Die Büchse der Pandora:Die Albaner-Frage und das ehemalige Jugoslawien
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Wiener Journal
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Die Jahre von 1974 bis zu Titos Tod im Jahre 1980 zählten denn auch zu den ruhigsten in der Geschichte des Kosovo. Eine Vereinigung mit Albanien kam wegen dessen Isolation sowieso nicht in Betracht, wobei die Kosovo-Albaner in ihren Landsleuten eher die armen Vettern sahen, die es zu unterstützen galt. Dämpfend auf den albanischen Nationalismus wirkten sich nicht nur dieses Wohlstandsgefälle und die Tito-Verfassung, sondern auch der Umstand aus, daß die Albaner im Kosovo, in Mazedonien, in Südserbien und in Montenegro in einem ge-meinsamen jugoslawischen Staate lebten. Doch auch unter Tito war der albanische Nationa-lismus nie gänzlich verstummt, wobei dessen Stoßrichtung eher auf eine Loslösung des Kosovo denn auf einen großalbanischen Staat zielte.
Mit dem Aufstieg von Slobodan Milosevic in Serbien, der Beseitigung der Autonomie des Kosovo sowie dem Zerfall Jugoslawiens änderte sich auch die Haltung der Albaner, zunächst vor allem im Kosovo. Die Unabhängigkeitsbestrebungen gewannen an Dynamik und die meisten Balkan-Kenner glaubten zunächst, daß gewaltsame Konflikte zunächst im Kosovo beginnen würden. Doch der Zerfall Jugoslawiens und die Sezessionskriege, die diesen Pro-zeß begleiteten, dominierten zunächst die internationale Aufmerksamkeit und banden sowohl die Kräfte Belgrads als auch der internationalen Staatengemeinschaft. Beim Friedensabkom-men von Dayton, das den Bosnien-Krieg beendete, blieben der Kosovo unerwähnt und das Kosovo-Problem ungelöst.
Daß der Kosovo-Krieg vier Jahre später keine grundlegende Lösung der albanischen Frage brachte ist bekannt. Der Kosovo-Krieg wirkte jedoch auch wie eine Initialzündung für die Albaner Südserbiens und Mazedoniens, von denen Freiwillige ebenfalls in den Reihen der UCK kämpften. Denn auch in Mazedonien funktionierte und funktioniert das Zusammen-leben zwischen Mazedoniern und Albanern nicht so „reibungsfrei“, wie es vor allem unter dem Eindruck der Politik von Slobodan Milosevic in Serbien den Anschein hatte. Die Ende März in den Brennpunkt des internationalen Interesses gerückte Stadt Tetovo im Nordwesten Mazedoniens ist nicht nur die zweitgrößte Stadt dieser ehemaligen jugoslawischen Teilrepu-blik. Tetovo zählt auch zu den geistigen und kulturellen Zentren der Albaner. Sichtbarer Ausdruck dafür ist die albanische Universität in Tetovo, die von der Regierung in Skopje jedoch nicht als Universität anerkannt und daher auch nicht finanziert wird.
Die albanische Universität von Tetovo erinnert von ihrer Größe her eher an eine Volkschule in einem größeren österreichischen Dorf, denn an eine Universität wie sie etwa in Graz oder Wien zu finden ist. Der Hörsaal im dritten Stock des Gebäudes bietet etwa 100 Studenten Platz; die Physik-, Chemie und Biologiesäle können jeweils vielleicht etwa 10 Studenten auf-nehmen. Die technische Ausstattung dieser Säle ist notdürftig und veraltet; unklar ist, wo die angeblich etwa 400 Professoren der 14 Fakultäten der Universität die etwa 6.000 aktiven Stu-denten unterrichten. Trotzdem ist diese Universität gleich in dreifacher Hinsicht ein Spiegel-bild für die Entwicklung Jugoslawiens sowie die Lebensverhältnisse der Albaner in Mazedo-nien aber auch in Serbien.
So gibt es an der Universität in Tetovo den Studienzweig Verteidigung und Sicherheitspolitik. Unterrichtet wird dieses Fach von einem Albaner, der unter Tito, unter dem die Albaner die meisten Rechte erhielten, in den jugoslawischen Streitkräften diente. Studiert hat dieser Professor in Belgrad; dort hat er auch Französisch gelernt, eine Sprache, die er neben Serbisch, Mazedonisch und natürlich Albanisch recht gut beherrscht. Das Monatsgehalt eines Universitätsprofessors beträgt zwischen 2100 und 3000 Schilling; sein mazedonischer Kollege verdient an einer der beiden staatlichen Universitäten des Landes etwa das Dreifache.
