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Interview mit Ministerpräsident Ivo Sanader über den Beginn der Beitrittsverhandlungen zwischen Kroatien und der EU

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08102005 „Im Journal zu Gast“ Interview von Christian Wehrschütz mit Ministerpräsident Ivo Sanader über den Beginn der Beitrittsverhandlungen zwischen Kroatien und der EU

Frage: „Herr Ministerpräsident, nach all den Schwierigkeiten auf den Weg Richtung Verhandlungen mit der Europäischen Union war Ihnen die Freude über den Beginn der Verhandlungen deutlich anzumerken. Was haben Sie denn empfunden als Sie nun gewusst haben, dass endlich grünes Licht kommt?“

Sanader: „Natürlich war ich sehr froh darüber. Auch wir in der Politik sind Menschen, und dazu gehören dann auch Gefühle, wenn man etwas erreicht hat, und ich habe sie gezeigt; ich stehe dazu, und ich glaube es ist auch richtig. Man hat sehr hart dafür gekämpft, man hat sehr hart gearbeitet dafür. Trotzdem glaube ich, dass wir nicht zu viel Zeit zur Freude haben. Es steht eine große und wichtige Arbeit vor uns, nämlich die Verhandlungen mit der Union.

Frage: „Hauptgrund für die Verzögerungen war das Haag Tribunal, spricht dass Carla Del Ponte lange Kroatien nicht die volle Zusammenarbeit bescheinigt hat. Diese Bescheinigung hat Karla del Ponte erteilt, trotzdem ist natürlich der letzte Fall noch offen, denn General Ante Gotovina ist noch immer auf der Flucht. Wie wird Kroatien die Zusammenarbeit mit den Haager Tribunal gestalten?“

Sanader: „Es ist nicht nur eine internationale Verpflichtung Kroatiens, das will ich einmal betonen, das ist auch eine interne Verpflichtung Kroatiens, denn auch in Kroatien geht es um den Rechtstaat. Wenn jemand angeklagt wird, dann muss er sich den Gericht stellen. Ob er schuldig ist, wird der Prozess zeigen. Aber er muss sich auf jeden Fall den Gerichten stellen. Deshalb, Gotovina muss nach Den Haag, und da gibt es keine Alternative.

Frage: „Es gab in Luxemburg viele Vermutungen, dass es zu einen Abtausch Türkei-Kroatien gekommen ist. Hat es diesen Abtausch gegeben?“

Sanader: „Nein. Das muss ich entschieden zurückweisen. Österreich hat prinzipiell, aber nicht nur Österreich, sondern auch britische Ratspräsidentschaft und auch viele anderen, sind prinzipiell dafür eingetreten dass Kroatien, wenn es volle Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal gibt, dass dann auch das grüne Licht für den Verhandlungsbeginn gegeben wird. Es war ja unrecht zu sagen, man verhandelt nicht, sondern man handelt mit diesen beiden Ländern. Das war ja nicht der Fall. Und das muss ich sagen. Aber trotzdem geht auch ein Dankeschön an den Bundeskanzler.“

Frage: „Wann hoffen Sie jetzt, dass Kroatien der EU beitreten kann?“

Sanader: „Obwohl ich persönlich über Daten nicht sprechen möchte, sage ich, es wäre wünschenswert, wenn Kroatien an den Europa-Wahlen im Juni 2009 als Mitglied teilnehmen könnte.“

Frage: „Wird es zum Abschluss dieses Verhandlungsprozesses auch eine Volksabstimmung, ein Referendum, über den Kroatischen EU Beitritt geben?“

Sanader: „Jawohl. Es wird einen Referendum geben, und ich bin sehr zuversichtlich, dass das Referendum dann mit einen guten Prozentsatz positiv verläuft.“

Frage: „Obwohl die Stimmung in der Bevölkerung relativ skeptisch ist?“

Sanader: „Na ja, gut. Die hat sich schlagartig geändert. Wenn Sie die neuesten Umfragen sehen, dann sehen Sie genau das, was ich Ihnen vor einiger Zeit gesagt habe, dass an dem Tag wenn Verhandlungen mit Kroatien beginnen, die Atmosphäre sich umwandeln wird. Schon jetzt sind etwa bei 49 Prozent pro und etwa 30 Prozent dagegen; das hat sich also schlagartig von heute auf morgen geändert und wir wollen bei 49 Prozent nicht bleiben. Wir wollen viel mehr über 50 Prozent haben.“

