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Exklusivinterview mit Israels Außenminister Avigdor Lieberman

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KLZ: Herr Lieberman, die neue israelische Regierung ist weltweit, was die Bereitschaft für eine Nahost-Friedenslösung betrifft, nicht gerade mit Vorschusslorbeeren bedacht worden. Die Zwei-Staaten-Lösung mit den Palästinensern ist jedenfalls nicht ihr erklärtes Programm. Wird die neue israelische Regierung willens und in der Lage sein, den Friedensprozess voran zutreiben?

L: Wir hatten Regierungen, die aus politischen Tauben bestanden. Seit der Vereinbarung von Oslo, 1983, haben ebendiese Regierungen sehr große Anstrengungen unternommen, eine dauerhafte Regelung für den Frieden zu finden. Wir haben die Hälfte von Judäa und Samaria sowie auch den Gaza-Streifen aufgegeben. Wir haben Tausende Juden umgesiedelt und Milliarden Schekel in die Palästinenser-Gebiete investiert. Trotzdem ist der Friedensprozess blockiert. Daher helfen uns die bisher gegebenen, vereinfachenden Antworten nicht weiter. Gewöhnlich waren das zwei: Besatzung oder jüdische Siedlungen. Es wäre allerdings ein Missverständnis, zu glauben, dass Besatzung und Siedlungen die Ursache für den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern sind. Denn wenn man weiter zurückgeht, vor 1967, gab es auch keinen Frieden im Nahen Osten, sondern nur Blutvergießen und Terrorismus. Und zwischen 1948 und 1967 hatten die Palästinenser sehr wohl einen Chance einen eigenen Staat zu bilden. Sie wurde nur nicht genützt.

KLZ: Sie wollen offensichtlich einen neuen Ansatz für eine Friedenslösung. Wie soll der aussehen?

L: Wir wollen sehr aktiv die Initiative ergreifen. Wir haben viele Ideen. Dabei ist heute ist meine persönliche Position nicht so wichtig. Ich bin ein Spieler in einem großen Team, und versuche meine Koalitionspartner zu überzeugen. Doch ich bin überzeugt, dass es dieser Regierung schließlich gelingen wird, eine gemeinsame Plattform zu schaffen und vorwärts zu kommen. Dabei wollen wir die Vision einbringen, eine stabile in sich schlüssige, dauerhafte Lösung ohne Blutvergießen zu schaffen.

KLZ Konkret, was sind Ihre Voraussetzungen für einen solchen umfassenden Frieden?

L: Der politische Prozess ist nicht vorrangig der Schlüssel für eine dauerhafte Friedenslösung. Es müssen zuerst einige wichtige Dinge für beide Völker erreicht werden, sonst würde auch der von uns angestrebte politische Prozess scheitern. Das wichtigste für uns ist Sicherheit, weil wir nicht täglich mit Terror, Raketen und mit der Erklärung leben wollen, dass Israel zerstört werden muss. Das wichtigste für die Palästinenser ist der Aufbau der Wirtschaft, denn man kann sich vorstellen, was in Österreich /Deutschland geschehen würde, wenn die Arbeitslosenrate 40 Prozent betragen und der Lohn nur 150 Euro pro Monat, wie das bei den Palästinensern der Fall ist. Außerdem brauchen wir Stabilität für das Ganze. Daher müssen in der ersten Stufe Sicherheit, Wirtschaft und Stabilität erreicht werden. Erst danach können wir zu einer politischen Lösung kommen.

KLZ: Wie wollen Sie diese drei Punkte vor einer politischen Lösung erreichen? Die Korruption in den Palästinenser-Gebieten gilt als enorm, und unter der ständigen Drohung eines israelischen Militärschlages wird dort niemand investieren?

L: Das ist eine Frage der Verwaltung. Aber zumindest in Judäa und Samaria sehen wir eine bessere Verwaltung. Außerdem darf die Rolle der USA, der EU und von Japan nicht nur sein, Geld an die palästinensische Verwaltung zu überweisen. Die müssen vielmehr in konkrete Projekte investieren um die Arbeitsplätze für die Palästinenser zu schaffen. Ohne das, wird es unmöglich sein, die Menschen davon zu überzeugen, dass sie eine bessere Zukunft vor sich haben, und dass eine Friedenslösung auch jedem Bürger etwas bringen wird. Denn die Hamas hat die vergangenen Wahlen nicht wegen ihrer extremen Ideologie gewonnen; vielmehr stand ihr eine sehr korrupte Palästinenser-Verwaltung gegenüber, die weder effektiv noch effizient war. Im Gegensatz dazu hat die Hamas sehr viele soziale Aktivitäten gesetzt. Sie hat Schulen errichtet und eine medizinische Versorgung angeboten. Das waren die Gründe für den Wahlsieg der Hamas.

