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Kroatiens gespaltene Gesellschaft und ihre Krise

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Seit knapp sechs Monaten ist Kroatien nun das 28. Mitglied der EU. Leider lässt sich nicht sagen, dass Kroatien in dieser Zeit wenn überhaupt positive Schlagzeilen gemacht hat. Das Land bekommt Budgetdefizit und Staatsschulden nicht in den Griff, daher hat im Dezember die EU-Kommission ein Defizitverfahren eingeleitet. Die Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft ist eher gering, die Arbeitslosigkeit mit 17 Prozent hoch. Doch statt Debatten über den Reformkurs prägen ideologische Grabenkämpfe und Polarisierung die Innenpolitik. Ausdruck dessen war das Referendum gegen die Homo-Ehe, das eine konservative Bürgerinitiative erzwungen und gewonnen hat. Eine weitere von Kriegsveteranen getragene Bewegung hat nun ebenfalls 650.000 Unterschriften gesammelt, um das Recht der serbischen Minderheit auf Aufschriften in kyrillischer Schrift massiv einzuschränken. Dieser Anspruch soll nur mehr bestehen, wenn die Minderheit in einer Gemeinde 50 Prozent der Bevölkerung stellt; bisher waren es 33 Prozent. Der Versuch, derartige Aufschriften in der Stadt Vukovar anzubringen, führte zu Massenprotesten der Veteranen gegen die Mitte-Linksregierung und scheiterte vorerst. Unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz hat den folgenden Beitrag über Kroatien und seine polarisierte Gesellschaft gestaltet:

Anfang Dezember endete das erste, von einer Bürgerinitiative erzwungene Referendum mit einem klaren Ergebnis. Bei einer Beteiligung von 38 Prozent stimmten zwei Drittel für die Verankerung der Definition der Ehe als Gemeinschaft von Mann und Frau in der Verfassung. Eigentlicher Sieger sind aber nicht die konservativen Initiatoren, sondern die Homosexuellen. Ihre Rechte wird die Mitte-Links-Regierung nun durch ein Gesetz über gleichgeschlechtliche Partnerschaften massiv stärken, eine Entwicklung, die in Kroatien ansonsten wohl viel länger gedauert hätte. Dieses Gesetz wird die Gräben kaum zuschütten, die eine extrem polarisierte Referendumskampagne aufriss, und die auch die Ergebnisse zeigen. So stimmten in der 11.000 Einwohner zählenden Stadt Labin in Istrien, 71 Prozent mit Nein; in der von 2.400 Kroaten bewohnten Ortschaft Cista Provo bei Split stimmten 99 Prozent mit Ja. Dieses entgegengesetzte Stimmverhalten bewertet der Philosoph Zarko Puhovski in Agram so:

„Das ist nicht nur mehr nicht dieselbe Gesellschaft, sondern das ist eine ganz andere Welt. Doch Kroatien ist nicht nur geteilt zwischen rechtskonservativ-katholisch versus linksliberal, sondern auch geographisch, und zwar in einen Westen und Teile des Nordens auf der einen Seite und den Südosten auf der anderen Seite. Ähnliche Teilungen gibt es auch in Europa und der Welt. Reichere und gebildetere Gebiete neigen zu linksliberalen Positionen; das ist eine Tatsache, mit der Kroatien leben muss.“

Trotzdem ist bei dieser Bewertung der Referendumsbefürworter Vorsicht geboten; so gab es auch in den Städten Dubrovnik und Agram klare Mehrheiten für die konservative Definition der Ehe. Diese Stimmen nur armen, ungebildeten Hinterwäldlern zu zuschreiben, wie das auch viele kroatische Medien taten, führt an der Tatsache vorbei, dass das kroatische Volk eben mehrheitlich wertkonservativ eingestellt ist. Trotzdem sind die regionalen Gegensätze enorm, wie der Minister für regionale Entwicklung, Branko Grcic, betont:

„In den sogenannten Hilfsgebieten leben auf etwa 60 Prozent des Territoriums nur 22 Prozent der Bevölkerung. Wir haben dort ein demographisches Problem, das auch die Altersstruktur betrifft. Daher müssen wird dort Arbeitsplätze schaffen. Zagreb als entwickelteste Region hat pro Kopf sogar ein drei Mal höheres Bruttoinlandsprodukt als diese unterentwickelten Gebiete. Doch auf der Mikroebene gibt es noch viel größere Unterschiede als drei zu eins, denn das ist nur ein Durchschnittswert.“

Besorgniserregend ist auch die demographische Entwicklung, die Kroatien trotz seiner schönen Küste noch auf Jahre hinaus nicht durch ausländische Arbeitskräfte wird abfedern können. Diese Sorgen und die schwierige soziale Lage vieler Familien können auch beim Referendum eine Rolle gespielt haben. Die demographische Lage erläutert der Direktor des Statistischen Zentralamtes in Agram, Marko Kristof:

"1990 war das Jahr der demographischen Wende; damals war die Zahl der Lebendgeborenen zum ersten Mal niedriger als die Zahl der Todesfälle. Seit damals gibt es einen konstanten Rückgang um bis zu 20.000 Personen pro Jahr; viele Jahre wurde diese Entwicklung durch Zuwanderung kompensiert, vor allem aus Bosnien und Serbien. Mit der Krise hat sich der Trend gedreht; heute ist die Zahl der Auswanderer deutlich höher als die der Zuwanderer."