Frage: „ Die Opposition und Staatspräsident Stipe Mesic haben den Beginn der Verhandlungen auch dahingehend kommentiert, dass Sie sagten: „Das schwierigste Teil der Arbeit steht jetzt Kroatien noch bevor“. Sie haben gesagt: „Nun kommt eigentlich der leichtere Teil der Arbeit auf dem Weg Europäischer Union“. Was ist die Grundlage für Ihre Einschätzung?“

Sanader: „Ja, ganz einfach. Wichtig war dieser politische Durchbruch. Bis zum Ziel kommen, dass man am Tisch verhandelt, das war viel schwieriger als die Verhandlungen. Die Verhandlungen werden schwierig sein, dass ist ja ganz klar. Kompliziert. Es geht ja um den gemeinsamen Rechtsbestand. Wir verhandeln mit 25 Mittelstaaten. Da wird es natürlich um vieles gehen. Aber es ist ein leichterer Prozess als dieser Durchbruch, der uns gelungen ist. Und da habe ich allen Grund zu sagen, der schwierigere Teil ist hinter uns.

Frage: „Mit welchen Kapitel werden Sie den beginnen?“

Sanader: „Wir beginnen, so sind noch immer inoffizielle Informationen, aber ziemlich richtige, mit sieben Kapitel noch in diesem Monat, und da wollen wir diese sieben Kapitel noch sehr gut in diesem Jahr abarbeiten, und dann geht es weiter.“

Frage: „Kroatien und EU werden insgesamt über 35 Kapiteln verhandeln, bei welcher diesen Kapiteln hat Kroatien besondere nationale Interessen zu wahren, was auch beispielsweise Übergangsfristen betrifft?“

Sanader: „Es geht ja in erster Linie bei uns um die Landwirtschaft, und es geht ja um die Ökologie, es geht ja auch um den Handeln mit Immobilien, es geht ja um Fischerei, es geht ja natürlich auch um die Staatssubventionen. Da muss ein Umdenken stattfinden, das wird schwierig sein, das ist ganz klar, aber dass wir das tun müssen, das steht aus der Zweifel. Es ist ja ganz klar, wenn 25 Länder das alles akzeptiert haben und das für sich Praxis angenommen und das als Erfahrung angenommen haben, dann hat es auch Kroatien zu tun. Denn was für 25 gut ist, so ist es gut wenn Kroatien sich das aneignet was sich in Europa bewährt hat.“

Frage: „Olli Rehn, der Erweiterungskommissar der Europäischen Union hat neben der Landwirtschaft noch zwei Themen genannt, die er als schwierige Themen betrachtet. Das ist aus seiner Sicht die Ökologie, sprich der Umweltschutz, wo Kroatien einen beträchtlichen Nachholbedarf hat, andererseits aber auch das Thema Rechtswesen, Rechtsicherheit. Die Reform des Grundbuchens in Kroatien ist im laufen, andererseits auch die Reform der Gerichte, Einführung des Rechtspflegers durchaus auch nach ÖsterreichischeM Modell. Wo sehen Sie in Bereich des Rechtwesen, der Rechsicherheit, noch den großen Reformenbedarf?“

Sanader: „Sie haben zwei wichtige Punkte genannt, die schon unterwegs sind, und da sind sehr große Reformen unterwegs, und darauf bin ich stolz. Es gibt einen dritten Punkt, den wir gerade jetzt starten und das ist nämlich, wenN es um die Rechtsicherheit geht, die Dauer der Prozess. Das ist noch aus kommunistischen Zeiten über geblieben, und es war so, dass man hier bis zu 10 Jahre auf das Uhrteil in einen Prozess hat warten müssen; ich sage ein Mal bis auf zehn Jahre, es waren ja drei, fünf, sieben und so weiter, aber auf jeden Fall zu lange. Jetzt haben wir ein neues Gesetz verabschiedet, gerade in einer Kabinettsitzung vor zwei Wochen und das geht jetzt in die parlamentarische Prozedur; vorgesehen ist darin die längste Zeit der Prozesse bis auf drei Jahre, nach drei Jahre gibt es kein Prozess mehr. Das heißt, das wird wesentlich kürzer, wesentlich schneller, wesentlich effizient als bisher. Wenn wir das erreichen dann wird es sicherlich viel, viel besser stehen um die Rechtssicherheit.“

