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Die EU als Herausforderung für Kroatien

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Berichte Kroatien


Am 1. Juli tritt Kroatien als 28. Mitglied der Europäischen Union bei. Nach Griechenland im Jahre 1981 ist Kroatien erst der zweite Beitrittswerber, der als einzelner Staat in die EU aufgenommen wird. Darüber hinaus hat der kroatische Beitritt aber eine ganz entscheidende Besonderheit; denn er erfolgt zu einem Zeitpunkt, zudem nicht nur die EU sondern auch Kroatien selbst in einer tiefen Krise stecken. Bereits fünf Jahre schrumpft die kroatische Wirtschaft, während die Arbeitslosenrate von 12,3 Prozent im Jahre 2008 auf 21,6 im Jahre 2013 gestiegen ist. Rein formell hat Kroatien bei der Übernahme des EU-Rechtsbestandes zweifellos viele EU-Standrads erreicht; zweifelhaft ist jedoch, ob viele Sektoren der Wirtschaft dem massiven Wettbewerbsdruck aus der EU werden standhalten können. Denn erschwerend komm hinzu, dass Kroatien mit dem EU-Beitritt die Freihandelszone CEFTA verlassen muss, der abgesehen von Slowenien alle Staaten des ehemaligen Jugoslawien angehören. Auf diese Gruppe entfällt ein Fünftel der kroatischen Exporte. Trotz aller Probleme gibt es in Kroatien aber auch viele gute Unternehmen, die zweifellos EU-reif sind, und sich in den vergangenen Jahren modernisiert haben. Für Saldo hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz den folgenden Beitrag über die Modernisierung Kroatiens, sowie über Risiken und Chancen des EU-Beitritts dieses zweiten Nachfolgestaates des ehemaligen Jugoslawien gestaltet:

Als Land für einen Traumurlaub, als Land der tausend Inseln und 130 Weinsorten wirbt Kroatien um Gäste aus aller Welt. Der Tourismus macht knapp ein Fünftel der gesamten Wirtschaftsleistung aus, und als Ferienland ist Kroatien auch in den Köpfen der meisten Österreicher verankert. Sie werden ab erstem Juli an der Grenze nur mehr Pass oder Personalausweis vorzeigen müssen, weil Zollkontrollen durch den EU-Beitritt wegfallen. Geprägt wird der Fremdenverkehr bisher durch viele kroatische und einige österreichische Anbieter, denn ausländischen Investoren wird auch beim Tourismus das Leben in Kroatien oftmals nicht leicht gemacht. Das sollte sich mittelfristig ändern, betont in Agram der Tourismusexperte Miroslav Dragicevic:

„Durch den Beitritt übernimmt Kroatien langsam die Spielregeln der EU und öffnet dadurch den Raum für eine Transparenz im Hotelgewerbe: Die Möglichkeit, dass auch internationale Spieler hereinkommen können, wird die Strukturänderung des Tourismus in den kommenden 5 bis 10 Jahren positiv beeinflussen. Denn abgesehen vom zusätzlichen Bekanntheitsgrad, den die EU Kroatien bringt, muss Kroatien auch beweisen, dass es nach den Regeln der EU spielt, und daher ist die Mitgliedschaft wichtig.“

Übernehme und Umsetzung der EU-Regeln beschleunigten sich erst, als der konservative Ministerpräsident Ivo Sanader im Sommer 2009 überraschend zurücktrat und Jadranka Kosor seine Nachfolge übernahm. Abgesehen von der katastrophalen Wirtschaftslage mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von sieben Prozent musste Kosor vor allem die Reform der Justiz beschleunigen und einen glaubwürdigem Kampf gegen Korruption und Kriminalität führen; ihm viel schließlich auch Ivo Sanader zum Opfer, der wegen Korruption bereits im Gefängnis sitzt und gegen den noch viele Verfahren anhängig sind. Als Beispiele für ihre Reformen, die die Regierungschefin schließlich mit dem Abschluss der EU-Verhandlungen im Sommer 2011 krönen konnte, nennt Jadranka Kosor folgende Gesetze:

