× Logo Mobil

Publikation Volksgruppenkongress Klagenfurt

Sonstiges
Volksgruppenkongress
Berichte Sonstige
Sehr geehrte Damen und Herrn!

Aussöhnung ist ein sehr komplexer historischer Weg; das zeigen gerade auch die drei Länder, die nur wenige hunderte Kilometer voneinander entfernt liegen, alle mit dem Buchstaben „K“ beginnen, die aber doch noch immer Welten auf diesem Prozess trennen: Kärnten, Kroatien und der Kosovo. Als Balkan-Korrespondent des ORF, der über die Zuständigkeit für Slowenien auch mit der Ortstafel-Frage zwangsweise in Berührung kam, erlaube ich es mir aber trotz meiner innigen Liebe zu meiner deutschen Muttersprache zu Beginn auch einige Worte auf Slowenisch zu sprechen, die ich dann auf Deutsch wiederholen werde.

„Z usodami nacionalnih manjsin sem se vedno znova ukvarjal, ker sem, tako kot neski zgodovinar Leopold von Ranke mnenja „do so ljudstva s misli boz“.

Mit dem Schicksal nationaler Minderheiten habe ich mich immer wieder beschäftig, weil ich ebenso wie der deutsch Historiker Leopold von Ranke der Meinung bin, dass „die Völker Gedanken Gottes sind“.

Diese Gedanken gilt es in ihrer Vielfalt zu erhalten, zu fördern und zu pflegen. Das erfordert von der Mehrheitsbevölkerung Toleranz, von der Minderheit aber ebenso ein Bekenntnis zum Zusammenleben mit der Mehrheit in einem gemeinsamen Staat. Beide Haltungen sind nicht leicht zu erreichen, und sie sind in Südosteuropa noch nicht besonders ausgeprägt, wobei der Schutz nationaler Minderheiten im ehemaligen Jugoslawien durchaus sehr unterschiedlich ist, bzw. ein und dasselbe in den Nachfolgestaaten des kommunistischen Tito-Staates ebenfalls eine durchaus unterschiedliche Stellung haben kann. So sind Serben und Kroaten in Bosnien und Herzegowina „konstitutive Völker“, in Kroatien sind die Serben aber ebenso eine nationale Minderheit wie die Kroaten in Serbien. Obwohl etwa diese beiden Völker als Minderheiten in ihren jeweiligen Ländern durchaus vergleichbare Probleme haben, ist es bisher nicht gelungen, eine Zusammenarbeit zwischen diesen Minderheiten zu erreichen. Gleiches gilt etwa für Albaner und Serben in Südserbien sowie im Kosovo; doch die Erinnerungen an den blutigen Zerfall des alten Jugoslawien, an den Kosovo-Krieg und seine Folgen auch für die Serben sind noch zu frisch. Daher empfindet die Mehrheitsbevölkerung die Minderheit eben auch nicht als Bereicherung, sondern als Bedrohung der eigenen territorialen Integrität, und das erschwert natürlich Zusammenleben und Aussöhnung.

Unterschiedlich ist aber oft auch die Rechtsstellung von Volksgruppen in einem Staat selbst. So verfügen Ungarn und Italiener in Slowenien über einen umfassenden Minderheitenschutz, während die zahlenmäßig größten Gruppen, Serben, Kroaten und Bosniaken weit schlechter gestellt sind. Finanziell am Ende der Hierarchie angesiedelt sind die deutschen Altösterreicher, wobei es nun wohl durchaus an der Zeit wäre, auch dieser Gruppe eine finanzielle Mindestsicherung für ihre Tätigkeit zu garantieren, denn für eine slowenische Urangst besteht nach der Überwindung der Kärntner Urangst nun ebenfalls kein Grund mehr. Wie schwer sich hier Slowenien tut, zeigt der Umstand, dass selbst in historischen slowenischen Publikationen etwa über Hugo Wolf oder Wilhelm von Tegetthoff die deutschen Namen ihrer Geburtsstädte Windischgrätz oder Marburg praktisch nicht Verwendung finden.

