Interview mit Valentin Inzko in Sarajewo
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Berichte Bosnien
W: Herr Botschafter Inzko, bevor Sie Ihr Mandat in Bosnien angetreten haben, haben Sie deutlich durchblicken lassen, dass Sie kein Freund der Bonn-Powers , der Sonderermächtigungen sind, die der Hohe Repräsentant hat. Mittlerweile haben Sie sie bereit anwenden müssen. Wie ist die Realität des Zusammenlebens der politischen Eliten, ist es anders als Sie sich es erhofft haben oder erwartet haben?
I: Es gibt eigentlich zwei Realitäten, die veröffentlichte Realität, da gibt es Reibungen, den sprühenden Funken. Wenn man die gleichen Politiker dann privat trifft, wundert man sich, dass sie per Du sind, dass sie freundschaftlich kommunizieren, vertraulich kommunizieren und diesen Wiederspruch gibt es natürlich aufzulösen.
W: Wie zeigt sich dieser Wiederspruch beim Zusammenleben, denn auch 15 Jahre nach Kriegsende gibt es noch eine ethnische Segregation in den Schulen und Mostar, ein Symbol einer einst multiethnischen Stadt hat auch 9 Monate nach Kommunalwahlen auch noch keinen Bürgermeister. Hat Bosnien sich in den vergangenen Jahren vielleicht etwa stärker auseinandergelebt?
I: Es gibt Signale und Beispiele für beides, nicht? Diesen getrennten Unterricht gibt es tatsächlich, das ist bedauernswert, da werde ich sicher was unternehmen müssen. Es gibt aber auch ganz tolle Beispiele, positive Beispiele, in Tuzla funktioniert das Zusammenleben phantastisch, der Bürgermeister Imamovic hat zum Beispiel in einem der kroatischen Randdörfern 80 Prozent bekommen von den Stimmen, er ist ein Moslem. Und auch in serbischen Dörfern hat er auch 80 Prozent Stimmen bekommen und ist überhaupt ein sehr beliebter Bürgermeister.
W: Bosnien und Herzegowina hat auch 15 Jahre nach Kriegsende praktisch noch immer kein einheitliches Rechtssystem. Was muss Bosnien eigentlich tun, damit es überhaupt in die Lage kommen kann, die Beitrittsverhandlungen mit der EU zu führen?
I: Der Staat muss insgesamt leistungsfähiger werden, was nicht bedeutet, dass er zentralisiert werden muss, aber er muss leistungsfähiger werden. Da gibt es jedenfalls viel zu tun, aber man darf nicht vergessen, es ist bereits sehr, sehr viel geschehen. Nach dem Krieg gab es drei Staatspräsidenten und es gab auch nur drei Ministerien, jetzt haben wir immer noch drei Staatspräsidenten, wahrscheinlich werden wir bei den nächsten Wahlen nur mehr einen haben, mit zwei Vizepräsidenten, aber wir haben jetzt neun Ministerien, das könnte noch ein Bisschen ausgebaut werden, aber jedenfalls die Strukturen, die stehen jetzt mehr oder weniger und Bosnien könnte sich wirklich jetzt der europäischen Zukunft widmen.
W: Wie schätzen Sie tatsächlich den Willen dieser drei Völker ein, zusammenzuleben und auch auf dem Weg Richtung EU zu gehen?
I: Die EU steht außer Streit, alle drei Völker wollen nach Brüssel, aber nicht gleich stark. Was das Zusammenleben betrifft, da sind die Unterschiede natürlich größer, aber ich werde das mal anstreben, am Anfang, die sogenannte friedliche Koexistenz , das friedliche Nebeneinander zwischen den Völkern, und vielleicht kommt später die Liebe dazu. Jedenfalls müssen wir daran arbeiten, das ist inzwischen den Deutschen und den Franzosen gelungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Es muss ja auch hier gelingen, aber es ist natürlich ein langfristiger Prozess.
W: In der EU gibt es eine massive Debatte Richtung Moratorium für die Erweiterung. Wie wichtig für die endgültige Stabilisierung Bosniens über den gesamten Westbalkan ist es, dass dieser Prozess eben nicht zum Anliegen kommt?
I: Es gibt tatsächlich eine Erweiterungsmüdigkeit, es gibt auch eine Bosnien-Müdigkeit in gewissen europäischen Ländern, andererseits ist es wirklich die einzige Perspektive für den Balkan, die volle Integration, mittelfristig und langfristig, also nicht morgen, und dann werden wir auch diese Probleme nicht mehr haben, wie wir auch keine mehr haben zwischen Nordtirol und Südtirol, obwohl in den 60er Jahren dort noch Bomben geflogen sind, das darf man auch nicht vergessen.
W: Seit Paddy Ashdown und zwischen Paddy Ashdown und Ihnen liegen also auch bereits Schwarz- Schilling und Lajcak, habe ich immer die Hohen Repräsentanten dasselbe gefragt, ich frage es auch Sie, von der Tradition wegen. Glauben Sie, dass Sie der letzte Hohe Repräsentant in Bosnien sein werden?
I: Ich bin der gegenwärtige.
W: Herzlichen Dank für das Gespräch.