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Kroatien vor Wiederaufnahme der Beitrittsgespräche

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Berichte Kroatien
Morgen werden die Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und Kroatien wieder aufgenommen. Wegen des Grenzstreits mit Slowenien waren diese Gespräche neun Monate unterbrochen. Slowenien verhinderte deshalb die vorläufige Schließung von fünf und die Öffnung von neun Kapiteln bei den EU-Verhandlungen. Doch im September einigten sich Laibach und Zagreb auf einen vorläufigen Kompromiss und so kann nun mit Brüssel wieder weiter verhandelt werden. Für die morgige Regierungskonferenz erwartet die kroatische Regierung, dass mehr als zehn der insgesamt 33 Verhandlungskapitel eröffnet und vorläufig geschlossen werden. Trotz dieser neuen Dynamik stehen Kroatien noch sehr viele schmerzliche Reformen und sehr schwierige Anpassungen seines Staatswesens bevor, und das Ziel – bis Ende nächsten Jahres beitrittsreif zu werden, wird jedenfalls nicht leicht zu erreichen sein. An einem raschen EU-Beitritt ist Österreich besonders interessiert, ist doch die österreichische Wirtschaft mit Abstand größer Investor in Kroatien:

Berichtsinsert: Christian Wehrschütz aus Kroatien

Kameramann: Ivica Slivaric

Schnitt Mica Vasiljevic

Insert1: 1’13 Vladimir Drobnjak, Kroatischer EU-Chefverhandler

Insert2: 1’52 Sandra Svaljek, Wirtschaftsinstitut Zagreb

Insert3: 3’41 Christian Brawenz, Österreichischer Landwirtschaftsattache

Insert4: 4’45 Christian Brawenz, Österreichischer Landwirtschaftsattache

Insert5: 5’41 Ivan Simonovic, Kroatischer Justizminister

Insert6: 6’38 Ivan Simonovic, Kroatischer Justizminister

Gesamtlänge: 7’32

Malerisch wirkt die Bucht von Piran auf jeden Touristen; doch der Grenzstreit hatte die bilateralen Beziehungen so vergiftet, dass Kroatiens Ministerpräsidentin Jadranka Kosor und Sloweniens Regierungschef Borut Pahor erst nach massivem Druck der EU einen vorläufigen Kompromiss fanden. Kroatien erklärte, dass die Festlegung der Grenze kein Dokument und keine Tat präjudizieren; dafür beendete Slowenien die Blockade der EU-Beitrittsgespräche. Vier Jahre dauern die Verhandlungen bereits; 7 von 33 Kapitel sind vorläufig geschlossen und 22 eröffnet. Ziel Kroatiens ist es, bis Jahresende alle 33 Kapitel eröffnet und 20 vorläufig ausverhandelt zu haben. Zu den Besonderheiten des kroatischen Weges Richtung EU zählt das Benchmark-Verfahren. Darunter versteht man Bedingungen, die zu erfüllen sind, damit Kapitel eröffnet oder geschlossen werden können. 150 derartige Benchmarks gibt es. So verlangt die EU die Privatisierung der Schiffswerften:

„Kroatien hat mit den Privatisierungsverfahren begonnen, und wir erwarten, dass auch offiziell sehr rasch bestätigt wird, dass Kroatien alle Maßnahmen für das Kapitel Wettbewerb erfüllt hat. Die Öffnung dieses Kapitels erwarten wir noch im Laufe des Jahres.“

Mehr als Zehntausend Kroaten arbeiten in den sechs Schiffswerften; vier sind defizitär; mit mehreren Milliarden Euro an Bürgschaften und Subventionen soll der Staat die Werften seit dem Jahr 2000 unterstützt haben. Doch auf dem Weg Richtung EU muss Kroatien auch seine Subventionspolitik reformieren:

„Subventionen machen drei Prozent des gesamten Bruttoinlandsprodukts aus; das ist etwa vier Mal höher als im Durchschnitt der EU-Länder. Einen großen Anteil der Subventionen machen sektorale Unterstützungen aus. Etwa 40 Prozent entfallen auf Schiffswerften und ein weiterer großer Anteil entfällt auf die Eisenbahnen.“

Diese Subventionen und seine Sozialpolitik kann sich der Staat auch ohne EU im Grunde nicht mehr leisten. 4,4 Millionen Einwohner zählt Kroatien; doch nur 1,4 Millionen arbeiten; sie müssen eine Million Pensionisten finanzieren. Die Auslandsverschuldung beträgt bereits mehr als 80 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung. Hinzu kommen die Folgen der Krise. Zwar verzeichnet dieser Betrieb, der einem österreichischen Investor gehört, volle Auftragsbücher; doch insgesamt sank die Industrieproduktion in den ersten sieben Monaten um zehn Prozent. Die Wirtschaft soll heuer um fünf Prozent schrumpfen, ein Aufschwung wird erst für Ende 2010 erwartet. Beim Tourismus, seinem wichtigsten Wirtschaftszweig, kam Kroatien dagegen mit einem blauen Auge davon. Die Rückgänge bei den Einnahmen fielen geringer aus als befürchtet.