Doch meiner Ansicht nach ist es nun wahrlich an der Zeit, das auch an den nördlichen Ausläufern des Balkan jener Nationalitätenkonflikt völlig ad acta gelegt wird, der mit dem Völkerfrühling des Jahres 1848 begann, nach dem Ende des Ersten Weltkrieges durch den Zerfall der Donaumonarchie und des Osmanischen Reiches zu neuen Staaten mit vielen Minderheitenproblemen führte, die dann während und nach Zweiten Weltkrieg vorwiegend auf verbrecherische Weise gelöst wurden. Auf allen Seiten blieben viele Wunden zurück, und auch das Verhältnis zwischen Österreich und Jugoslawien blieb lange belastet. Doch am 26. Juli 2011 unterzeichnete Bundespräsident Heinz Fischer in der Hofburg die Novelle zum Volksgruppengesetz. Mit diesem Verfassungsgesetz zur Ortstafelregelung „endete“ damit fast einhundert Jahre nach seinem Beginn der Erste Weltkrieg auch für Kärnten. Denn auch der Ortstafelkonflikt war in letzter Konsequenz natürlich eine Spätfolge des Zerfalls der Habsburger Monarchie im Jahre 1918, bzw. der Nationalitätenkonflikte, die ihrem Wesen nach sogar bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückreichen. Gleiches gilt für Entstehung und zweimaligen blutigen Zerfall des ehemaligen Jugoslawien und damit für historische Ereignisse, die die Geschichte Kärntens und der Steiermark im 20. Jahrhundert wesentlich prägten. Um Ursache und Folgen dieser Kriege und Konflikte verstehen zu können, ist die Erkenntnis unerlässlich, dass die meisten Völker nicht nur des Balkan ein sehr langes Gedächtnis haben, das nicht nur auf einen bestimmten Abschnitt der Geschichte reduziert werden kann.

Dieses Verständnis ist in Österreich (und Deutschland) nicht besonders ausgeprägt. Die lange Dauer des Ortstafelkonflikts stieß daher außerhalb Kärntens schon seit vielen Jahren auf großes Unverständnis. Das Wissen um die historischen Dimensionen derartiger Auseinandersetzungen ist aber wichtig, um zu verstehen, dass dieser Konflikt durch nationalsozialistische Verbrechen im gemischtsprachigen Gebiet und in Slowenien sowie durch Verbrechen kommunistischer Partisanen unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg zwar massiv verschärft wurde, seine Wurzeln aber weit tiefer in die Geschichte zurückreichen. Ähnliches gilt auch für den Nationalitätenkonflikt zwischen Serben und (Kosovo-)Albanern, der nicht erst mit Slobodan Milosevic begann, und dessen Beilegung durch ein Belgrader „mea culpa“ – das übrigens kaum zu erwarten ist – allein nicht gelöst werden kann.

Zu den äußeren Faktoren, die schließlich die Beilegung des Ortstafelkonflikts ermöglichten, zählen sicher der Zerfall des kommunistischen Jugoslawien und der EU-Beitritt Sloweniens im Jahre 2004, dem 2007 der Wegfall der EU-Binnengrenze mit Österreich folgte, die am Ende des Ersten Weltkriegs auf blutige Weise gezogen worden war. Doch unter dem Dach der EU haben Kärntner und Slowenen wohl nun die historische Chance, dass ihre Grenze nie wieder mit „Blut geschrieben“ werden muss, wie es in der Kärntner Landeshymne heißt. Dass die EU-Perspektive aber nur beschränkte konfliktlösende Kräfte entfalten kann, zeigt ihre gemischte Bilanz am Balkan. So kam es zwar im Zuge der kroatischen Beitrittsverhandlungen mit tatkräftiger Unterstützung aus Brüssel zur Lösung des fast 20 Jahre dauernden Streits zwischen Slowenien und Kroatien um die See- und Landgrenze; doch dem Namensstreit zwischen Griechenland und Mazedonien stehen die EU und ihre anderen 26 Mitglieder auch nach 20 Jahren mit einem bereits an grobe Fahrlässigkeit grenzenden Desinteresse gegenüber, obwohl der Konflikt den Frieden zwischen mazedonischer Mehrheit und albanischer Volksgruppe belastet. Den Politikern der Region allein fehlt jedoch oft die Kraft zur Lösung dieser „Flaggenfragen“ mit großem Symbolcharakter, die in Wahlkampfzeiten zur Stimmenmaximierung und zur Ablenkung von weit wichtigeren Problemen genutzt werden. Trotzdem ist der Namensstreit ebenso wie der Ortstafelkonflikt auch ein Symbol für belastete Beziehungen zwischen Völkern, die historisch gar nicht oder nur zum Teil aufgearbeitet sind.