Frage: „ Eine Herausforderung für Kroatien ist natürlich auch der Standortwettbewerb mit Staaten Mittel und Osteuropas, da gibt es Debatten über eine mögliche Steuerreform. Es gibt die Aufgabe die Schiffswerften, die an sich volle Auftragsbücher haben, aber trotzdem defizitär sind bei diesen Schiffswerften die Produktivität zu steigern. Was sehen Sie den als die größten Reformaufgaben die Sie zu lösen haben?“

Sanader: „Es ist auf einer Seite sicherlich so, dass Kroatien ja eine Superpower in Sachen Schiffsbau ist, und da wollen wir nicht nachlassen. Wir sind uns bewusst, dass wenn es um die Staatssubventionen geht, da müssen wir umdenken; aber auf der anderen Seite haben wir wirklich daran zu denken, dass unsere Werften, die ja weltbekannt sind, auch im Konkurrenzkampf bleiben und mithalten können; und da werden wir sicherlich mit der Kommission sehr, sehr zu verhandeln und zu diskutieren haben, wie wir das erreichen. Wir wollen auf keinen Fall zulassen, dass die kroatischen Werften untergehen. Wenn Sie sagen Stichwort Standort Kroatien, muss ich sagen das Kroatien sicherlich ein guter Standort ist. Das haben viele österreichische Firmen auch erkannt, viele deutsche, französische, amerikanische und italienische Unternehmen auch. Und in dem Sinne, mit dem Verhandlungsbeginn mit der Union wird Kroatiens Rolle als Brücke noch stärker herauskommen. Wir kennen ja unsere Nachbarschaft, wir kennen die Geschichte, das ist der Vorteil. Wir kennen die Sprache, die Mentalität der Leute, und wir können das alles offerieren jenen Unternehmen, die ihr Standort in Kroatien aufbauen wollen. Vor allen nutze ich diese Gelegenheit auch jene einzuladen nach Kroatien, die bis jetzt vielleicht ein bisschen zurückhaltend waren. In erster Linie greenfield investments sind sehr gefragt in Kroatien. Ich würde sehr gerne als Ministerpräsident bitten, dass man sich nicht nur am Privatisierungsprozess beteiligt, sondern das man auch wirklich auf der grünen Wiese baut.“

Frage: „Eine Kroatische Tageszeitung hat getitelt wie die EU Verhandlungen begonnen haben, „Bye, Bey Balkan“, und Sie selbst haben gesagt, dass Kroatien siebzig Jahre auf dem Weg nach Europa durch die beiden Jugoslawien verloren hat. Jetzt ist klar, dass viele Kroaten - das spürt man auch in der Bevölkerung - die EU und den Weg nach Europa als Rettung vor dem Balkan sehen in einer gewissen Weise. Auf der anderen Seite ist natürlich Kroatien ein land; das in diesen Raum eine Rolle zu spielen hat. Wie sehen Sie Position Kroatiens auf den Weg Ex-Jugoslawiens in die Europäische Union? Denn mit Serbien, das viel weiter zurückliegt als Kroatien sind auch Stabilisierungs- und Assoziierungsverhandlungen begonnen worden, und Mazedonien hofft etwa auf den Kandidatenstatus mit Jahresende“

Sanader: „Diese Reaktion entspricht dem Gefühl der kroatischen Bevölkerung, die ja natürlich siebzig Jahre lang in beiden Jugoslawien waren, und die wissen was das bedeutet hat. Ich sage ein Mal ganz direkt, es hat viel Schlechtes gebracht. Deshalb haben wir auch unsere Unabhängigkeit erreicht. Trotzdem sage ich es mit ganz großer Verantwortungsgefühl, dass wir auch eine Aufgabe haben, mit unseren Nachbarn gute Beziehungen aufzubauen, vor allem mit Serbien-Montenegro; und es freut mich sehr, das Serbien-Montenegro grünes Licht für die Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziierungs- bekommen hat. Es freut mich, dass Mazedonien praktisch vor der Entscheidung steht, ein Kandidatenstatus zu bekommen, denn alle diese Länder müssen eine klare europäische Perspektive haben.“