„Dazu zählt das Gesetz zur Verhinderung von Interessenskonflikten, das Beamte betrifft. Ich war für ein sehr rigoroses Gesetz; so wurde bei Ministern, Abgeordneten und Beamten sogar Konten-Öffnung möglich, sollte es Verdachtsmomente geben; dann ist auch nachzuweisen, woher das Geld stammt. Hinzu kommen die Gesetze über die Parteienfinanzierung und über die Enteignung von Vermögen, das durch Korruption erworben wurde. Gestärkt haben wir auch die Unabhängigkeit der Justiz, und daher werden nun Richter nicht mehr von der Politik gewählt. All diese Gesetze haben Kroatien verändert.“

Noch ist die Veränderung aber offenbar nicht tiefgreifend genug, um ausländische Investoren in großer Zahl an Land zu ziehen. Zwar spielt natürlich auch die Krise in der EU eine Rolle; trotzdem betrugen die ausländischen Direktinvestitionen im Vorjahr nur knapp eine Milliarde Euro, das ist nur ein Viertel des Höchstwerts des Jahres 2008. Probleme gibt es weiterhin bei der Justiz, wie der österreichische Handelsdelegierte Roman Rauch in Agram betont:

„Zivilrechtsverfahren dauern weiterhin vier, fünf Jahre; im Arbeitsrecht hat man sicher noch stark damit zu kämpfen als Beklagter, dass extrem arbeitnehmerfreundlich entschieden wird; da gibt es oft wirklich abstruse Begründungen für ganz offensichtliche Fälle; wenn Trunkenheit eine ganz klare Rolle spielen, und Entlassungsgrund sein könnten, wird trotzdem noch für den Entlassenen entschieden. Hier ist noch länger nicht alles in Ordnung; die EU hat zwar festgestellt, dass das Justizwesen in den letzten paar Monaten auf Vordermann gebracht worden ist, aber da muss man die EU fragen, wo sie das genau gesehen hat.“

Möglicherweise hat Brüssel berücksichtigt, dass Kroatien im Vergleich mit so manchem anderen EU-Mitglied in Ost- und Südosteuropa wahrscheinlich gar nicht schlecht abschneidet. Weit schwerer wiegt, dass zum Beitrittszeitpunkt die EU aber auch Kroatien in der Krise sind. Seit fünf Jahren bereits schrumpft die Wirtschaft, jeder fünfte Kroate ist arbeitslos, die Auslandsverschuldung liegt bei hundert Prozent der Wirtschaftsleistung, und eine Besserung ist auch unter der Mitte-Links-Regierung nur in Ansätzen in Sicht, die vor mehr als einem Jahr Jadranka Kosor ablöste. Diese Krise spüren auch österreichische Firmen wie der Ziegelproduzent Leier, der in Varazdin im Grenzgebiet zu Slowenien ein Werk betreibt. Dumpingpreise der Konkurrenz, das Ausbleiben öffentlicher Aufträge und die geringe private Nachfrage trugen dazu bei, dass das Werk im Vorjahr fünf Monate stillstand; schlecht sei auch die Zahlungsmoral betont der Assistent der Geschäftsführung Ludwig Kocsis:

„Die ist hier in Kroatien ganz schlecht. 30 Tage hält sowieso niemand ein; wir haben Zahlungsziele von drei Monaten, sechs Monaten und das größte Problem ist, dass wir Geld bekommen, weil ein Großteil der Geschäfte werden kompensiert, das stellt für die Firmen generell ein sehr großes Problem dar.“

Ein weiteres ist, dass viele Betriebe und vor allem die lokale Verwaltung schlecht auf den möglichen Geldsegen aus Brüssel vorbereitet sind, der bis 2020 fast 12 Milliarden Euro ausmachen könnte, wenn entsprechende Projekte eingereicht werden. Bisher gelang das nur mäßig; so konnte Kroatien nur ein Drittel der Mittel nutzen, die die EU aus dem Vorbeitrittsfonds IPA bereitgestellt hatte. Dazu sagt der Handelsdelegiert Roman Rauch:

„Wir haben auf betrieblicher Ebene eine ziemlich oberflächliche Vorbereitung, weil die Politik hier lange Zeit suggeriert hat, wir kommen zur EU, und dann wird es relativ leicht und schnell gehen, dass wir zum Geld kommen. Die Arbeit dahinter, die Auf- und Vorbereitung von Projekten bis hin zu einer entsprechenden Abrechnung, hat man den Firmen hier noch nicht erklärt.“