Doch Slowenien und Kroatien waren nie Kriegsgegner und das unterscheidet beide Länder grundlegend von anderen Staaten des Balkan. Gegenüber diesen Ländern wird das deutsch-französische Beispiel oft beschworen, wenn es um die Aussöhnung zwischen Serben und Albanern, Serben und Kroaten sowie um die Aussöhnung zwischen Bosniaken, Serben und Kroaten in Bosnien und Herzegowina geht. Übersehen werden meistens die weitgehend anders gearteten Grundlagen, die bei der Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich Pate standen. Dazu zählen:

1) Der Kalte Krieg und die Bedrohung durch die Sowjetunion, die unter Führung der USA eine Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich und anderen ehemaligen Kriegsgegnern in Westeuropa unumgänglich machten. In diesem Sinne definierte der erste Generalsekretär der NATO, Hastings Lionel Ismay, die Aufgabe des westlichen Allianz knapp und klar: „to keep the Americans in, to keep the Russians out and to keep the Germans down.“ Hinzu kam die Union für Kohle und Stahl zwischen Deutschland und Frankreich, die kriegswichtige Rohstoffe „vergemeinschaftete“ und aus der in weiterer Folge die EWG und schließlich die EU wurden.

2) Die deutsche Teilung; sie erleichterte zweifellos die Zusammenarbeit mit dem damit weniger übermächtigen ehemaligen Kriegsgegner, der zwar wirtschaftlich wieder zur Großmacht wurde, politisch aber versuchte im Windschatten von Frankreich zu bleiben. Wie bedeutsam dieser Faktor offensichtlich war, zeigte der Widerwille von Frankreich und Großbritannien, sich nach dem Fall der Berliner Mauer im Jahre 1889, mehr als 40 Jahre nach Kriegsende, mit der deutschen Wiedervereinigung abzufinden.

3) Schuldbekenntnis und Verzeihung statt Aussöhnung; der Begriff Aussöhnung für das Verhältnis zwischen Deutschland, Frankreich und anderen ehemaligen Kriegsgegnern ist in gewisser Weise irreführend. Denn Aussöhnung setzt im Grunde wohl im Völkerleben wie in einer Ehe die Erkenntnis voraus, dass beide Seiten mitschuldig an einem Konflikt oder Streit sind. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Lage jedoch ganz anders; die Bundesrepublik gestand die Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ein und übernahm vorbehaltlos die Verantwortung für den Holocaust und für andere Verbrechen, die in deutschem Namen geschehen waren. Somit unterschied sich die Lage grundlegend von der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, die der aktuellen Situation am Balkan jedoch viel ähnlicher ist.

Ein Blick auf das ehemalige Jugoslawien zeigt, dass diese Rahmenbedingungen weitgehend fehlen. So war gerade der Kalte Krieg die äußere Klammer für den Tito-Staat. Ihr Wegfall und der damit verbundene drastische Bedeutungsverlust der Region erleichterte den Zerfall, zumal der Westen damals durch die deutsche Wiedervereinigung, den Zusammenbruch der Sowjetunion und den Golfkrieg vor mehreren Herausforderungen stand und zunächst zum militärischen Eingreifen nicht bereit war. Hinzu kommt, dass am Balkan die Arbeitslosigkeit im Zuge der Krise in der Euro-Zone wieder stark gestiegen ist, und viele Staaten bereits in der Rezession oder davon bedroht sind. Somit dominieren in Ex-Jugoslawien auch mehr als 10 Jahre nach dem letzten Krieg (NATO-Krieg um den Kosovo im Jahre 1999) die Sorgen des Alltags; das ist keine gute Grundlage für Aussöhnung und Vergangenheitsbewältigung; in diesem Sinne äußerte sich auch Zoran Djindjic am 11. Dezember 2000 in einem Interview, das ich mit ihm auf einer Wahlkampfreise führte:

„Nur wenn man einigermaßen geordnete Verhältnisse hat, dann kommt die Frage des Gewissens, das war auch in Deutschland so, nach dem Wiederaufbau kam dann die Frage: Was haben meine Eltern im Krieg getan? Also erwarte ich auch nach zwei bis drei Jahren Wirtschaftsaufbau, ich hoffe, dass es kommt, dass dann auch die Frage nach der Schuld in der Vergangenheit, aus innerer Motivation kommt. Dass sie aufgebrochen wird, das erwarte ich auch im Frühling, im nächsten Jahr. Dass die Frage nach der Haag- Auslieferung gestellt wird, erwarte ich sehr bald. Aber das ist keine echte Vergangenheitsbewältigung, dieses Thema wird dann aufgezwungen und ich weiß nicht, ob es der beste Weg ist, mit diesem Thema zu beginnen in Serbien. Ich bin überzeugt, dass wir als Volk, dieses Thema nach einer gewissen Zeit der Erholung der wirtschaftlichen Kräfte schon stellen werden.“

Der serbische Ministerpräsident Zoran Djindjic wurde im März 2003 in Belgrad erschossen. Fast zehn Jahre später biete der Balkan bei der Aufarbeitung der Vergangenheit ein gemischtes Bild. Positiv ist, dass alle vom Haager Tribunal gesuchten mutmaßlichen Kriegsverbrecher ausgeliefert wurden. Positiv ist auch, dass in Sondergerichten in Belgrad und Sarajewo sowie vor kroatischen Gerichten Kriegsverbrechern der Prozess gemacht wird. Doch die juristische Aufarbeitung ist nur eine notwendige aber kein eine hinreichende Bedingung zur Aussöhnung. Diese Tatsache kann nicht oft genug betont werden, vor allem weil die Wirkungen dieser Prozesse auf die öffentliche Meinung in den betroffenen Ländern nur gering ist; wie gering zeigen Umfragen, die ein Meinungsforschungsinstitut aus Belgrad in Serbien, Bosnien und Herzegowina und in Kroatien durchgeführt hat. So betrachtet eine große Mehrheit der Serben und Kroaten das Tribunal als antiserbisch oder antikroatisch, und jeweils etwa 70 Prozent der Kroaten und Serben halten es für falsch, dass ihre Generäle ausgeliefert wurden. Nur die Bosniaken stehen dem Tribunal mit großer Mehrheit positiv gegenüber. Sie hatten einerseits die größten Opfer und andererseits die geringste Zahl an prominenten Angeklagten zu verzeichnen.

Wie gering die Wirkung der Prozesse auf die öffentliche Meinung in Serbien und Kroatien waren, machen die Umfragen ebenfalls deutlich. Am bekanntesten ist in Serbien das Massaker an mehr als 7.000 Bosniaken in Srebrenica im Jahre 1995. In Serbien haben mehr als 70 Prozent haben davon gehört, nur mehr 40 Prozent glauben, dass das Massaker stattgefunden hat, doch nur 33 Prozent bewerten es als Kriegsverbrechen und nicht als Begleiterscheinung des Krieges. Ins Bild passt, dass nur ein knappes Viertel der Serben der Ansicht ist, dass General Ratko Mladic auch für das Massaker verantwortlich ist. Auch in Kroatien stieß die Verurteilung von General Ante Gotovina im Jahre 2011 in erster Instanz zu 24 Jahren Haft wegen Verbrechen an der serbischen Zivilbevölkerung auf massive Ablehnung. Denn das Eingeständnis ist eben schwer, dass auch die Sieger in einem Verteidigungskrieg Verbrechen begehen können, eine Gefühlslage, die wiederum nicht nur auf Kroatien beschränkt ist.

