× Logo Mobil

Bosnien gespalten auch am Jahrestag

Radio
MiJ
Berichte Bosnien
In Sarajewo findet heute die Gedenkfeiern für das Attentat auf Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gattin Sophie statt. Sie hat der serbische Nationalist Gavrilo Princip am 28. Juni 1914 im Zentrum der bosnischen Hauptstadt erschossen. Höhepunkt der Gedenkfeiern ist am Abend das Konzert der Wiener Philharmoniker, das der Linzer Franz Welser-Möst dirigieren wird. Über die Vorbereitung der Feiern und ihre symbolische Bedeutung für das Land Bosnien und Herzegowina berichtet aus Sarajewo unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz:

Die Auswahl der Musikstücke für das Konzert der Wiener Philharmoniker heute Abend in Sarajewo passt ganz gut zur Lage im Land. Beginnen wird alles mit der bosnischen Hymne, für die es noch immer keinen Text gibt, weil sich muslimische Bosniaken, Kroaten und Serben auf keine Version einigen können. Beendet wird das Konzert mit Beethovens Neunter, die als Europa-Hymne dient, doch am Balkan ist Bosnien und Herzegowina vom EU-Beitritt wohl am weitesten entfernt. Die Spaltung des Landes zeigt sich auch daran, dass die bosnischen Serben die Gedenkfeiern zum Attentat in Sarajewo boykottieren. Dazu sagt der Präsident des serbischen Teilstaates von Bosnien und Herzegowina, Milorad Dodik:

„Man wird zwei unterschiedliche Feiern sehen. Die in Sarajewo versucht eine logische Linie zu ziehen von Gavrilo Princip, der uns demnach alle geboren hat, die im Vaterländischen Krieg in den 1990iger Jahren gekämpft haben. Diese monströse Intrige spricht über politische Motive der Organisation der Gedenkfeiern in Sarajewo. Unter diesem Aspekt wird kein wichtiger Vertreter des serbischen Volkes aus der Republika Srpska an dieser Feier teilnehmen.“

Was Dodik nicht sagt, ist dass die bosnischen Serben Gavrilo Princip als Kämpfer auch für ihre Freiheit aufbauen wollen, gerade auch gegen den ungeliebten gemeinsamen Staat Bosnien und Herzegowina. Princip wird somit zunehmend als rein serbischer Nationalheld vereinnahmt, eine Rolle, die er im zerfallenen kommunistischen Jugoslawien nicht zu spielen hatte. Diesen Wandel und das Spannungsfeld um Gavrilo Princip beschreibt auch ein Mann in Sarajewo bei einer Straßenbefragung:

„Es gibt zwei Meinungen: Terrorist oder Held. Abhängig vom geschichtlichen Augenblick interpretiert das jeder auf seine Weise. Nach heutiger Lesart wäre er ein Terrorist, so wie die, die Zoran Djindjic oder George F. Kennedy ermordet haben. Wir haben noch gelernt, dass er ein Kämpfer für Gerechtigkeit war. Doch fraglich ist, wie sehr mit dem Attentat Gerechtigkeit erreicht und nicht nur der Krieg ausgelöst wurde, der schon früher vorbereitet war.“

Doch vor allem bei den Serben dominiert nationalistische Geschichtsschreibung, die keinen Platz für eine kritische Analyse lässt. Dass das Gedenken an das Attentat auf Franz Ferdinand und seine Frau Sophie heute vor hundert Jahren Bosnien spaltet, sehen auch viele Bürger, was wiederum eine Straßenbefragung zeigt:

„Ich denke, das teilt: Man sollte gar nichts auf nationaler Grundlage feiern. Dafür gibt es keine gute Basis.“

„Ich denke, das vertieft die Spaltung. Es braucht ein Minimum an Gemeinsamkeit für den Weg in die Zukunft, doch mit dieser Spaltung werden wir das sicher nicht schaffen.“

Seit gut acht Jahren stagniert Bosnien politisch. Aus diesem Grund ist auch die internationale Präsenz bei der Gedenkfeier heute eher gering. Anwesend sein werden die Präsidenten Mazedoniens, Montenegros, Kroatiens und Österreichs, während alle anderen EU-Staaten nicht Minister zur Gedenkfeier geschickt haben. Bosnien ist eben nicht mehr in, sondern ein Ärgernis für die EU, die bereits vor der Ukraine-Krise vordringlichere Probleme zu haben glaubte als ein Land, in dem die politischen Eliten mit westlichem Geld noch immer gut vom Nationalismus leben können.

Facebook Facebook