Als Boxer hatte der ukrainische Champion Vitali Klitschko zweifellos auch schwere Kämpfe zu bestehen. Zu den leichteren dürfte sein nunmehriger politischer Kampf um die Wiederwahl als Bürgermeister von Kiew stehen. Der erste Wahlgang findet am Sonntag statt; nach Umfragen kann Klitschko mit 35 bis 40 Prozent der Stimmen rechnen. Klar abgeschlagen kämpfen um den Einzug in die Stichwahl weitere drei Kandidaten, darunter auch von der Partei des ukrainischen Präsidenten Volodimir Selenskji. Als Bürgermeister punkten konnte Klitschko auch im Kampf gegen die Corona-Krise. Weniger rosig sieht seine Bilanz als Kommunalpolitiker aus; bei Staus liegt Kiew an dritter Stelle in Europa, die Luftverschmutzung ist ein enormes Problem. Bei einer Rangliste der Lebensqualität von Städten belegt Kiew nur den 173. Platz, während Wien auf Platz eins liegt:
Berichtsinsert: Christian Wehrschütz aus Kiew
Insert1: Vitali Klitschko, Bürgermeister von Kiew
Insert2: Sergej Sumlenny, Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew
Insert3: Vitali Klitschko, Bürgermeister von Kiew
Insert4: Sergej Sumlenny, Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew
Insert5: Sergij Pritula, Bürgermeisterkandidat der Partei „Stimme“
Gesamtlänge: 4’21
Als erfolgreicher Boxer wurde Vitali Klitschko weltweit bekannt. Weniger erfolgreich verlief zunächst seine politische Karriere in der Ukraine. Seine große Stunde kam mit der Maidan-Bewegung, die im Februar 2014 zum Sturz von Präsident Viktor Janukowitsch führte. Klitschko unterstützte Petro Poroschenko bei der vorgezogenen Präsidentenwahl und wurde selbst Bürgermeister von Kiew. Am Sonntag treten er und seine Partei UDAR selbständig an. Als den großen Erneuerer der ukrainischen Hauptstadt präsentiert ihn nun sein Wahlkampfmanager aus den USA. Dazu zählt auch der Ausbau der Fahrradwege, die bisher nur wenige Kilometer und damit nur einen Bruchteil etwa des Wegenetzes von Wien umfassen:
Klitschko:
„Erst vor zwei Jahren haben wir mit dem Projekt „Bike-Sharing“ begonnen. Jetzt gibt es in Kiew bereits mehr als 300 derartige Stationen; unsere Stadt ändert sich zum Besseren. Das sind bequeme Fahrräder für Kiewer und unsere Gäste.“
Doch Radfahrer sind im Zentrum von Kiew eine Seltenheit. Die Stadt dominieren Autos und massive Staus. Die Lebensrealität der Radfahrer beschreibt der Vertreter einer deutschen Stiftung, die Bürgerinitiativen unterstützt:
9'46'7 - Radwege und Probleme - 10'09
"Bei den meisten Radwegen in Kiew kann man sagen; die haben die Leute geplant, die zum letzten Mal in der Vorschule auf einem Rad gesessen haben. Da querst du mit dem Fahrrad binnen 800 Meter vielleicht zehn Mal einen Bürgersteig und das ist natürlich kein Fahrradweg."
Völlig unterentwickelt ist auch der öffentliche Verkehr:
14'26 - Stadtteil ohne Straßenbahn - 14'54
„Wir wissen, dass es in Kiew einen Stadtteil gibt, das ist Trojeschtschina mit 300.000 Einwohnerinnen und Einwohnern, das ist eine große europäische Stadt; es gibt das keinen U-Bahn-Anschluss, keinen Straßenbahnanschluss für diesen ganzen Stadtteil. Die Interessen der Stadtentwicklung, die Interessen der Bürgerinnen und Bürger wurden jahrzehntelang vernachlässigt.“
Auf dem Fahrrad präsentierte sich Vitali Klitschko auch 2017 als in Kiew der Eurovisionssongcontest stattfand. Damals verkündete der Bürgermeister:
„Unsere Aufgabe ist es, aus Kiew ein wahres Mekka für den Tourismus zu machen. Dazu haben wir alle Möglichkeiten. Wir haben schöne Inseln, Museen und viele historische Bauwerke.“
Deren Zustand lässt allerdings vielfach sehr zu wünschen übrig. Die Erblast jahrzehntelanger Vernachlässigung wiegt schwer, mit der ein Bürgermeister zu kämpfen hat, der im Falle Kiews auch nur über geringe Kompetenzen verfügt. Der Dnipro wird immer mehr zur Kloake; das Müllproblem ist enorm. Darauf verweist in ihren Spots die Kandidatin der Präsidentenpartei Irina Verestschuk: um den Einzug in die Stichwahl kämpft auch Sergij Pritula, der für die kleine liberale Parlamentspartei „Stimme“ antritt. Er ist einer jener Kandidaten, der auf direkte Kontakte mit den Bürgern setzt. Zu seinen Anliegen zählt der Kampf gegen die Korruption:
3'18 - Korruption 3'59
"Kiew hat mit zwei Milliarden US-Dollar das zweitgrößte Budget des Landes. Doch das Geld wird sehr ineffizient verwendet. Das Geld für die Infrastruktur wird durch Ausschreibungen verteilt, die genau auf jene Firmen zugeschnitten sind, die gewinnen sollen. Das ist eine totale Willkür."
Die Privatisierung des Hotels Dnipro im Zentrum ist wohl ein Paradebeispiel für Korruption. Ein mysteriöser Investor bezahlte dafür 41 Millionen US-Dollar. Die angegebene Adresse des Investors soll in dieser Straße am Stadtrand von Kiew liegen, doch mehr als Häuschen sind an diesem Ort nicht zu finden. Doch im Kampf gegen die Corona-Epidemie konnte Vitali Klitschko punkten; auch daher ist damit zu rechnen, dass er in Kiew weiter Bürgermeister bleiben wird.