Wesentlich für das Verständnis der Region ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass kein Staat wirklich bereit ist, die Haupt- oder eine Mitschuld für den blutigen Zerfall des zweiten Jugoslawien einzugestehen. Das gilt insbesondere für Serbien, das unter der Führung von Slobodan Milosevic zweifellos die Hauptschuld aber keineswegs die Alleinschuld trägt. Ein Kniefall wie von Willy Brand im Dezember 1970 in Warschau am Mahnmal des Ghetto-Aufstandes von 1943 ist daher von keinem serbischen Präsidenten oder Regierungschef zu erwarten. Hinzu kommt, dass jedes Volk nur der eigenen Opfer gedenkt und eine selbstkritische Aufarbeitung der Vergangenheit in den Schulen nicht stattfindet und in den meisten Medien kein Thema ist. Notwendig ist daher auch ein beständiges Beharren der insbesondere der EU, dass am Balkan weit mehr getan wird als nur eine leider zwangsläufig beschränkte Anzahl an Kriegsverbrechern abzuurteilen, so wichtig diese Prozesse auch sind. Dies ist umso wichtiger, weil am Balkan kein wirklicher Wechsel der politischen Eliten stattfand, und nicht nur in Serbien wieder Parteien in die Regierung zurückgekehrt sind, die Mitschuld am blutigen Zerfall des alten Jugoslawien tragen. Denn wer aus der Geschichte nicht lernt, ist bekanntlich gezwungen ihre Fehler zu wiederholen. Daher ist der kroatische Philosoph Zarko Puhovski davon überzeugt, dass die Wurzeln für den Zerfall des alten Jugoslawien bis in den Zweiten Weltkrieg zurückreichen:

„Einer der wichtigen Gründe für den Zerfall des alten Jugoslawien war der Umstand, dass es 45 Jahre lang nicht in der Lage war, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Es gab die offizielle Position, dass die Partisanen die Guten waren, während alle anderen ausländische Besatzer oder heimische Verräter waren. In den letzten Jahren der Liberalisierung kam es dann zu einer Überschwemmung mit der alternativen Geschichte; und diese Geschichte, die man 45 Jahre nicht öffentlich hören konnte, führte dann zu Hasstiraden, die den neuen Krieg vorbereiteten; der begann 1991, und zwar überwiegend aber nicht ausschließlich von Belgrad aus. Daher lehrt die Erfahrung, dass die Vergangenheitsbewältigung sehr wichtig ist.“

Was kann nun der Balkan von der Kärntner Ortstafellösung und was kann Kärnten von den Herausforderungen am Balkan lernen?

Die wichtigste Lehre, die sich aus Kärnten ziehen lässt, ist wohl die, dass eine Lösung nur unter umfassender Einbindung der lokalen Bevölkerung möglich ist. Das erfordert zwar viel Überzeugungsarbeit durch die Politik, macht sich aber schließlich doch bezahlt. Gleichzeitig zeigt Kärnten aber auch, dass insbesondere „Wien“ teilweise bis heute die lokale Bevölkerung des Grenzlandes und ihre berechtigten Anliegen, und die über viele Jahre hinweg auch verständlichen Ängste viel zu sehr ignoriert hat. Dazu zählt etwa die Klärung des Schicksals der 128 Kärntner, die während der Partisanen-Herrschaft unmittelbar nach Kriegsende verschleppt wurden. Slowenien hat bereits vor vielen Jahren mit der Öffnung von Massengräbern begonnen, und die damit verbundenen Möglichkeiten hat Österreich bis heute nicht genutzt. Am Balkan, wo die Wunden der Zerfallskriege noch viel frischer sind, ist die Klärung des Schicksals der vermissten Serben, Kroaten, Bosniaken und Albaner zweifellos ein wichtiger Schritt zur Aussöhnung. Der Wunsch nach Aufklärung und so weit möglich würdiger Bestattung ist jedenfalls in berechtigtes Anliegen der Angehörigen aller Völker.

Wie groß die Zurückhaltung in „Wien“ bis heute ist, zeigen nicht nur die Probleme der Kärntner Historikerkommission an Akten zu kommen, sondern auch der Umstand, dass das Außenministerium nach wie vor die Berichte der österreichischen Historiker nicht veröffentlicht hat, die jener Kommission angehörten, die im Jahre 2001 zwischen Slowenien und Österreich gebildet wurde und deren Arbeit leider gescheitert ist. Die Abgleichung von Geschichtsbildern auch in den Schulbüchern weckt jedoch das Verständnis für die andere „Seite“; eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Historikern aus Österreich, Slowenien und anderen Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien kann dabei durchaus beispielgebend wirken, weil am Balkan nach wie vor völlig unterschiedliche Geschichtsbilder dominieren und eine umfassende Aufarbeitung der Zerfallskriege noch in den Kinderschuhen steckt.

