wenig, um den Wohlstand zurückzubringen, der vor dem Krieg herrschte als Vukovar nach dem slowenischen Marburg zur reichsten Stadt im ehemaligen Jugoslawien zählte. Die größte Schuhfabrik Jugoslawiens, Borovo, hatte 20.000 Beschäftigte; nun beschäftigt der Gigant von einst nur 1000 Mitarbeiter, viele Produktionshallen sind nach wie vor Ruinen. Vukovar zählt 28.000 Einwohner; jeder Dritte ist Pensionist, 3.000 Bürger sind arbeitslos gemeldet. Der Durchschnittslohn liegt bei 400 Euro; das ist um bis zu 50 Prozent niedriger als in Agram, während Lebensmittel kaum billiger sind. So mancher Bewohner arbeitet im Sommer in der Saison an der Küste, doch viele Junge, die in Agram und anderen Städten studieren, kehren nicht zurück. Die Abwanderung ist groß.

Gedämpft sind dagegen die Erwartungen, dass es durch die EU besser wird. So sagt eine ältere Frau: „Vielleicht mehr Verkehr auf der Donau, vielleicht neue Arbeitsplätze, ich weiß es wirklich nicht.“ Noch skeptischer ist ein Student: „Überhaupt nichts. Vielleicht wird die Ausbildung besser, doch das braucht Zeit.“ Ängste bestehen auch, weil Kroatien die Freihandelszone CEFTA mit den Nachbarländern Serbien und Bosnien und Herzegowina verlassen muss. Daher sagt ein älterer Mann: „Unser Austritt aus der CEFTA wird uns mehr schaden als uns die EU nutzt. Ihr können wir nicht viel bieten. Unsere Landwirtschaft ist vernichtet, unsere Industrie ist in einer sehr schwierigen Lage. Die ersten Jahre werden wir von der EU keinen Vorteil haben, später wahrscheinlich.“ Doch Vukovar wird schon bald vom Beitritt profitieren. Mit Mitteln aus EU-Fonds soll ab kommendem Jahr eine Kläranlage gebaut werden. Das Projekt koste insgesamt 48 Millionen Euro, doch das Wasser, das in die Donau rinne, werde dann Trinkwasserqualität haben, betont Bürgermeister Zeljko Sabo.

Die Stimmung in der Stadt ist durchaus nicht untypisch für Kroatien. Zu groß sind die Sorgen des Alltags, zu groß die Krise in der EU, um den Beitritt mit Begeisterung entgegen zu sehen. Vukovar gleicht vielen Krisenregionen im ehemaligen Jugoslawien; anders sind aber viele Gesprächspartner, die man im Zentrum treffen kann. Dazu zählt eine Krankenschwester. Nach dem Krieg arbeitete die 60-jährige zunächst in Donaueschingen, dann wieder im Krankenhaus in Vukovar. Nun ist sie in Pension. Ihre Rückkehr begründet sie so:

„Ich bin zurückgekommen, um meinen Vater zu finden. Er wurde mit einem Kopfschuss getötet, in die Donau geworfen und tauchte in Serbien irgendwo wieder aus dem Wasser. 13 Jahre wusste ich nicht, wo er ist. Ich habe Blut für die DNS-Analyse gespendet und erst vor sechs Jahren erfuhr ich, dass er dort ist, und dann habe ich ihn zurückbekommen, um ihn hier begraben zu können.“

Nach drei Monaten Belagerung fiel Vukovar am 18. November 1991 in serbische Hand. Im Krieg weitgehend zerstört verübten serbische Milizen nach dem Fall der Stadt ein Massaker an 200 Zivilisten in einer nahegelegenen Schweinefarm. 400 Personen werden noch vermisst. Der 18. November ist ein bedeutender Gedenktag in Kroatien und viele Spitzenpolitiker kommen nach Vukovar, doch dann herrscht wieder der triste Alltag. Von Gedenkreden und Versprechungen durch Regierungspolitiker haben die meisten Einwohner genug, Erbitterung und Enttäuschung sind deutlich spürbar.