KLZ: Gibt es Bedingungen, unter denen Sie bereit sein könnten, mit der Hamas zu verhandeln oder zusammenzuarbeiten?

L: Das ist unmöglich. Wie soll die israelische Regierung mit jemandem verhandeln, der jeden Tag sagt, ich will Israel zerstören oder alle Juden töten? Die Hamas übt weiter Terror aus, schmuggelt nach wie vor Waffen und bereitet Anschläge vor. Schauen Sie doch, wie viele Mitglieder der Fatah die Hamas getötet hat. Diese Bilder sind jenseits aller Vorstellungskraft.

KLZ: Und wie sieht es mit Syrien aus? Wie soll ohne die von Ihnen abgelehnte Formel "Land für Frieden" ein Friede mit Syrien möglich sein, das auf der Rückgabe der Golanhöhen beharrt?

L:Wir müssen die Realitäten sehen. Bis heute beheimatet Syrien die Hauptquartiere der Terror-Organisationen Hamas und Djihad. Syrien unterstützt die Hisbollah und ihren Waffenschmuggel in den Südlibanon. Syrien unterstützt auch das Atomprogramm des Iran und ich sehe bis zum heutigen Tag nur eine Festigung der Beziehungen zwischen dem Iran und Syrien. Daher kann ich in Syrien keinen wirklichen Partner für irgendeine Vereinbarung sehen. Bevor wir verhandeln können, muss zuerst die Unterstützung für den Terrorismus eingestellt werden und es müssen die Zentralen aller Terrororganisationen geschlossen werden; erst dann können wir beginnen, über die Zukunft unserer Beziehungen zu reden.

KLZ: Sie sind der Ansicht, dass das bisher auch in Israel akzeptierte Konzept "Land für Frieden" falsch ist. Warum?

L: Bis heute hat das Konzept "Land für Frieden" keine wirklichen Ergebnisse gebracht. Was war das Ergebnis aller Rückzüge? Doch nur: Hisbollah und Raketen. Dieses Konzept reicht nicht, es dient dazu, die Lage zu simplifizieren. Doch man kann nicht die Probleme der Wirtschaft, von Werten wie Demokratie und Menschenrechten und von Sicherheit und Stabilität ignorieren. "Land für Frieden" allein funktioniert also nicht.

KLZ: Was soll stattdessen geschehen? Bei der Zwei-Staaten-Lösung kritisieren Sie, dass zwar die Palästinenser einen Staat ohne Juden bekommen sollen, Israel aber 20 Prozent Araber hat. Daher reden sie auch enormen Umsiedlungen das Wort; doch was ist mit den Arabern in Israel, sprich Palästinensern, die nicht gehen wollen?

L: Das ist allerdings nicht nur ein Problem, das Israel hat. Ähnliches gibt es auf der übrigen Welt auch. In Bosnien-Herzegowina zum Beispiel oder in Belgien zwischen Flamen und Walonen. Auch im Kaukasus gab es den Konflikt zwischen Russland und Georgien. Was ich damit sagen will, es gibt nicht nur eine Ursache für das Problem sondern viele. Man darf nicht nur einen Punkt herausgreifen und dann hoffen, das ganze Problem zu lösen; man muss gleichzeitig in viele Richtungen gehen.

KLZ: Was heißt das konkret, etwa für die jüdischen Siedlungen? Sie selbst leben in einer jüdischen Siedlung in einem Palästinenser-Gebiet. Wären Sie bereit, Ihr Haus aufzugeben?

L: Weniger Spannungen, weniger Konflikte, dass wollen alle Völker. Doch es darf keine Illusion geben; kurzfristig, schnell ist das nicht möglich, Hokuspokus gibt es nicht. Doch ich in überzeugt, dass diese Koalition, mehr als jede andere zuvor die Chance hat, sich in die richtige Richtung zu bewegen.

KLZ: Das war eine sehr diplomatische Antwort.

L: Ja.

KLZ: Daher anders gefragt; sind Sie bereit, auch persönliche Opfer zu bringen?