Eine weitere Lehre, die sich aus der Kärntner Ortstafellösung für den Balkan ziehen lässt, ist die Einbindung von Nicht-Regierungsorganisationen in den Prozess der Aussöhnung. Die gemeinsame Basis, die führende Vertreter von Organisationen der Kärntner Slowenen und der Deutsch-Kärntner fanden, erleichterte zweifellos die Lösung. Für einen Beitrag über Nachkriegsverbrechen drehte ich auf einem Friedhof in Unterkärnten; auf wenigen Quadratmetern fand sich dort ein Grab für Partisanen, für ermordete Flüchtlinge und ein Gedenkstein für einen in Frankreich vermissten Soldaten der Deutschen Wehrmacht. Das erinnerte mich an die Aussage von Marijan Sturm, dass es wichtig sei zu verstehen, dass jede Mutter um ihren getöteten Sohn weint, ganz gleich welchem Volk er angehört. Dieses Einfühlungsvermögen (Empathie) für den jeweils anderen, dieses Mitgefühl für die Opfer und für die Traumata des jeweils anderen Volkes gilt es am Balkan im Sinne der Aussöhnung ebenfalls zu stärken. Ein gutes Einvernehmen zwischen politischen Eliten allein reicht für eine dauerhafte Aussöhnung nicht aus, wobei dieses Einvernehmen etwa zwischen serbischen und kosovarischen Politikern überhaupt erst zu entwickeln ist.

Andererseits sollten symbolische Gesten, die die Präsidenten Kroatiens und Serbiens, Ivo Josipovic und Boris Tadic, im April 2011 setzten, durchaus auch als Anregung für Österreich (Kärnten) und Slowenien verstanden werden können. Denn Tadic und Josipovic besuchten eben nicht nur die Stadt Vukovar, wo 1991 eines der ersten großen Kriegsverbrechen stattfand, wofür sich Tadic bei den Opfern im Namen des serbischen Volkes entschuldigte. Beide besuchten auch einen Ort nördlich von Osijek, wo Kroaten serbische Zivilisten ermordet hatten. Das erleichterte Tadic zweifellos seinen Gang nach Vukovar. In diesem Sinne ist es wohl an der Zeit, dass Slowenien die Vereine der etwa 2.000 deutschen Altösterreicher ernsthaft fördert und den Rechtsstatus dieser Gruppe aufwertet, wenn eine Anerkennung als Minderheit schon nicht in Frage kommt. Wie schwer sich Slowenien in dieser Hinsicht tut, zeigt nicht nur die unbefriedigende Lage der Serben, Kroaten und Bosniaken, sondern auch der Umstand, dass Slowenien selbst in deutschen Texten oder in historischen Ausstellungen nicht bereit ist, die Städte Maribor, Ptuj oder Celje als Marburg, Cilli oder Pettau zu bezeichnen. Positiv zu bewerten ist jedoch, dass sich Marburg im Rahmen seiner Rolle als Kulturhauptstadt Europas diesem Erbe zum ersten Mal mit einer großen Ausstellung („Nemci in Maribor“ / Die Deutschen und Marburg) gestellt hat. Derartige Gesten dürften es zweifellos auch dem Land Kärnten erleichtern, die Beziehungen beider Volksgruppen weiter zu verbessern; grenzüberschreitende Projekte sollten jedenfalls ins Auge gefasst werden, wenn es um einhundert Jahre Erster Weltkrieg (1914 – 2014) oder dann auch um einhundert Jahre Kärntner Volksabstimmung (1920 – 2020) gehen wird.

