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Tirana am Tag danach

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Berichte Albanien
In der albanischen Hauptstadt Tirana herrschen nach den blutigen Unruhen Trauer und gespannte Ruhe. Bei gewaltsamen Protesten von Anhängern der linken Opposition wurden gestern drei Personen erschossen. Dutzende wurden verletzt, darunter auch viele Polizisten. Hintergrund der Ausschreitungen sind Spannungen zwischen der konservativ dominierten Koalitionsregierung von Ministerpräsident Sali Berisha und der sozialistischen Opposition unter Edi Rama. Über die Lage in Tirana und Albanien berichtet unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz:

Die Ausschreitungen verwandelten das Zentrum von Tirana gestern in ein Schlachtfeld. Brennende Autos und Bäume, Rauchsäulen, Steinwürfe auf Feuerwehrleute durch Demonstranten und schließlich der versuchte Sturm auf das Regierungsgebäude, den die Polizei zurückschlug. Die Bilanz ist jedenfalls verheerend, nicht zuletzt für das Image Albaniens in Europa: drei erschossene Demonstranten und mehr als 60 Verletzte, darunter etwa 20 Polizisten. Unklar ist jedoch, ob die Polizei die drei Demonstranten erschoss, die aus nächster Nähe getötet worden sein sollen. Denn die Kugeln sollen keine Polizeimunition sein, doch die Untersuchung steht noch am Anfang. Am Tag danach titelte die Presse in Tirana: „21. Jänner - Schwarzer Freitag“ oder „Krieg in Tirana“. Derzeit ist es im Stadtzentrum ruhig, auch der Straßenverkehr funktioniert langsam wieder. Zur Zurückhaltung riefen EU, USA und alle anderen internationalen Organisationen auf. In diesem Sinne äußerten sich die albanischen Politiker, die trotzdem von Schuldzuweisungen nicht lassen konnten: So machte der Bürgermeister von Tirana und sozialistische Oppositionsführer Edi Rama die Koalitionsregierung aus Konservativen und einer kleinen sozialistischen Gruppe für das politische Klima verantwortlich. Edi Rama:

„Das ist keine demokratische Regierung, das ist ein Regime, das Albanien in Geißelhaft hält und in eine Bananen-Republik in der Mitte Europas verwandeln will. Doch nicht nur das. Dieses NATO-Mitglied Albanien soll in ein Land verwandelt werden, in dem es nur mehr die Stimme der Macht gibt.

Der konservative Ministerpräsident Sali Berisha warf der Opposition dagegen vor, die Macht in Albanien mit Gewalt übernehmen zu wollen; Sali Berisha:

„Niemand kann die Macht mit Gewalt in diesem Land übernehmen, das ein Mitglied der NATO und ein freies Land mit demokratischen Institutionen ist. Es gibt keine Macht der Welt, das den freien Willen der Albaner manipulieren kann.“

Ursache des Konflikts zwischen Berisha und Rama sind noch immer die Parlamentswahlen Ende Juni 2009. Nach einem schlecht geführten Wahlkampf verlor Rama knapp; er spricht von Wahlbetrug, seine Niederlage erkennt er bis heute nicht an. Diesen Vorwurf hat Berisha stets zurückgewiesen. Belastet wird sein Kabinett aber auch durch Korruptionsskandale, die jüngst den Rücktritt einiger Minister erzwangen. Politisch sind die Spannungen somit zwischen links und rechts ständig gewachsen, und ein Kompromiss ist nicht in Sicht. Das ist ein schlechtes Omen für die Lokalwahlen Anfang Mai und auch für die weitere EU-Annäherung Albaniens.

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