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Bosnien zwischen Dayton und EU-Integration

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Wiener Zeitung
Berichte Bosnien
Seit dem Ende des Bosnien-Krieges vor mehr als 13 Jahren und der Unterzeichnung des Friedensvertrages von Dayton leidet der Staat Bosnien und Herzegowina (BiH) unter zwei Grundproblemen, die eng miteinander verbunden sind: erstens wurde in Dayton ein Gebilde geschaffen, der ein bürokratischen Monstrum darstellt:

Er besteht erstens aus zwei Entitäten, der zentralistisch aufgebauten serbischen Teilrepublik (RS) und der bosnisch-kroatischen Föderation (FBiH) und dem eigenständigen Distrikt Brcko. Hinzu kommen jedoch in der Föderation noch 10 Kantone mit einer Regierung von jeweils etwa 20 Ministern, einem gesamtstaatlichen Präsidium aus den Vertretern aller drei konstitutiven Völker, und natürlich hat auch noch die RS einen eigenen Präsidenten. „Garniert“ ist all das mit entsprechenden bürokratischen Blockademöglichkeiten, damit es praktisch unmöglich ist, eine Volksgruppe zu überstimmen.

Zweitens fehlt den drei konstitutiven Völkern bisher jeder nennenswerte Ansatz eines gesamtstaatlichen Bewusstseins, der sich wenigstens als Verfassungspatriotismus definieren ließe. So feiern den 1. März als Staatsfeiertag nur die Bosnjaken, denn er erinnert an das Unabhängigkeitsreferendum im Jahre 1992, das von den Serben boykottiert wurde. Der Staat hat noch immer keinen Text für seine Hymne, die RS hat ihre eigene Hymne, die eigentlich die Serbiens ist, und jüngst hat das Parlament der RS auch noch Banja Luka anstelle von Sarajewo zur Hauptstadt erklärt. Diese Spaltung zeigt jedes Fußballspiel, wobei die Bosnjaken bei der EM in Österreich im Spiel Türkei gegen Kroatien für die Türken hielten, was in der geteilten Stadt Mostar denn auch zu Ausschreitungen führten.

Die internationale Gemeinschaft und mit ihr an der Spitze ihr Beauftragter mit seinem OHR (Office oft he High Representative), das im Jänner noch 220 Mitarbeiter zählten, versuchten aus BiH einen Staatswesen zu formen, dass irgendwann reif für die EU sein sollte. Daher war man bestrebt, gesamtstaatliche Strukturen zu stärken, und die Rechte der zwei Entitäten, vor allem der RS, zu beschneiden. Gelungen ist das bei den Streitkräften; so gibt es einen gesamtstaatlichen Verteidigungsminister, der zwar nicht so heißen darf, während es weder einen gesamtstaatlichen Landwirtschaftsminister noch ein Innenministerium gibt.

Trotzdem konnte die nun EU-geführte Friedenstruppe mittlerweile auf etwa 2000 Soldaten reduziert werden, verbesserte sich insgesamt die Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal und schließlich konnte im Vorjahr auch das das Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen (SAA) mit der EU unterzeichnet werden. Doch zu einer erhofften Beschleunigung der der Reformen kam es nicht, obwohl im November 2008 der sogenannte Prud-Prozess wirklich Hoffnungen weckte. In diesem Dorf trafen sich drei führende Politiker der Serben (Milorad Dodik), Bosnjaken (Sulejman Tihic) und der Kroaten (Dragan Covic) auf die Grundzüge einer Staatsreform einigten. Dazu zählt auch eine Volkszählung, die bisher nicht zustande kam, um nicht die massiven Folgen des Krieges auf die Bevölkerungsstruktur transparent zu machen (z.B.: Halbierung der Kroaten von 800.000 auf 400.000).

Diese Reformgespräche gerieten am Ende Februar in die Sackgasse, als Dodik bei einem Treffen mit Tihic und Covic in Mostar forderte, in die Verfassung auch das Recht der RS auf ein Unabhängigkeitsreferendum einzubauen. Das würde praktisch der Auflösung des Staates gleichkommen. Diese Forderung Dodiks wurde als Reaktion auf die gegen ihn zuvor eingereichte Strafanzeige wegen Finanzmachenschaften und Amtsmissbrauches interpretiert. Dem Regierungschef der RS wird angelastet, enorme Finanzmittel unter anderem für die Errichtung eines neuen Regierungsgebäudes in Banja Luka gesetzwidrig verwendet zu haben und dadurch dem Budget der kleineren Entität einen Schaden in Höhe von 72,5 Mio. Euro zugefügt zu haben.