Zu gering ist auch noch die Zahl der EU-Förderberater, die derartige Projekte abwickeln können. Geschafft hat es die Firma Gala in der Stadt Bjelovar, 80 Kilometer nordöstlich von Agram. Die Hennen von Gala legen täglich 140.000 Eier, und die Firma zählt zu den drei größten Produzenten in Kroatien. Doch die Käfige waren zu klein und entsprachen damit ebenso wenig EU-Standards wie die Lagerung des Stallmists. Dazu sagt Gala-Direktor Jakov Coric:

„Kroatien hat sich verpflichtet, Stallmist vier Monat zu lagern, während die Lagerzeit in Österreich und Slowenien nur zwei Monate beträgt. Wir mussten ein großes Gebäude für die Lagerung errichten, inklusive von Tunneln für die Trocknung dieses Stallmistes. Ihm entziehen wir so mehr als 80 Prozent Feuchtigkeit. Dadurch stinkt nichts und es gibt keine Belastungen der Umwelt.“

Verbessert wurde auch die Haltung der Hennen, durch größere Käfige, eine Stange zum Sitzen und ein Nest zum Eierlegen. Mitfinanziert hat den Umbau die EU, doch das gesamte Projekt dauerte vier Jahre. Jakov Coric ist optimistisch, dass die große Mehrheit seiner Mitbewerber diese EU-Standards ebenfalls erfüllen wird:

„Wir haben eine Übergangsfrist bis zum 1. Juli 2014, um die Anpassung an die EU-Standards zu erfüllen. Ich erwarte, dass in Kroatien 70 bis 80 Prozent der Produzenten diese Anpassung erreichen werden, und dass daher unsere heimische Produktion weiter auf hohem Niveau bleiben wird. Viele EU-Länder haben sich noch nicht an diese Standards angepasst, wie das eigentlich bei dieser Käfighaltung sein müsste. Und dass bedeutet eine Verzerrung des Wettbewerbs.“

Coric ist überzeugt, dass sich sein Betrieb in Kroatien nach dem EU-Beitritt behaupten kann. Exportchancen sieht er aber kaum, dazu sei die Firma im europäischen Maßstab zu klein. Das gilt für sehr viele Betriebe Kroatiens und auch für viele der 100.000 Bauern, die nicht nur beim Stellen von EU-Förderanträgen Probleme haben werden. Dazu sagt der österreichische Landwirtschaftsattaché in Kroatien, Christian Brawentz:

„Die Flächen sind zu gering, das sind fünf, sechs Hektar im Durchschnitt; die Bildung ist problematisch; es gibt hier kaum eine Institution, die für die Weiterbildung sorgt, weil eben Landwirtschaftskammer eben sehr schwach ist, und auch die Kooperation der Bauern untereinander recht schwach ausgeprägt ist. Jeder Bauer möchte den größten und schönsten Traktor im Hof stehen haben, aber dass man das mit dem Nachbar teilt oder einen Traktor für die Ortschaft ankauft, das ist hier relativ ungelitten diese Idee.“

Die große Ausnahme bildet der Konzern Agrokor; Er zählt mehr als 30.000 Mitarbeiter, ist am gesamten Balkan präsent, machte im Vorjahr vier Milliarden Euro Umsatz, besitzt in Kroatien die Handelskette Konsum und 40.000 Hektar Land; Agrokor ist damit mehr als 10 Mal so groß wie der größte Bauer in Österreich. Bereits jetzt sei Agrokor in der EU präsent, erläutert die Vizepräsidentin des Konzerns Ljerka Puljic:

„Global gesehen liegt unser Export bei etwa drei Prozent, wobei wir unser Mineralwasser Jana in mehr als 20 Länder exportieren. Das mag ein symbolischer Wert sein, doch wir haben begonnen, und wir rechnen mit einem Wachstumspotential. Dieser Frage widmen wir uns seit drei Jahren sehr ernsthaft. Dazu beigetragen hat die langandauernde Krise in Südosteuropa, während Staaten in Mitteleuropa wie Tschechien, die Slowakei und Polen sehr rasch wieder Wirtschaftswachstum erreicht haben und noch keine gesättigten Märkte sind. In diese Märkte investieren wir. Denn wir müssen einen Durchbruch dort erzielen, wo der Markteintritt billiger ist als in saturierten Märkten wie Österreich, Deutschland oder Frankreich.“

Vom EU-Beitritt erwartet sie eine massive Strukturbereinigung der kroatischen Wirtschaft; Ljerka Puljic:

„Nach dem Beitritt wird der Anpassungsschock wahrscheinlich nicht über Nacht kommen; doch binnen Jahresfrist wird ein Teil der Produzenten sicher mit einer Konkurrenz konfrontiert sein, der sie nicht standhalten können. Das wird zu einer neue Welle der Restrukturierung der Wirtschaft führen, wobei einige Unternehmen verschwinden werden. Andere werden schnell Konzentrationsprozesse erleben; einige werden auf den regionalen Markt ausweichen, einige werden ihre Rettung im Osten suchen. Doch man schätzt, dass 20 Prozent vor allem in der Industrie werden zusperren oder sich umstrukturieren müssen.“

Beschleunigen wird den Strukturwandel auch der Umstand, dass Kroatien mit dem EU-Beitritt viele der Zollbegünstigungen in der Freihandelszone CEFTA verlieren wird, der Staaten wie Bosnien und Herzegowina und Serbien angehören. Auf die CEFTA entfällt ein Fünftel der kroatischen Exporte. Große Unternehmen wie Agrokor sind daher bereits mit eigenen Betrieben in den CFETA-Ländern präsent, andere verlagern gerade die Produktion, ein Umstand, der den kroatischen Arbeitsmarkt weiter belasten wird. Doch so manche Betriebe, die nicht verlagern können, werden Märkte im CEFTA-Raum verlieren, die sie durch den großen EU-Markt aber nur beschränkt kompensieren können, befürchtet der Chefvolkswirt der Splitska Banka, Zdeslav Santic

„Dieser Verlust an Exporten wird kurzfristig nur schwer zu ersetzen sein. Die Nachfrage der Haushalte auf den europäischen Märkten ist weiter ziemlich schwach, und in der Euro-Zone wird die Arbeitslosigkeit heuer und nächstes Jahr wahrscheinlich weiter steigen. Damit wird es für kroatische Produzenten sehr schwer sein, neue Märkte zu finden. Bewusst sein müssen wir uns auch der schlechten Konkurrenzfähigkeit, die die Firmen selbst kaum verbessern können, wenn es nicht zu einer Wende in der Wirtschaftspolitik kommt. Außerdem sind bei uns die Produktionskosten deutlich stärker gewachsen als bei unseren Haupthandelspartnern. Das zeigt, dass sich die Wettbewerbsfähigkeit beim Preis weiter verschlechtern wird, wenn der Kurs stabil bleibt.“

Ist Kroatien reif für die EU? Auf diese Frage gibt es keine eindeutige Antwort. Selbst viele Altmitglieder erfüllen bei weitem nicht alle Standards, und so reif wie Rumänien, Bulgarien und Griechenland ist Kroatien allemal. Ludwig Kocsis von der Firma Leier beantwortet die Frage nach der EU-Reife Kroatiens so:

„Das ist eine sehr, sehr schwierige Frage; wenn man vor Ort ist, würde man das eher verneinen. Aber ich denke, wenn man den Gesamtprozess in Europa sieht, dann gehört Kroatien dazu. Aber man darf nicht vergessen, dass es Kroatien sehr, sehr schwierig haben wird, in diesem gemeinsamen Europa mit dem bisherigen Ablauf, den sie gewohnt waren, bestehen zu können. Kroatien wird sich wesentlich verändern müssen, damit sie wirtschaftlich aber auch gesellschaftspolitisch in Europa bestehen werden können.“

Abmod:

Dieses Bestehen wird nur möglich sein, wenn die Produktivität vieler Betriebe steigt, und wenn vor allem die Regierung entsprechende Rahmenbedingungen schafft. Dazuzählen nicht nur die Reform der öffentlichen Verwaltung, sondern auch eine stärkere steuerliche Entlastung der Firmen sowie eine Reform der öffentlichen Unternehmen wie etwa der E-Wirtschaft. Kroatien wird jedenfalls in der EU den Preis dafür zu zahlen haben, dass es in den fetten Jahren vor der Krise die Strukturreformen versäumt hat, die nun viel schmerzlicher sein werden.

Links:

Kroatische Nationalbank http://www.hnb.hr (Kroatisch / Englisch)

Kroatisches Statistisches Zentralamt http://www.dzs.hr/ (Kroatisch // Englisch)

Agrokor http://www.agrokor.hr/ (Kroatisch / Englisch)

Gala Bjelovar http://galabjelovar.hr/ (Kroatisch // Englisch)

Wirtschaftskammer, Außenstelle Kroatien http://wko.at/aussenwirtschaft/hr

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