L: Es geht heute nicht um mich, ich bin nicht so wichtig, sondern es geht darum, welche neue Politik die Regierung formulieren wird. Wir sind nicht mehr im Wahlkampf. Wir müssen uns auf sehr komplizierte Zeiten vorbereiten, das ist keine Zeit mehr für Slogans. Zwar können Slogans leicht den Medien verkauft werden, doch das ist jetzt nicht die Zeit für große Erklärungen. Ich ziehe es vor, mich auf die Ausarbeitung von sehr pragmatischen Lösungen zu konzentrieren.

KLZ: Sie schlagen jetzt ganz neue Töne an. Liest man israelische und europäische Zeitungen, so haben Sie ein sehr extremistisches Image und niemals mit starken Worten nicht gespart ….

L: Ich bin über mein Image nicht besorgt; Image ist nur ein Produkt der Massenmedien. Wir haben weit ernstere Probleme als mein Image. Zwei meiner Söhne dienen in der Armee, und ich habe eine Familie und bereits Enkel. Ich will wirklich sicher gehen, dass wir Ihnen eine bessere Zukunft bieten können. Image kann kein Argument in einer ernsthaften Politik sein.

KLZ: Ihrer Ansicht nach ist der Iran das größte Problem für Israel, weil er die radikalen Palästinenser-Organisationen unterstützt und natürlich auch wegen seines Atomprogramms. Das ist eine sehr gefährliche Situation angesichts der Tatsache, dass Israel, Pakistan und Indien bereits Atomwaffen haben. Wie kann Ihrer Ansicht nach der Iran gestoppt werden?

L: Vor wenigen Tagen hatte Irans Präsident Achmadinejad seine One-man-show in Genf. Seine Aussagen waren antiisraelisch und antisemitisch. Es ist nicht akzeptabel, dass ein Staatspräsident eines UNO-Mitglieds täglich zur Zerstörung Israels aufruft. Die Kooperation des Iran mit Nordkorea, mit Hugo Chavez und mit Syrien ist die wirkliche Achse des Bösen. Doch das ist nicht nur unser Problem; das ist das Problem der gesamten Region und der gesamten internationalen Gemeinschaft. Auch die Vertreter der arabischen Welt haben mit uns in jüngster Zeit vor allem über den Iran, und nicht über die Palästinenser gesprochen. Denn die Araber verstehen, dass ihre Existenz nicht durch Israel, sondern durch den Iran bedroht wird.

KLZ: Doch wie soll das Problem Iran gelöst werden?

L: Was das iranische Atomprogramm betrifft, muss klar sein, dass, sollte der Iran Atommacht werden, es in der Region zu einem schrecklichen nuklearen Rüstungswettlauf kommen würde. Der beste Weg, das Atomprogramm zu stoppen, sind wirklich harte, sehr harte Sanktionen. Die UNO-Resolutionen sind nicht genug; daher müssen der Sicherheitsrat und die EU viel wirksamere und härtere Sanktionen verhängen. Das hat bei Libyen funktioniert. Der Iran muss daher isoliert werden. Nur das kann Ergebnisse bringen.

KLZ: Wenn auch harte Sanktionen nicht greifen, ist dann für Israel ein Militärschlag als letztes Mittel denkbar?

L: Wir sprechen über keinen Militärschlag, Israel kann ein Problem, das ein Problem der ganzen Welt ist, nicht militärisch lösen. Ich schlage vielmehr vor, dass die USA als größte Weltmacht die Verantwortung übernimmt, die Iran-Frage zu lösen."

KLZ: US-Präsident Barak Obama ist für einen Dialog mit dem Iran und erwartet auch bald Ergebnisse im Friedensprozess mit den Palästinensern. Sehen Sie eine Änderung der US-Nahost-Politik?

L: Nein. Wir haben traditionell wirklich sehr tiefe Beziehungen mit den USA. Sie beruhen nicht nur auf wechselseitigen Interessen, sondern wir teilen auch dieselben Werte. Wir haben auch sehr gute Beziehungen zu den Führern der Republikaner und der Demokraten. Die neue Regierung kennen wir auch sehr gut, etwa die Außenministerin, und meiner Ansicht nach sind die Beziehungen sehr stabil. In beiden Ländern haben wir neue Regierungen und am 18. Mai wird des das ersten Treffen zwischen dem israelischen Premierminister und dem US-Präsidenten geben. Wir regieren in Israel erst einen Monat und natürlich braucht unsere Koalition auch Zeit, ihre Politik zu formulieren. Mein Eindruck ist, dass wir in der Frage der US-amerikanisch-israelischen Beziehung für Überraschungen sorgen werden. Am 18. Mai, beim Treffen mit Präsident Obama werden wir erstmals unsere neue Politik darlegen. Daher muss ich mich heute noch zurückhalten.