Bosnisch-serbische Politiker drohten daraufhin, sich aus den gesamtstaatlichen Institutionen zurückziehen zu wollen. Dazu kam es vorerst aber nicht, doch Verfassungsreform und EU-Annäherung standen neuerlich still. Begünstigt werden all diese Ränkespiele auch durch unterschiedliche Interessenslagen. So sind EU-Annäherung und Visafreiheit vor allem ein Anliegen der Bosnjaken; ein guter Teil erhofft sich dadurch eine Stärkung des Gesamtstaates, während die Serben genau diese Entwicklung fürchten. Hinzu kommt, dass etwa die Kroaten praktisch alle Doppelstaatsbürger (kroatischer Pass) und daher auf eine Visafreiheit nicht angewiesen sind. Sollte in diesem Jahr auch Serbien Visafreiheit erlangen und in großem Umfang den bosnischen Serben Pässe ausstellen, wären die Bosnjaken in einer noch viel schlechteren Position. Dies zeigt, wie wichtig auch eine regionale Balkan-Strategie der EU ist, die bisher fehlt. Dazu zählt in BiH auch die Frage, wie es mit der Annäherung an die EU und der Umwandlung des OHR weitergehen soll. Denn dessen Durchschlagskraft lässt trotz der großen Vollmachten des internationalen Beauftragten immer mehr zu wünschen übrig, weil sich EU-Annäherung und Protektoratsstatus einfach nicht miteinander vertragen. Sicher ist jedoch, dass EU und USA weder einen Zerfall des Staates noch eine Umwandlung in einen Zentralstaat zulassen können, weil beides dem Friedensvertrag von Dayton widerspräche. Zwischen diesen beiden Polen muss eine dauerhafte Lösung gefunden werden, damit, der internationale Beauftragte nur mehr als Vertreter der EU und mit weit geringeren Vollmachten tätig sein kann. Die Ernennung von Valentin Inzko fällt somit in eine Zeit des Übergangs und der tiefen (wirtschaftlichen) Krise, die es gerade auch mit seiner Hilfe zu bewältigen gilt, um BiH von einem instabilen, ungewollten Provisorium zu einem Staat mit realistischer EU-Perspektive zu machen.

Valentin Inzko als letzter seines Amtes?

Valentin Inzko ist der siebente internationale Beauftragte in Bosnien und Herzegowina und nach Wolfgang Petritsch der zweite Österreicher, der diese Funktion als Leiter des einzigen Quasi-Protektorats in Europa nun ausübt. 1995 nach dem Krieg geschaffen und 1997 mit weitreichenden Vollmachten (Bonn Powers) ausgestattet, sollte es dieses Amt bereits seit einigen Jahren gar nicht mehr geben. Der glücklose Deutsche Christian Schwarz-Schilling (2006 – 2007) hätte eigentlich der letzte Bosnien-Beauftragte („Hoher Repräsentant“) sein sollen; doch die politische Instabilität in BiH und die heraufziehenden Unabhängigkeit des Kosovo führten zur Verlängerung dieses Amtes.

Während die Unabhängigkeit des Kosovo in Serbien und in BiH ohne politische Erdbeben überstanden wurde, haben sich die Spannungen zwischen Bosnjaken, Serben und Kroaten nicht vermindert, eher das Gegenteil ist der Fall. Gleichzeitig werden die Bonn Powers des internationalen Beauftragten nicht nur von Serben immer mehr als unzeitgemäß empfunden. Diese Machtfülle reicht von der Erlassung von Gesetzen bis zur Absetzung von Politikern. Valentin Inzko wird daher sehr rasch öffentlich klarstellen müssen, wann und wie er seine Macht anwenden will. Darüber bestehen in BiH aber auch im Friedensimplementierungsrat (PIC) mit seinen 55 Mitgliedern unterschiedliche Vorstellungen. Sicher ist, das Inzko jedenfalls die Umwandlung seines Amtes weiter vorantreiben wird müssen. Seit dem Jahre 2002 trägt der internationale Beauftragte „zwei Hüte“, denn er ist auch Spezieller Vertreter der EU (EUSR). Spätestens bis zum Jahre 2011 soll nur mehr der „EU-Hut“ getragen werden, doch welche genaue Funktion der EUSR dann haben wird, ist noch offen. Inzko muss daher in dieser Frage sehr eng mit den EU-Staaten und vor allem mit den USA kooperieren. Darin könnte auch der einzige Nachteil von Valentin Inzko liegen; denn er kommt wie sein unmittelbarer Vorgänger, der Slowake Miroslav Lajcak, nur aus einem kleinen EU-Land mit wenig politischem Gewicht in Brüssel und auf internationaler Bühne. Doch gerade auch im „Tagesgeschäft“ hängt die Durchschlagskraft des internationalen Beauftragten davon ab, wie sehr er von der EU, ihren Mitgliedern und den USA aber auch von Russland unterstützt wird.

Für Valentin Inzko als Beauftragter in BiH spricht seine lange Balkan-Erfahrung. Der Jurist und Absolvent der Diplomatischen Akademie in Wien war Presseattache an der Botschaft in Belgrad (1982 – 1986), leitete 1992 in Serbien eine OSZE-Mission im muslimisch geprägten Sandschak und war erster Botschafter in BiH nach dem Krieg (1996 – 1999). Bis zum Jahre 2005 leitete er die Balkan-Abteilung im Außenministerium, ehe der Kärntner Slowene zum Botschafter in Laibach ernannt wurde, und somit eine auch persönlich nicht leichte Mission übernahm. Der 59-jährige Valentin Inzko spricht stets mit ruhiger Stimme und macht auch sonst einen ausgeglichenen und gelassenen Eindruck. Diese Charaktereigenschaften wird er BiH in seinem neuen Amt sehr gut brauchen können; denn die Mentalität der Bevölkerung sorgt in Verbindung mit der umfassenden internationalen Präsenz dafür, dass schnelle Entschlüsse, Änderungen oder konsequente Reformen kaum stattfinden.

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