Frage: „Ein Land des ehemaligen Jugoslawien ist bereits in der EU, das ist Slowenien. Mit Slowenien gibt es zumindest zwei Probleme. Eines ist weniger in der Medien, das sind die Spareinlagen in der Ljubljanska Banka; das Problem, das viel stärker in den Medien ist, ist die Frage der Grenzziehung der Seegrenze in der Bucht von Piran. Wie sehen Sie eine Möglichkeit, diesen Grenzstreit beizulegen, der wohl auf dem Weg EU Richtung beigelegt werden muss?“

Sanader: „Zunächst ein Mal möchte ich sagen, dass wir mit Slowenien sehr gute Beziehungen haben, und es gibt viel mehr, was uns bindet und verbindet als das was uns trennt. Eine der offenen Fragen, und das muss man immer dazu sagen, die ja aus den Zerfall von Ex-Jugoslawien resultiert, ist die Frage der Meergrenze in Bucht von Piran. Wenn das in bilateralen Gesprächen nicht zu lösen ist, muss man zu einen Gericht gehen, zu einem Schiedsgericht, muss man internationale Rechtinstitute einschalten und sich verpflichten, dass man das Ergebnis dann auch akzeptiert in beiden Ländern. Ich will noch ein Mal sagen, das wird kein europäisches Problem werden. Das ist ein Problem zwischen zwei benachbarten, befreundeten Staaten. Es ist nicht auf der europäischen Agenda, sondern auf der Agenda zwischen Slowenien und Kroatien. Dass es so ist, haben Sie sehen können auch im Verhalten der slowenischen Regierung in Sachen Verhandlungsbeginn mit Kroatien. Außenminister Rupel hat ganz klar für Kroatien gestimmt.“

Frage: „Wird über die Ljubljanska Banka bereits verhandelt?“

Sanader: „Wir werden auch hier versuchen, in bilateralen Gespräch noch etwas zu erreichen; wenn nicht, dann müssen wir uns auch den Internationalen Institutionen zuwenden. Das ist ein großes Problem für uns, das Problem der kroatischen Sparer, die vor den Zerfall von Ex-Jugoslawien noch viele Spareinlagen bei der Filiale der Ljubljanska Banka in Zagreb hatten. Die Bank hat dann das Geld mitgenommen, hat aber die Sparguthaben den Leuten nicht zurückgegeben. Denn es gehört sich so, dass wenn jemand gespart hat in einer Bank, dann muss er auch seine Sparanlagen zurückbekommen. Ich hoffe, dass wir hier einen Weg finden werden, auch das zu lösen. Es gibt noch ein drittes Thema, das uns drei verbindet, Österreich, Slowenien und Kroatien. Das ist die Autobahn, die Phyrnautobahn, die von Österreich bis zur slowenischen Grenzen voll ausgebaut wurde, und auch dann von Slowenien über Marburg Richtung Cilli auch ausgebaut wurde aber nicht ganz bis zur kroatischen Grenze. Wir bauen von Krapina bis Macelj bis zur kroatisch-slowenischen Grenzen sehr schnell und intensiv. Mein Wunsch wäre, und Wunsch der Österreicher und der Bayern, der Deutschen, aller, die zur Phyrnautobahn tendieren, dass unsere Freunde in Slowenien auch dieses noch letzte Teilstück in Slowenien fertig bauen.“

Frage: „Was ist Ihre Erwartungshaltung von der Rolle, die Österreich während der EU- Präsidentschaft an Balkan spielen soll?“

Sanader: „Die Tatsache, dass Österreich mit erstem Januar die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, bekommt noch mehr an Gewicht, wenn man weiß, dass Österreich ja sowieso, ohnehin, viel mehr und viel besser informiert ist über die Lage, über den historischen Kontext und über Geschehnisse hier als viele andere in Europa. Deshalb war es auch nicht verwunderlich, dass die österreichische Regierung sehr viel für Kroatien gemach hat. Es fehlt uns heutzutage an „leadership“ in Europa. Wolfgang Schüssel hat gezeigt, dass er sie besitzt, und er kann sicherlich eine gute Rolle, eine wichtige Rolle übernehmen.

„Herr Ministerpräsident, wir danken für das Gespräch.“

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