Abgesehen von Bosnien und Herzegowina bildet der kompakt serbisch besiedelte Nord-Kosovo wohl die größte Herausforderung für eine dauerhafte Befriedung des Balkan. Während die Serben südlich des Flusses Ibar in den Enklaven nur die Möglichkeit haben, auszuwandern oder mit der albanischen Mehrheit einen modus vivendi zu finden, ist die Lage im Norden anders. Die lokale serbische Bevölkerung kann und will sich dort nicht damit abfinden, unter albanischer Dominanz zu leben. Symbol für diese tiefe Spaltung ist die in einen albanischen Süden und einen serbischen Norden geteilte Stadt Kosovska Mitrovica. Diese Teilung kann jedenfalls nicht durch die Friedenstruppe KFOR, sondern nur durch schwierige und langwierige vertrauensbildende Maßnahmen vor Ort gemildert und verringert werden. Dazu zählt eine viel stärkere Unterstützung von Nicht-Regierungs-Organisationen, die etwa Klein-Unternehmen von Albanern und Serben fördern, sowie eine befriedigende Rechtsstellung der Serben im Norden. Von der Rolle Belgrads einmal abgesehen müssen entscheidende Impulse für die Integration des Nordens von der albanischen Führung in Pristina kommen, und zwar durch symbolische Gesten und eine praktische Politik, die versucht Vertrauen aufzubauen und Existenzängste zu nehmen. Aus der Sicht der lokalen Serben haben die Kosovo-Albaner bisher jedenfalls nicht (ausreichend) gezeigt, dass sie wirklich zu einem Zusammenleben bereit sind.

Die politischen Eliten in Kärnten haben den Ortstafelkonflikt gelöst; trotzdem bestehen noch immer Ressentiments auf beiden Seiten, und für den Ausbau der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit Slowenien bestehen noch viele Möglichkeiten, die es zu nutzen gilt. Dabei sollte es jedoch nicht bleiben. Von Klagenfurt nach Agram fährt man heute mit dem Auto etwa gleich lang wie von Klagenfurt nach Wien. Und die Strecke Klagenfurt-Bregenz entspricht in etwa der Zeit, die man von Klagenfurt nach Belgrad braucht. Der Balkan liegt somit vor der Haustür Kärntens, dessen Firmen auch im ehemaligen Jugoslawien vertreten sind, während viele Angehörige dieser Region auch in Kärnten eine Heimat gefunden haben. Eine regionale Außenpolitik fördert aber nicht nur eigene wirtschaftliche Interessen, sondern kann auch einen Beitrag zur dauerhaften Stabilisierung einer Region leisten, die nach dem EU-Beitritt Kroatiens im Sommer 2013 noch etwa zehn Jahre auf diesem Weg vor sich hat. Trotz aller Krisen in der EU gilt es diese Region zu befrieden, weil der Friede in Europa ohne einen EU-Beitritt von Montenegro, Serbien, Bosnien und Herzegowina, des Kosovo, Mazedoniens und Albaniens nicht dauerhaft gesichert sein wird, so unpopulär derzeit eine EU-Erweiterung in Österreich vielleicht auch sein mag.

Sehr geehrte Damen und Herrn!

Die grundlegende Erkenntnis, die sich aus dem Ortstafelkonflikt ziehen lässt, besteht darin, dass Aussöhnung sehr viel Zeit braucht. Das gilt aber nicht nur für die „wilden Völker des Balkan“, für den Kosovo, für Kärnten, Österreich oder Slowenien. So war es etwa an der Harvard Universität noch Mitte der 90iger Jahre nicht möglich, ein Denkmal für jene Studenten zu errichten, die auf der Seite der Südstaaten im Sezessionskrieg (1861 – 1865) gefallen waren. So wichtig es daher ist, die Aussöhnung am Balkan als ständige Aufgabe zu begreifen und voranzutreiben, so wichtig ist es auch, diese Völker und ihre politischen Eliten nicht zu überfordern. Doch Aussöhnung sowie friedliches und fruchtbringendes Zusammenleben ist möglich. So bin ich als Steirer seit mehr als 30 Jahren mit einer Deutsch-Kärntnerin verheiratet und wir bei haben zwei wunderbare erwachsene Töchter. Diese multiethnische Verbindung stimmt mich hoffnungsvoll, dass auch am Balkan Aussöhnung möglich ist, um einem ernsten Thema somit eine heitere Note zum Abschluss zu verleihen.

Facebook Facebook