× Logo Mobil

Von der KSZE zur Krise der OSZE

Zeitung
Kleine Zeitung
Berichte Sonstige

Am Balkan und in der Ukraine ist die OSZE, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, auch für Journalisten eine wichtige Quelle der Information. Hinzu kommt eine gewisse Schutzfunktion für lokale und ausländische Journalisten, durch den Medienbeauftragten, der seine Stimme in einem internationalen Forum erheben kann, wenn die freie Arbeit der Journalisten bedroht wird. Bekannt war die OSZE mit Sitz in Wien bis zur Zeitenwende des Jahres 2014 vor allem durch ihre Organisation ODIHR; sie sitzt in Warschau und führt Wahlbeobachtungen in allen 57 Mitgliedsstaaten durch. Dazu zählen Lang- und Kurzzeitbeobachter; der Autor dieser Zeilen hat in den vergangen 20 Jahren über etwa 80 Wahlen berichtet; außerdem war er selbst einmal OSZE-Kurzzeitbeobachter in Kirgisistan. Die Erfahrungen bieten ein gemischtes Bild, weil die Aussagekraft der Bewertung insbesondere von der Qualität der Langzeitbeobachter abhängt. Doch grundsätzlich gilt, dass diese Missionen eine wichtige Kontrollfunktion erfüllen.

Trotzdem stellte sich bis zum Jahre 2014 immer wieder die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Organisation. Alle Zweifel verstummten mit dem Beginn des Krieges in der Ostukraine. Bis heute ist in den prorussischen Rebellengebieten die SMM, die Sonderbeobachtermission der OSZE, die einzige unabhängige Informationsquelle. Dieser Umstand wiegt alle vorhandenen Schwächen auf; sie bestehen etwa darin, dass seit dem Tod eines amerikanischen Beobachters im Jahre 2017 aus Sicherheitsgründen die Bewegungsfreiheit der Mitarbeiter bei ihren Fahrten stark eingeschränkt wurde; noch schlimmer ist, dass derzeit die prorussischen Rebellen die Corona-Krise nutzen, um die Arbeit der ungeliebten „Ausländer“ zusätzlich zu behindern. Das erschwert die Rotation der Bobachter; wie ein Blick auf die Webseite der SMM zeigt, waren im Juli noch 550 Personen vor Ort; früher waren es 700. Hinzu kommen die „ständigen“ Behinderungen; sie betreffen auch den Zugang zur Grenze zu Russland sowie die Störung von Drohnen, die die SMM zur Aufklärung einsetzt. Auch in diesen Fragen müsste die OSZE stärker öffentlich auftreten, doch Öffentlichkeitsarbeit zählt nicht zu den Stärken der Organisation, denn die Berichterstattung über deren Tätigkeit in den Separatistengebieten war stets ein mühevolles Unterfangen.

Eine wichtige Rolle spielen Vermittler der OSZE bei den Friedensgesprächen zur Ostukraine in Minsk. Ihr großer Einsatz, den etwa auch der Österreicher Martin Sajdik geleistet hat, hat dazu beigetragen, die Kriegsfolgen für die Bevölkerung zu mindern.

Die OSZE ist ein Kind der Entspannungspolitik des Kalten Krieges. 1975 beim Gipfel in Helsinki unterzeichneten 35 Staaten die Schlussakte. Damals hieß die Organisation KSZE, Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa; die Umbenennung erfolgte erst 20 Jahre später beim Gipfel in Wien, wobei der OSZE auch alle Nachfolgestaaten der Sowjetunion und Jugoslawiens angehören. Das Schlussdokument von Helsinki besteht aus drei „Körben“; der erste umfasst Grundfreiheiten und Menschenrechte; auch die Unverletzbarkeit der Grenzen, nicht aber ihre Unveränderlichkeit, wurde vereinbart, eine wichtiger Unterschied wie die deutsche Wiedervereinigung zeigen sollte. Im zweiten Korb geht es um wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Austausch, im dritten um Informationsaustausch und menschliche Kontakte in dem damals vom Eisernen Vorhang geprägten Europa.

Bis heute ist die OSZE die einzige regionale Einrichtung der UNO, die sich mit Sicherheitsfragen und Grundfreiheiten von Vancouver bis Wladiwostok befasst. Ihre Botschafter tagen wöchentlich in Wien; die OSZE ist wegen des Prinzips der Einstimmigkeit ein mühsames aber wichtiges Forum, gerade in Zeiten der Spannungen in Europa. Ihre nunmehrige tiefe Krise hat zwei Ursachen. Die weniger bedeutsame ist das internationale Umfeld, das etwa Alleingänge der USA und Russlands kennzeichnen, eine Krise des „Multilateralismus“, die Kompromisse erschwert. Die zweite, wichtigere Ursache liegt in der OSZE selbst. Um 57 Staate auf einen Nenner zu bringen, brauchte es viel Geschick auch bei der Personalpolitik; sie bewies Österreich, das in seinem Vorsitz ein Personalpaket schnürte, das die vier wichtigsten Funktionen umfasst: der Generalsekretär ist ein Schweizer, ODIHR leitet eine Isländerin, die Beauftragten für Minderheiten und Medienfreiheit stammen aus Italien und Frankreich. Der Franzose nahm seine Aufgabe ernst, was auf starken Widerstand in Aserbaidschan und Tadschikistan stieß. Doch auch andere Staaten (Türkei, Frankreich) hatten offene Rechnungen; all diese Probleme konnte der albanische Vorsitz nicht bereinigen. Somit ist die OSZE derzeit de facto gelähmt, weil auch die technische Verlängerung der Funktionen bis Dezember scheiterte. Wann und wie eine Lösung gefunden werden kann, ist offen; fest steht, dass die vier Führungsfunktionen geographisch viel zu einseitig besetzt sind und die regionale Vielfältigkeit der OSZE nicht berücksichtigen - unabhängig von der Qualität der betroffenen Diplomaten.

Facebook Facebook