Als Spiegelbild für das Leben der Albaner in Serbien und Mazedonien sowie für die albani-sche Gesellschaftsstruktur können Finanzierung und Unterhalt der Universität dienen. Erbaut wurde das Gebäude vor allem mit dem Geld albanischer Gastarbeiter. Dreihundert DM, drei-hundert Franken oder dreihundert Dollar pro Jahr bezahlt nach Angaben der Professoren jeder albanische Gastarbeiter aus Mazedonien jährlich für die Universität in einen Fonds ein. Außerdem zahlt jeder Albaner in Mazedonien pro Monaten eine Mark für die Universität. Eine weitere Geldquelle sind die Studiengebühren, die pro Jahr und Student 1400 Schilling betragen. Der Staat tritt somit für die Albaner auf dem Sektor der Bildung kaum in Er-scheinung; die Basis für Wohlstand und Fortschritt bilden daher in dieser traditionellen, von Männern dominierten Kultur, die Familie oder die Sippe. Sie, und nicht das formale Staats-wesen, definieren daher auch die Stellung des Einzelnen in der albanischen Gesellschaft. Die Mazedonier werfen den Albanern daher vor, gar nicht integrationswillig, sondern maßlos in ihren Forderungen zu sein. Verstärkt werden die Gegensätze zusätzlich durch den Umstand, daß die Mazedonier, die über keine Gastarbeiter verfügen, von der Wirtschaftskrise stärker betroffen sind als die Albaner.
Drittens ist die Universität in Tetovo nicht nur ein Symbol für das Streben der Albaner nach höherer Bildung, sondern auch für die Spannungen in Mazedonien, die nun durch die bewaffneten Auseinandersetzungen in Tetovo deutlich geworden sind. Der derzeitige Rektor der Universität, Fadil Sulejmani, spricht leidlich deutsch und ist Autor einer „Morphologie der deutschen Sprache“. Die Sympathie für die Ziele der albanischen Rebellen ist ihm deutlich anzumerken, denn die Albaner müßten endlich die gleichen Rechte erhalten wie die anderen Mazedonier. Dazu zählt auch die von den Albaner geforderte Anerkennung und Finanzierung der Universität Tetovo durch den Staat. Bereits bei der Gründung der Uni-versität vor sieben Jahren kam es zu Zusammenstößen zwischen Albanern und der maze-donischen Polizei. Nach Angaben der Universität wurde ihr erster Rektor zu zwei Jahren Haft verurteilt, von denen er knapp elf Monate auch im Gefängnis verbrachte. Ein Student kam da-mals ums Leben. Sein Grab liegt auf einem Friedhof im albanischen Teil Tetovos. Ein Kranz und eine Inschrift schmücken das Grab, in der an diesen Studenten erinnert wird, der dem Terror des mazedonischen Staates zum Opfer gefallen sei.
Trotz der jüngsten Gefechte um Tetovo erscheint eine Lösung der Frage im Rahmen be-stehender Grenzen nicht ausgeschlossen, obwohl unklar ist, wie der endgültige Status des Kosovo aussehen wird. Doch ohne eine auch staatsrechtliche Umgestaltung, zumindest aber eine Änderung der mazedonischen Verfassung, wird eine Befriedung der Albaner in Maze-donien nicht zu erreichen sein. Zu den umstritten Themen in Mazedonien zählt schlicht auch die Frage wie viele der etwa zwei Millionen Einwohner tatsächlich Albaner und Mazedonier sind. Denn die Albaner behaupten, daß sie nicht nur etwa 25 Prozent sondern zumindest ein Drittel der Bevölkerung stellen und erheben daher den Anspruch, keine Minderheit, sondern ebenfalls ein Staatsvolk zu sein. Viele Mazedonier sehen jedoch in dieser Forderung den ersten Schritt zur Abspaltung. Hinzu kommt, daß praktisch kein gemeinsames Staatsbe-wußtsein existiert. Das zeigt sich bereits an der Terminologie; so ist immer von Albanern und Mazedoniern die Rede, obwohl eigentlich beide Völker einen mazedonischen Paß haben. Die Albaner wiederum beflaggen ihre Gebäude fast ausschließlich mit der albanischen Fahne, auch der mazedonische Staatsfeiertag ist für die meisten Albaner praktisch bedeutungslos.
Ohne Kompromiß in Mazedonien ist es jedoch unwahr-scheinlich, daß die Albaner-Frage überhaupt noch im Rahmen bestehender Staatsgrenzen gelöst werden kann. Käme es zu keiner Einigung, würde sich Europa wohl mit der höchst unliebsamen Frage eines Groß-Kosovo sowie mit all den damit verbundenen schwerwie-genden Folgen für den gesamten Balkan befassen müssen.