Abwanderung ist auch in Ostslawonien ein Problem; das zweite sind die offenen Wunden, die 1991 die serbischen Eroberer der Stadt Vukovar geschlagen haben. Abgesehen von der massiven Zerstörung wurden auch mehr als 200 Kroaten bei einem Massaker in der Nähe der Stadt ermordet. Trotz aller Wunden gab es seit dem Krieg keinen ethnisch motivierten Zwischenfall zwischen kroatischer Mehrheit und der serbischen Volksgruppe. Nach der nicht unumstrittenen Volkszählung des Jahres 2011 ist jeder Dritte Bewohner Serbe. Abgesehen vom bestehenden Minderheitenschulwesen hat die Volksgruppe damit Anspruch auf Aufschriften in kyrillischer Schrift. Der Versuch, sie im Frühling dieses Jahres an öffentlichen Gebäuden anzubringen, führte zu Massenprotesten kroatischer Veteranen und die Aufschriften hielten keinen Tag. Auf den Ortstafelsturm folgte das Sammeln von Unterschriften für ein Referendum durch Kriegsveteranen. Anfang Dezember hatten mehr als 600.000 Kroaten die Forderung unterschrieben, wonach kyrillische Aufschriften nur in Orten gesetzlich vorgeschrieben sind, wo die Minderheit die Hälfte der Einwohner stellt. Diese Forderung begründet der Mitorganisator der Unterschriftensammlung, Vlado Iljkic, so:

„In Vukovar werden 90 Prozent des Gesetzes über die nationalen Minderheiten angewandt. Der Rest muss warten, bis die Zeit reif ist, und strittige Fragen gelöst werden. Das betrifft Vermisste und Kriegsverbrecher, die es dort noch gibt und die unsere Gemeinschaft belasten. In Israel spielt das Philharmonische Orchester nur deshalb keinen Richard Wagner, weil ihn Adolf Hitler geliebt hat. Daher: es muss auch Pietät gegenüber den Opfern geben. Ein Gesetz besteht nicht um seiner selbst willen, doch natürlich muss man daran arbeiten, dass die zwischenmenschlichen Beziehungen besser werden.“

Eine unrühmliche Rolle spielte im Fall Vukovar die größte konservative Oppositionspartei HDZ. Sie wurde bei den Lokalwahlen in Vukovar von diesen Veteranen unterstützt, und revanchierte sich bei der Unterschriftensammlung, um der Mitte-Links-Regierung Probleme zu bereiten. Geführt wird die HDZ seit Juni 2012 vom früheren Innenminister Tomislav Karamarko; er folgte auf Ministerpräsidentin Jadranka Kosor; sie führte Kroatien in die EU, verlor aber die Parlamentswahl und in weiterer Folge auch ihr Amt als HDZ-Vorsitzende. Das Verhalten ihres Nachfolgers sieht Jadranka Kosor, die nunmehr wilde Abgeordnete ist, kritisch:

„Tomislav Karamarko unterschrieb das Volksbegehren; anschließend sagt er öffentlich, dass ein derartiges Referendum nicht stattfinden soll, weil man die Rechte der Minderheit nicht schmälern soll. Man kann doch nicht etwas unterschreiben, von dem man denkt, dass es verfassungswidrig ist. Derartige Absurditäten rufen neue Konflikte hervor, und das kostet uns Kraft, um lebenswichtige Fragen zu lösen.“

Den Sinneswandel dürften westliche Botschafter herbeigeführt haben, die Karamarko offensichtlich zur Mäßigung seiner eher nationalistischen Töne überreden konnten. Wieder einmal ungeschickt verhielt sich auch in der Vukovar-Frage der sozialdemokratische Ministerpräsident Zoran Milanovic; seine Versäumnisse kommentiert Jadranka Kosor so:

„Die Regierung und ihr Chef haben nicht verstanden, dass das eine außerordentlich heikle Frage werden kann. Vor allem der Regierungschef hätte viel früher mit den Menschen in Vukovar reden müssen. Statt dessen hat man eine Eskalation zugelassen; mit den handelnden Personen muss man weiter sprechen, aber nicht mit den Initiatoren des Referendums, sondern mit Veteranenverbänden, Vertretern der nationalen Minderheit, mit dem Bürgermeistern und den Abgeordneten; so muss man versuchen, eine Lösung zu finden.“

Mitte-Links-Regierung und HDZ sind sich jedenfalls einig, dass ein Referendum zum Minderheitengesetz nicht stattfinden wird; unterschiedlich sind die Auffassungen darüber, wie es zu verhindern ist. Fest steht aber, dass Regierung und HDZ den Fall Vukovar und das Ehereferendum nicht nur nutzten, um ihr ideologisches Profil zu schärfen. Dazu sagt die ehemalige sozialdemokratische Umweltministerin Mirela Holy:

„Leider muss ich den Schluss ziehen, dass bei der Rechten aber auch der Linken nicht die Verantwortung für das Gemeinwohl dominiert. Somit werden derartige Themen genutzt, um von lebenswichtigen Problemen abzulenken. Das gilt auch für die Regierungsparteien, weil sie durch ideologische Themen von ihrem Mißerfolg in der Wirtschaftspolitik ablenken können.“

17 Prozent der Kroaten sind arbeitslos, und im Mai stehen bereits Wahlen zum Europäischen Parlament bevor. Auf absehbare Zeit dürfte die politische Polarisierung der kroatischen Gesellschaft daher kaum geringer werden.

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