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Kroatien vor Referendum über die EU

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Europajournal 20012012 Kroatien vor Referendum über EU Wehrschütz

Am Sonntag stimmen mehr als 4 Millionen Kroaten über den Beitritt ihres Landes zur Europäischen Union ab. Meinungsumfragen sagen eine Mehrheit von 55 Prozent für den Beitritt voraus. Für die EU sind praktisch alle relevanten politischen Parteien. Trotzdem herrscht unter der Bevölkerung große EU-Skepsis. Dazu beigetragen haben die Krise in der EU aber auch die tiefe soziale und wirtschaftliche Krise in Kroatien selbst. Der Beitritt des Landes wäre auch ein wichtiges Signal auch für die anderen Länder des Westbalkan, die noch fünf bis zehn Jahre von einer EU-Mitgliedschaft entfernt sind. In Kroatien hat unser Balkan- Korrespondent Christian Wehrschütz mit Bürgern, Politikern und Intellektuellen über die EU besprochen und den folgenden Beitrag über Kroatien vor dem Referendum gestaltet:

Je näher in Kroatien das Referendum über den EU-Beitritt rückt, desto stärker werden auch die Aufrufe an die Bürger mit Ja zu stimmen. Die Botschaft von Wirtschaftsminister Radimir Cacic hört sich im staatlichen Radio so an:

„Die Mitgliedschaft in der EU wird Investitionen anlocken, und das Geld aus den EU-Fonds werden wir in neue Arbeitsplätze investieren, in die Entwicklung der Infrastruktur und in neue Technologien, in die Steigerung der Konkurrenzfähigkeit und des Exports. All das wird das Wirtschaftswachstum und die Modernisierung der Wirtschaft vorantreiben. Daher rufe ich Sie auf, am 22. Jänner am Referendum teil zu nehmen und die europäische Zukunft Kroatiens zu unterstützen. Sie entscheiden.“

Ob diese Verheißung angesichts der tiefen Krise in der EU überzeugend wirkt ist offen. Unzweifelhaft ist, dass die Kampagne für den EU-Beitritt keinen professionellen Eindruck erweckt. Die Werbespots wirken banal und langweilig, und von einer umfassenden Kampagne kann gar nicht die Rede sein; über das Verhandlungsergebnis wird praktisch nicht diskutiert, und in ganz Agram war kein Plakat zu finden, das sich mit der Abstimmung befasst. Den Grund für diese bescheidene Kampagne erläutert in Agram der Meinungsforscher Milan Bagic:

„Der Kontext, in dem das Referendum stattfindet, musste einfach zu dieser Lage führen. So haben wir das Referendum genau 30 Tage nach dem Regierungswechsel, doch dazwischen hatten wir auch die Weihnachtsfeiertage und Silvester, und beides eignet sich einfach nicht für derartige Themen. So besteht das Schlüsselproblem einfach im Timing für die Ausschreibung der Volksabstimmung. Hier ist die Verantwortung geteilt zwischen der alten und der neuen Regierung.“

Denn die abgewählte konservative Regierung bereitete nach Abschluss der Verhandlungen im Sommer keine Kampagne mehr vor, und die neue Mitte-Links-Koalition konnte sie nicht vorbereitet und wollte die Abstimmung nicht verschieben. Trotzdem herrscht zwischen Regierung und Opposition Einvernehmen über den EU-Beitritt und auch die katholische Kirche ist dafür. Eine schlagkräftige Organisation der EU-Gegner gibt es ebenso wenig wie Geld von der Regierung für eine Gegenkampagne. Nach Umfragen dürften etwa 40 Prozent der Teilnehmer am Referendum mit NEIN stimmen. Ihre Positionen finde man vor allem im Internet, betont Milan Bagic:

„Diese Art der Kampagne erzürnt einen Teil der Bürger; das kann man an den Debatten im Internett von Facebook über Twitter bis hin zu diversen Foren ablesen. So stört es eben einen Teil der Bevölkerung, dass ein derart wichtiger Beschluss auf eine derart amateurhafte Weise und gleichsam intransparent getroffen wird. Diese Tatsache, dass es keine ernsthafte Kampagne und keine ernsthafte Debatte, und vor allem keine neutrale Informationskampagne gibt, mobilisiert zu einem gewissen Grad auch die Gegner. So dürfte die Beteiligung der Gegner wahrscheinlich etwas höher sein als wenn es eine umfassendere Kampagne gegeben hätte.“

Den Zorn der Gegner bekam auch die neue Außenministerin, die liberale Politikerin Vesna Pusic, in Rijeka zu hören. Zur Kundgebung, die Pusics Koalitionspartner, die regierenden Sozialdemokraten organisiert hatten, kamen etwa 150, vorwiegend ältere Teilnehmer. Ehe Pusic mit ihrem Vortrag beginnen konnte, störte ein jugendlicher EU-Gegner die Veranstaltung:

„Jetzt führen Sie uns in die Währungs- und Fiskalunion, und den jungen Menschen haben Sie die Zukunft zerstört. Sie können sich was Schämen. Die EU das ist der Kerker und der Schmelztiegel für das kroatische Volk. Schämen Sie sich.“

Den Zwischenfall kommentierte Vesna Pusic so:

„Wenn man mit einem derartigen Ausfall wie eben jetzt konfrontiert ist, dann sehen Sie, dass es nicht nur um die Art geht, sondern auch um das Zurückweisen jedweder Information. Denn alles was bei dieser Schreierei vorgebracht wurde, ist zu 100 Prozent unrichtig.“

Denn natürlich soll Kroatien nun nur der EU nicht aber der Währungsunion beitreten, wie der Gegner behauptet hatte. Trotz der Krise in der EU sieht Vesna Pusic im Beitritt auch eine Stärkung der politischen Stabilität in Kroatien und am Balkan, wobei die Außenministerin die Zuhörer auch an den Krieg erinnert, der erst 15 Jahre zurückliegt. Gleichzeitig warnt Vesna Pusic davor, dass ein Nein zum Beitritt beinahe unausweichlich die Herabstufung des kroatischen Kreditratings zur Folge habe, das zum Ramschstatus führen würde:

„Es gibt keine möglichen Nachteile, die die Tatsache aufwiegen, was für Kroatien Stabilität bedeutet: das heißt erstens das Kreditrating und zweitens das Investitionsklima, sind wir ein sicherer oder kein sicherer Staat. Das Rating heißt, ob wir bei einem Kredit von sagen wir 100 Euro dann Zinsen von drei, sechs oder 12 Euro zahlen müssen. Wie sollen wir das bei Schulden in Milliardenhöhe zurückzahlen. Der Unterschied bei einer Stufe des Kredit-Ratings macht im Budget Unterschiede in Milliarden aus. Diese Milliarden sind Arbeitsplätze, Sozialausgaben, Pensionen. Das sind diese Milliarden.“

Miliarden erwartet Kroatien auch aus Brüssel. Nach einem Beitritt am 1. Juli 2013 könne Kroatien bereits im ersten halben Jahr der EU-Mitgliedschaft mit 630 Millionen Euro rechnen. Geld ist nicht alles; und ein Thema, das vor allem die EU-Gegner ins Treffen führen ist das Haager Tribunal. So löste das Urteil erster Instanz, mit dem General Ante Gotovina im April des Vorjahres zu einer Haftstrafe von mehr als 20 Jahren verurteilt wurde, heftige Proteste in Kroatien aus. Dieses Urteil und das Haager Tribunal insgesamt schürten die EU-Skepsis auch in Kroatien, die ein Fragender in Rijeka so äußert:

„Das Bild Europas ist auch nicht ermutigend. Die Frage danach hätte ich gerne Kroaten gestellt, die bereits in Europa sind, wie etwa General Ante Gotovina, dem bisher 25 Jahre garantiert sind, wegen unverhältnismäßigem Artilleriebeschuss. Durch das Schicksal dieses einen Menschen zeigt sich, was ist das für ein Rechtssystem, was ist das für eine Gerechtigkeit?

Vesna Pusic reagierte kühl und sachlich:

„Über das Tribunal und über die Verfahren gegen die Generäle kann jeder denken, wie er will. Doch das wäre ein Argument für den Austritt aus der UNO, weil der Sicherheitsrat das Haager Tribunal geschaffen hat und nicht die EU. Das ist kein Tribunal der EU; daher: wenn jemand als Zeichen des Protests austreten wollte, dann müsste man dieser Logik folgend aus der UNO austreten; mit der EU hat das nichts zu tun.“

Für die EU dürfte am Sonntag auf jeden Fall eine Mehrheit der Kroaten stimmen, wenn die seriösen Meinungsumfragen richtig sind. Doch selbst bei vielen Befürwortern ist die EU nach sechs Jahren Verhandlungen alles andere als eine Liebesheirat; diese Haltung bringt der Philosoph Zarko Puhovski in Agram auf den Punkt:

„Das, was die EU bisher gebracht hat ist besser als das, was Kroatien davor hatte. So wurde Kroatien zur Objekt der EU, und dann ist es logisch, dass ein Kleinstaat versucht, im Rahmen seiner begrenzten Möglichkeit ein politisches Subjekt zu werden. Da gibt es kein großes Dilemma, denn das Weiterleben am Rande ohne bei der Beschlussfassung irgendein Recht zu haben, etwas sagen zu dürfen, das ist für Kroatien nicht aufrecht zu erhalten.“

Denn trotz EU-Krise wird der neuen kroatischen Mitte-Links-Regierung die Überwindung der tiefen hausgemachten sozialen und wirtschaftlichen Krise als EU-Mitglied leichter fallen, wobei ein positives Referendum nur den erste Schritt auf einem langen steinigen Weg für Kroatien bedeutet

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