Zum Spielball der Politik wurde Vukovar auch vor den kroatischen Lokalwahlen im Mai. Dabei ging es um den Gebrauch kyrillischer Aufschriften in der Stadt. Das bereits vor mehr als zehn Jahren beschlossene Gesetz über nationale Minderheiten sieht das Recht auf derartige Aufschriften vor, wenn in einer Gemeinde ein Drittel der Bevölkerung einer Minderheit angehört. Nach der Volkszählung aus dem Jahre 2011 leben in Vukovar 35 Prozent Serben und 57 Prozent Kroaten. Viele Serben betrachten bereits diese hohe Schwelle als Diskriminierung. Auf kroatischer Seite organisierten vor allem Veteranenverbände Demonstrationen gegen zweisprachige Aufschriften. Die Serben hätten viele Kroaten vertrieben und damit mit Gewalt die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert. Daher dürfe es keine Aufschriften in kyrillischer Schrift geben, argumentieren sie.

Die Mitte-Links-Regierung in Agram weiß, wie sensibel das Thema ist. Sie konnte sich bisher nur zu Lippenbekenntnissen zum Rechtsstaat aufraffen; die konservative Opposition fordert überhaupt einen vorläufigen Verzicht auf kyrillische Aufschriften. Somit ist offen, wann Kroatien das Gesetz in Vukovar umsetzen wird. Zweifellos hat dieser Streit das Verhältnis zwischen Serben und Kroaten belastet. Weit dauerhafter konserviert die Spaltung jedoch das Schulsystem. Vukovar hat sechs Grundschulen; in drei gibt es Unterricht auf Serbisch und in kyrillischer Schrift. Während die Klassen nach Kroaten und Serben getrennt sind, finden Schulveranstaltungen gemeinsam statt. Verständigungsprobleme gibt es nicht, weil Kroatisch und Serbisch im Grunde eine Sprache ist. Abgesehen von vielen Eltern sind auch viele Lehrer für die Trennung. Doch ihnen geht es weniger um die Nation als um den Arbeitsplatz; denn von einem getrennten Schulsystem profitieren eher serbische Lehrer, die bei der Einstellung Priorität genießen. Umstritten ist, ob bei Einstellungen in Polizei, Justiz und Verwaltung Serben benachteiligt werden. Der Bürgermeister von Vukovar, Zeljko Sabo, bestreitet eine Diskriminierung. Bei der Lokalwahl im Mai wurde der Sozialdemokrat im Amt bestätigt, wohl auch mit serbischen Stimmen, denn für die Minderheit sind nach dem Streit um kyrillische Aufschriften konservative kroatische Parteien kaum wählbar. Zeljko Sabo ist gegen das getrennte Schulwesen, sieht aber Fortschritte beim Zusammenleben. Die Trennung in serbische und kroatische Kaffees, in serbische und kroatische Sportklubs sei viel geringer geworden, betont Sabo. Tatsächlich zählt der lokale Fußballklub Vuteks zu den positiven Beispielen. Der Klub spielt zwar nur in der vierten kroatischen Liga, doch um den Aufstieg kämpfen Serben und Kroaten gemeinsam, und der Trainer der Mannschaft ist ein Kroate.

Um den Frieden zu festigen ist es sehr wichtig, dass Kroatien und Serbien ihre Beziehungen weiter verbessern. Der gute Wille ist vorhanden, und bei der Suche nach Vermissten zeigt sich nun Belgrad sehr kooperativ. Bei der Feier zum EU-Beitritt Kroatiens wird auch die serbische Führung in Agram vertreten sein. Besser zu nutzen gilt es die grenzüberschreitende Zusammenarbeit an der Donau auch im Raum Vukovar. In den 20 Jahren nach Kriegsende ist es in der Stadt bisher gelungen, den Frieden zwischen den Volksgruppen zu wahren, und das ist der eigentlich positive Eindruck, den dieses Städtchen an der Donau hinterlässt.

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