KLZ: Abgesehen von den USA, kann auch die EU eine einflussreichere politische Rolle in der Region spielen?

L: Die EU spielt eine aktive Rolle. Sie hat hier ihre Vertreter, und ich habe bereits in den vergangenen beiden Wochen mit vielen europäischen gesprochen. Wir haben also einen sehr intensiven Dialog mit Europa. Allerdings müsste Europa härter gegenüber dem Terrorismus hier auftreten. Hamas und Hisbollah müssen unakzeptable Organisationen sein. Doch ich bin nicht sicher, dass alle europäischen Länder diese meine Meinung teilen.

KLZ: Eine jüngst veröffentlichte Umfrage zeigt, dass die Mehrheit der Israelis für einen Beitritt Israels zur NATO und EU sind. Diese Haltung vertritt auch Ihre Partei. Ist das aber - und sei es noch so langfristig - eine realistische Option?

L: Ja, ich denke das ist eine Option. Heute ist die EU (durch Zypern) ohnedies nur noch eine halbe Flugstunde von Israel entfernt. Und: Wir haben wirklich sehr enge Beziehung zur EU. Es muss als Erstes eben Schritt für Schritt gehen, um nahe an die Vollmitgliedschaft heranzukommen. Man kann sich doch das moderne Europa nicht vorstellen ohne den jüdischen Beitrag, ohne Franz Kafka oder Siegmund Freud. Der jüdische Geist war immer sehr wichtig für Europa. Auch den Großteil unserer Außenhandelsbeziehungen haben wir mit Europa, dazu kommt noch der Tourismus. Natürlich gibt es Probleme - doch Israel ist die einzige Demokratie im Nahen Osten. Natürlich sollte andererseits auch Europa objektiver gegenüber Israel sein. Europa muss verstehen: wir ein sehr kleines Land. In dieser Lage ist es sehr schwierig zu überleben und die Demokratie zu bewahren, doch wir tun unser Bestes, das zu erreichen und ein modernes Land zu sein.

KLZ: Untersuchungen zeigen einen wachsenden Antisemitismus unter Muslimen und muslimischen Einwanderern etwa in Großbritannien, Frankreich und Deutschland. Das trifft auch auf viele junge Muslime zu. Was bedeutet das aus Sicht Israels?

L: Das Grundproblem ist auch hier eine Frage der demokratischen Werte. Es ist sehr wichtig, die Werte der freien Welt zu bewahren und an alle Bürger weiterzugeben, unabhängig davon, ob sie Juden, Christen oder Moslems sind, oder ein anderes oder gar kein Bekenntnis haben. Im Falle der Moslems muss Europa auch von den muslimischen Ländern fordern, dass sie zur Demokratie und zu den Menschenrechten finden. Wie sieht es beispielsweise mit Menschenrechten in Saudi-Arabien aus, wo Frauen noch immer kein Wahlrecht haben? Erst wenn Selbstverständlichkeiten wie Demokratie und Menschenrechte in allen moslemischen Staaten zur Realität werden, werden sich auch die Moslems anderswo langsam ändern.

KLZ: Muss Ihrer Meinung nach Europa auch mehr für die Integration und Erziehung der Muslime?

L: Natürlich, denn einige dieser Gruppen bleiben isoliert. Sie leben zwar in Europa, leben aber in Wirklichkeit abgetrennt von Europa, der europäischen Kultur und der modernen Welt.

KLZ: Auch Israel ist allein was die jüdische Bevölkerung betrifft, ein sehr heterogener Staat. Was soll aus Ihrer Sicht Israel sein oder werden? Sie sind für die Einführung der Zivilehe, daher wohl eher für einen laizistischen Staat?

L: Der Schlüssel für das Zusammenleben heißt Toleranz. Wir müssen in Israel toleranter im Umgang miteinander werden. Nach Israel kamen Menschen aus Asien, Afrika, Europa, der ehemaligen Sowjetunion und Südamerika. Sie alle haben unterschiedliche Vorstellungen, ein unterschiedliches Temperament und eine verschiedene Mentalität. Daher ist es unmöglich, die Vorstellung nur einer Gruppe durchzusetzen. Also können etwa die Vorstellungen der Religiösen nicht säkularen Bürgern verordnet werden und umgekehrt. Wir versuchen daher, den richtigen Zugang zu diesen Problemen zu finden. Das betrifft auch die Zivilehe und andere jüdische Werte. Denn Israel muss ein Platz für alle Juden sein.

KLZ: Herr Lieberman, danke für das Gespräch.

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