Trotzdem kennzeichnen auch die Tourismuswirtschaft beträchtliche Strukturproblemen: zu kurze Saison, zu wenig kleine und mittlere Hotels, ein Preis-Leistungsverhältnis, das oft nicht stimmt und die schleppende Privatisierung der Hotels. Hinzu kommt, dass sich der Tourismus nur auf die Küste erstreckt. Unterentwickelt ist der „Urlaub am Bauernhof“:

„Derzeit reden wir in Österreich von etwa 170.000 Gästebetten – in Kroatien von 800 Gästebetten. In Österreich haben wir 15.000 Betriebe, die hier Urlaub am Bauernhof anbieten, in Kroatien liegen wir gerade bei 360.

Auch die Landwirtschaft hat massive Strukturprobleme; der ländliche Raum ist überaltert und seine Infrastruktur ist unterentwickelt; die Betriebe sind zu klein, 40 Prozent der Fläche liegen brach und auch als Folge des Krieges ist Kroatien noch immer kein Selbstversorger.

Der Agrarsektor ist ein Beispiel für die Reformen, die auf dem Weg Richtung EU unternommen werden. Noch gibt es 600 Interessensvertretungen; sie sollen nun durch eine Landwirtschaftskammer ersetzt werden, um einen klaren Ansprechpartner bei den Verhandlungen zu haben. Hier dient Österreich ebenso als Vorbild wie beim Aufbau der sogenannten Zahlstelle; über sie werden die EU-Subventionen für die Landwirtschaft abgewickelt:

„Da braucht es eine ganze Menge an Voraussetzungen. Welche Feldstücke gibt es, die muss man mit Satellit kontrollieren können, die muss man in ein Computersystem hineingeben können, auf Knopfdruck muss erscheinen, wer hat wie viel Land, was wird wo angebaut; das ist ein relativ aufwendiges System zum Schutz natürlich auch der Steuerzahler.“

Weiterhin reformiert werden auch Grundbuch und Gerichtswesen. Computer-Abfragen sind bereits möglich, doch das Grundbuch ist noch keine verlässliche Quelle, weil viele Einträge noch veraltet sind. Ziel ist es, Grundbuch und Kataster zusammenzuführen. Die Justizreform dient auch dem Kampf gegen die Korruption, die noch immer ein beträchtliches Problem bildet. Prozesse vor Zivilgerichten sollen im Durchschnitt weniger als drei Jahre dauern, die Vernetzung der Gerichte ist im Laufen, und auch ihre Zahl wird verringert:

„Das tun wir, um bei weniger Gerichten eine größere Spezialisierung, eine höhere Qualität und damit schnellere Verfahren sicherstellen zu können. Verringert werden die Gerichte um die Hälfte; trotzdem erwarten wir eine drastische Steigerung ihrer Effizienz. Außerdem bereiten wir die elektronische Vernetzung der Handelsgerichte vor.“

Trotzdem blockieren einige EU-Staaten die Eröffnung des Kapitels Justiz. Grund dafür ist das Haager Tribunal. Sein Chefankläger, Serge Brammertz, fordert von Ministerpräsidentin Jadranka Kosor die Herausgabe sogenannter Artillerietagebücher. Sie sollen in Verfahren gegen Generäle verwendet werden, die sich derzeit vor dem Tribunal verantworten müssen. Kroatien behauptet, alle verfügbaren Dokumente übergeben zu haben. Doch wie soll dann die Blockade des Kapitels Justiz beendet werden?

„Einerseits setzen wir die Zusammenarbeit mit Chefankläger Serge Bramertz fort; zweitens stehen wir in Kontakt mit den Ländern, die der Ansicht sind, dass wir noch offene Verpflichtungen gegenüber dem Tribunal haben; drittens haben wir Anfang Juni verlangt, dass der zuständige Richtersenat in Den Haag über unsere Zusammenarbeit befindet, weil wir überzeugt sind, dass wir alles getan haben was nötig ist.“

Selbst wenn die EU-Verhandlungen nächstes Jahr abgeschlossen werden können, bleibt noch die Bucht von Piran. Slowenien und Kroatien müssen sich bis zur Ratifizierung des Beitrittsvertrages auf eine Art Schiedsgericht einigen, das den Grenzstreit entscheiden soll. Erst dann wird auch das slowenische Parlament den Vertrag ratifizieren, und erst damit wird Kroatien die letzte Hürde auf dem Weg Richtung EU genommen haben.

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